Full text: Hessenland (32.1918)

nach Burgund. Ein gewisser Louis Netcia, der 
wohl der Familie ungehört hat, war 1697 Unter 
leutnant im französischen Regiment Burgund. An 
dreas Robert Andrea de Nerciat, mit dem wir uns 
hier beschäftigen, wurde um 17. April 1739 zu 
Dijon geboren. Er war der Sohn des Advokaten 
und Parlamentsschatzmeisters Andrea und der 
Bernhardine de Marlot. Sein Pate war der 
Advokat und Parlamentszahlmeister Claudius An 
dreas Andrea, Seigneur de Nerciat. Andreas 
Robert erhielt in seiner Jugend eine gute Schul 
bildung und ging dann nach der Sitte der da 
maligen Zeit zu seiner weiteren Ausbildung auf 
Reisen. Er durchzog Italien und Deutschland, 
lernte die Sprachen beider Länder und ging dann 
nach Dänemark, wo er in Militärdienst trat. Er 
brachte es darin bis zum Jnfanteriehauptmann, 
nahm dann aber seinen Abschied und kehrte nach 
Frankreich zurück, wo er in die Haustruppcn des 
Königs (die Liaison chi Roi) eintrat und zwar in 
die Kompagnie der Gardegend-armen, eine beson 
ders stolze Gardetruppe, die nur aus Edelleuten 
bestand. Auf Veranlassung des Grafen St. Ger 
main 2 wurden durch königliche Ordonnanz vom 
12. Dezember 1775 die Garden in ihrem Bestand 
vermindert. Die Gardegendarmen und die Garde 
chevaulegers behielten nur ein Viertel ihrer bis 
herigen Stärke, die beiden Musketierkompagnien 3 
wurden ganz aufgelöst. Unter den infolge dieser 
Verminderung zur Entlassung gelangenden Gen 
darmen befand sich auch Nerciat. Er war, wie 
aus einzelnen Bemerkungen in seinen Schriften 
hervorgeht, ein eifriger Soldat gewesen, der keine 
Gelegenheit vorübergehen ließ, sich im Waffen- 
handiverk, das er zu seinem Berufe erwählt hatte, 
gründlich auszubilden. Seine Entlassung ging ihm 
deshalb auch sehr nahe. 
Er lebte nun in Paris und geriet hier in leicht 
sinnige Kreise. Er lernte namentlich den später 
auch in Kassel befindlichen Jean Pierre Louis 
de Luchet, Marquis de La Roche du Maine, und 
seine Gattin kennen, in deren Salon sich eine 
zahlreiche Gesellschaft frivoler und leichtsinniger 
junger Leute zusammenfand, die, bekannt unter 
dem Namen der „Mystificateurs", ■ in weitestem 
Maße der freien Liebe huldigten. Nerciat wurde 
hier durch einen älteren Verwandten, den Lud 
wigsritter Jean Louis Barbot de Luchet, ein 
2 Robert, Graf von St. Germain, geboren 1780 in 
Lons le Saulmer, gestorben 15. Januar 1778, war 1775 
bis 1777 französischer Kriegsminister. Seine Reformen 
machten ihn beim Heere und beim Adel so unbeliebt, 
daß er seinen Abschied nehmen mußte. 
3 Bekannt durch den Roman des älteren Dumas: 
„Die 3 Musketiere". 
geführt, der am 20. Oktober 1745 ebenfalls in 
die Gardegendarmerie eingetreten und bei dereu 
Verminderung entlassen worden war. Nerciat, der 
übrigens, wie sein Biograph hervorhebt, obwohl 
er ein Burgunder, doch durchaus nüchtern und 
kein Freund des Weines war, schloß sich der er 
wähnten Gesellschaft an und huldigte ihren mehr 
als leichtfertigen Grundsätzen von vollem Herzen, 
bis die beiden Luchets infolge ihres durch unglück 
liche Spekulationen in Bergwerken herbeigeführten 
finanziellen Zusammenbruchs, nicht zum wenig 
sten aber auch wegen ihres liederlichen Lebens 
wandels, Paris eiligst verlassen mußten. 
'Nerciat schrieb in dieser Zeit seine „Aphro 
diten", die erst 1793 im Druck erschienen, und 
den „Diable au eorps“, der sogar erst 1803 nach 
dem Tode des Verfassers veröffentlicht wurde, 
namentlich aber sein Hauptwerk: „Felicia ou mes 
Fredaines“, das aber nicht von ihm selbst zum 
Druck befördert wurde. Es erschien vielmehr ohne 
sein Wissen und auch ohne Nennung seines Namens 
in Deutschland, und zwar in einer sehr fehlerhaften 
Ausgabe, die trotzdem — aber wohl weniger in 
Deutschland, als in Frankreich — starken Absatz 
fand. Alle diese Schriften sind durchaus schlüpfri 
ger Art. Außerdem schrieb er ein Schauspiel 
in Prosa: „Dorimon oder der Marquis von Clair- 
ville", das am 18. Dezember 1775 aufgeführt 
wurde, aber durchfiel. 
Dieser Mißerfolg veranlaßte Nerciat, Frank 
reich wieder zu verlassen. Er ging wieder auf 
Reisen, besuchte die Schweiz und zum zweiten 
Male Deutschland, und vergnügte sich in dieser 
Zeit damit, kleine Gedichte zu verfassen und selbst 
in Musik zu setzen. So zog er während des Jahres 
1776 ruhelos umher, was ihn aber nicht hinderte, 
sich mit der deutschen Literatur zu beschäftigen. 
Die Anakreontiker zogen ihn besonders an, namenr- 
lich Gleim, Uz und Christian Ewald von Kleist, 
der, bereits 1759 gefallen und vor: Uz besungen, 
von Nerciat als „lieblicher Dichter, einer der 
größtea Schöngeister, die Deutschland hervor 
brachte," bezeichnet wird. Gegen Ende 1776 be 
gab sich Nerciat nach Brüssel, dann nach Namur 
und Löwen. In dieser Zeit, in der er mit dem 
Fürsten Ligne befreundet wurde und, wenn man 
ihm selbst glauben darf, diesem sehr nahe stand, 
verfaßte er seine „Neuen Erzählungen", ein recht 
unbedeutendes Werk, aber von Wert durch die 
Angaben über seinen Lebenslauf, die darin ent 
halten sind. Diese Erzählungen selbst lassen den 
früheren Leichtsinn des Verfassers nicht mehr er 
kennen, sie sind recht langweilig. Von Löwen 
aus ging Nerciat wieder auf Reisen und hat da 
mals wahrscheinlich ebenso wie Mirabeau und Du-
	        

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