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ich ulich auf die freundliche yJittiuirfuui] des
Glockengießermeisters Herrn Radler zu Hildesheim
lind des Herrn Professors Dr. Brandt zu Göttingen
beziehen darf. Das Gelaicht der Glocken ist oben
bereits angegeben.
Die größte Glocke hat einen Durchmesser von
1,41 m und hat den Hauptton 1), die kleinere hat
einen Durchmesser von 1,01 m und gibt den Ton
B an, beide Glocken bilden somit die Sexte zuein
ander.
Die größte Glocke ist eine sehr alte, sie wird
von Sachkennern bis ins 13. Jahrhundert hinaus
gesetzt, während allerdings von anderer Seite ihr
Alter wicht ganz so hoch geschätzt wird. Ihre
Inschrift ist sehr mangelhaft, sie enthält verschie
dene Schreibfehler, zum Teil sind beim Guß eine
Anzahl der auf dem Modell aufgesetzten Buch
staben abgefallen oder verschoben. Soweit man
die Inschrift der Glocke überhaupt entziffern kann,
dürfte sie folgendermaßen lauten:
Dulce Jesu nocturnas extinque flammas.
Hujus Christe soni virtute tonitrua seda, un-
dique rura monasterii rogo tuta.
Danach muß man annehnum, daß die Glocke
als Feuerglocke gegossen war, deren Geläute die
zur Nachtzeit ausbrechenden und darum besonders
gefährlichen Fenersbrünste zn dämpfen, auch! auf
steigende Gewitter durch ihren Klang unschädlich
mache» sollte. Wo und für welche istrche die
Orlocke gegossen ist, entzieht sich unserer Kenntnis.
Die kleine Glocke ist für die Georgenkirche von
dem Hildesheimer Glockengießer Christoph
A u g u st Becker, dein Gliede einer geschätzten
Glockengießerfamilie, 1757 gegossen. Sie trug fol
gende Inschrift:
Herr Johann Julius Melchior Bortmann
Pastor, Herr R: Johann Heinrich Goeslina, H:
Lucast Justahl, H: Ludolph Conrad Rurhosf.
H: Just. Georg Müller. Provisores. Si Deum
canimus, cantu nil suavius illo, Si Deum
loquimur, verbis nil dulcius illis.
Unter dieser Inschrift ist auf der einen Seite
Christus am Kreuze, auf der andern Seite St.
Georg, den Drachen tötend, dargestellt. Außerdem
sind vier Mdrücke alter Taler vorhanden. Weiter
unten steht:
Me lecit Christoph August Becker anno 1757.
Ich schließe diese Mitteilungen mit der Berich
tigung, daß ich in meinem Buche „Hildesheim und
Goslar" (Leipzig bei E. A. Seemann 1904) nach
einer mir früher zugegangenen mündlichen Über
lieferung gesagt hatte, die Glocken der Elisabeth-
kirche stammten von der 1809 gleichfalls aufge
hobenen, 1854 wieder dem (Gottesdienst über
gebenen Michaeliskirche zu Hildesheim, eine An
gabe, die nach dem hier Gesagten nicht aufrecht
zu halten ist.
Vom Königlichen Hofihealer.
R i ch a r d D e h m e l steht unter unsern Lyrikern
zweifellos in erster Reihe. Nicht für das lebendige
Empfinden des Volkes, dem er fast ein Fremder ge
blieben ist. Denn was er fühlt, >vas er — mit sich in
tiefster Seele ringend — schaut und gestaltet, liegt den
natürlich empfindenden Massen fern. Er 'ist als Poet
zugleich ein Seher, und er mag sich noch so sehr gegen
feine Bezeichnung als Mystiker wenden, man wird — bei
seinem starken metaphysischen Einschlag, trotz aller freu
digen Lebensbejahung — in vielen seiner Werke
machtvolle mystische Züge immer wieder hervortreten
fühlen. Er wandelt seine eigene Straße, und seltsam
mutet uns manches in seinem Gedanken- und Gefühls
leben an. Wenn er von Nietzsche sagt: „Er ist ein
zweifelnder Zergliederer gewohnter Seelenregungen, ich
bin ein gläubiger Zusammengliederer ungewohnter" —
so ist das letztere subjektiv zweifellos richtig. Nur, —
dem, der seine Werke mit ehrlicher Anteilnahme und
immer wieder durchbrechender Bewunderung liest, wird
das „Ungewohnte" stärker fühlbar, als das „Zusammen
gliedern". Er hat das seltsam anmutende Geschick gehabt,
daß der konsequente Realismus, der den gewohnten
Vers verabscheute, ihn auf den, Schild erhob, daß
Liliencron, der dieser Richtung immer mehr sich ge
nähert hatte, ihn für den berufensten Vertreter unserer
Gegenwart erklärte. Daß das gerade ihm, der so oft
als Symbolist, als mystisch sinnender Sentimentaler
erscheint, begegnen konnte, wäre unbegreiflich, wüßte man
nicht, wie leicht eine geistige Strömung, die, ins Extreme
geraten, nicht weiter kann, in ihr Gegenteil umschlägt.
Auch im Drama hat sich Dehmel mehrfach versucht.
Bor fast einem Bierteljahrhundert schrieb er die Dra-
inen „Der Mitmensch" und „Lucifer", dann eine po
litische Satire „Michel Michael". Die Bühne sich zu
erobern vermochte er nicht. Nicht einmal als dauernder
Gast konnte er sich auf ihr behaupten. Und doch hat
er über „Tragik und Drama" eingehende Untersuchun
gen angestellt. Aus ihnen und seinen Stücken aber er
kennen wir immer wieder seine — Theaterfremdheit.
Für die Erfordernisse der Bühne, für ihre gerechten und
ästhetisch gerechtfertigten Ansprüche ist er nicht zu haben.
Und so wird denn auch die Neuheit, die als erste in
dieser Spielzeit das Hoftheater brachte, D e h m e l s
„Menschenfreunde", sich schwerlich im Spielplan
der deutschen Bühnen halten können.
Diese Theaterfremdheit spricht sich schon in manchem
Äußerlichen des Stückes aus. Der „Held" des Dramas,
der dem Publikum alle drei Akte unaufhörlich vor Augen
ist und sehr viel zu reden hat >— geschehen tut herzlich
wenig und die Szene, die dramatisch wirksam gewesen
wäre und künstlerisch hätte ausgestaltet werden können:
eine Gerichtsverhandlung, spielt sich im Zwischenakt
ab ■—, dieser „Held" .... stottert. Alle Akte bauen
sich gleichmäßig auf. Dieselben Leute erscheinen in der
selben Reihenfolge, und die Reden der meisten unter
scheiden sich in den einzelnen Akten wenig voneinander.