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schüft Würdigen nierklich werden, welche, eine all
seitige Ausbildung suchend, sich gemeinsam vorbe
reiten fih das künftige Sein, für ein wahrhaft
staatsbürgerliches Leben, für die Forderungen und
Ansprüche, welche das Vaterland künftig machen
wird, und welche Deutschland von seiner gebildeten
Jugend mit Recht verlangen darf."-f) Mit der
Marburger Burschenschaft Germania unterhielt die
Gießener enge Beziehungen; schon im August 1818
feierten beide Verbindungen einen gemeinschaft
lichen Kommers auf dem Staufenberg, am Water
lootage 1819 einen solchen in Bellnhausen. Das
alte Mißverhältnis zu den Schwarzen aber schlug
wieder zu Hellen Flammen auf, als aus dem
Jenaischen Burschentage vom Oktober 1818 über
die Gießener Parteikämpfe verhandelt und den
Vertretern der Germania, nicht aber den Schwar
zen oder der „alten Burschenschaft" Sitz und
Stimme zugestanden wurde. Anstelle der vom
Burschentage empfohlenen Versöhnung kam es in
der Folge zu einer Reihe von Duellen, bei denen
die Schwarzen abermals ihre Überlegenheit in der
Führung der Klinge zeigen konnten. Erst im
Januar 1819 hat sich alsdann die Verschmelzung
der beiden Burschenschaften vollzogen, so daß die
Germanen am 23. Januar 1819 an die Vorsitzende
Berliner Burschenschaft schreiben konnten: „Ein
ganz neuer Geist belebt uns hier alle. Was sich
zuvor haßte, liebt sich jetzt mit wahrhaftem Bru
dergefühl". Bei dem bedeutenden geistigen Über
gewicht der Schwarzen, die auch jetzt ihren
Sonderverband nicht aufgaben, konnte es nicht
ausbleiben, daß sie auf die Führung der Burschen
schaft entscheidenden Einfluß erlangten. Eine Reihe
ihrer Mitglieder, unter ihnen der hochbedeutende
Paul Follenius, wurde in den Vorstand und Aus
schuß der Germania gewählt. Diese vermochten
es denn bald durchzusetzen, daß die alte Verfassung
der Verbindung, die noch einen engen Anschluß
an die landsmannschaftlichen Überlieferungen auf
wies, völlig im Sinne der christlich-germanischen
Grundsätze des Ehrenspiegels umgearbeitet
wurde * *). Auch das auf Veranlassung der Ger
mania herausgegebene neue Kommersbuch, die
„Trink- und Heldenlieder der Deutschen", läßt
in dem Überwiegen ernsten sittlichen und vater
ländischen Geistes, wie durch die Ausmerzung
seichter und unsauberer alter Kneipgesänge, aber
auch durch die Einfügung von Liedern revo
lutionärer Färbung den starken Einfluß der
Schwarzen deutlich erkennen **)'.
Die Gegensätze zwischen den Jüngern Karl
Follens und den landsmannschaftlichen Stiftern
ft) Hier zum erstenmale aus der bisher unbekannt
gebliebenen Verfassungsurkunde mitgeteilt.
*) Die endgültige Neubearbeitung der Gießener Bur
schenschaftsverfassung, von der das Burschenschaftliche
Archiv eine Abschrift besitzt, ist erst im Herbst 1819,
unmittelbar vor der Auflösung der Burschenschaft, zum
Abschluß gekommen.
**) Das Kommersbuch erschien erst nach Auflösung
der Burschenschaft 1820 im Druck und wurde noch neun
er wiesen sich freilich mit der Zeit doch als zu tief
gehend, als daß sie sich hätten friedlich ausglei
chen lassen. Schon im Frühjahr 1819 schrieb der
junge Gießener Burschenschafter Theodor Reh,
tiefbekümmert über die Zusammenstöße zwischen
„Hassianern" und Schwarzen innerhalb der Ger
mania in sein Tagebuch: „Der Burschenschaft fehlt
leider noch sehr die Einheit, und deswegen besteht
sie beinahe nur in der Idee, dem bloßen Namen
als solche. Die widerstreitenden Klüfte müssen sich
erst aneinander abgerieben haben, und dann ent
steht entweder gar nichts oder etwas Herrliches".
Die Attentate Sands und Lünings, die, wie weit
hin in Deutschland, so auch in Gießen als Volks
helden gefeiert wurden, haben diese Spannung noch
weiter gesteigert. Über der Weigerung einzelner
Mitglieder, auf den Kommersen der Burschen
schaft an den Huldigungen für Sand teilzunehmen,
kam es zu lebhaftem Streit und schweren Forde
rungen, ein Vorspiel des nahen Untergangs der
Burschenschaft. Der Bundesrat hatte am 20. Sep
tember 1819 die bekannten Karlsbader Beschlüsse
zu den seinigen gemacht, nach denen Angehörige
geheimer Verbindungen zu keinem öffentlichen
Amte mehr zugelassen werden sollten, und hatte
gleichzeitig die Zentral - Unternehmungs - Kom
mission zur Verfolgung demagogischer Umtriebe
ins Leben gerufen. Am Tage der Leipziger
Schlacht, der bisher als höchster vaterländischer
Feiertag gefeiert worden, am 18. Oktober 1819,
wurden diese Beschlüsse in Hessen in Kraft ge
setzt. So blieb der Gießener Germania keine an
dere Wahl, als ihren Bund aufzulösen. In einer
am 3. November 1819 abgehaltenen Burschen
versammlung ist die freiwillige Auflösung voll
zogen worden. Alle Mitglieder trennten sich, wie
es in Theodor Rehs Tagebuch heißt, „mit schwe
rem Herzen von der kräftigen Verbindung, der
sie sich im Augenblicke der Trennung erst recht
verbunden fühlten". Die verzweifelte Stimmung
aber, die die Zerstörungen aller Hoffimngen auf
die Durchsetzung ihrer vaterländischen und frei
heitlichen Ideale in den Herzen der heißblütigen
jungen Studenten auslöste, gibt sich in ergreifen
der Weise in dem Tagebuch-Eintrage Rehs vom 5.
November 1819 kund: „Wenn je ein Plan fürch
terlich itttb doch in seiner Ausführung glücklich war,
so übertrifft ihn bei weitem dieses große Gewebe
von geheimer Tyrannei und Diplomatenwillkür,
das äußerlich als von Notwendigkeit herbeigeführt
sich darstellen möchte. Ein kräftiges Volk, blühend
in Wissenschaft, auf einer Stufe der Kultur, wie
sie wenige Zeiten aufzeigen, soll hinabgestoßen
zehn Jahre später von dem bekannten reaktionären hessi
schen Staatsmann und Gießener Professor von Arens
bei den Verhandlungen der ersten Kammer zu scharfen
Angriffen gegen den „politischen Fanatismus" der Her
ausgeber des Kommersbuches benutzt. Vergleiche meine
Mitteilungen in den Burschenschaftlichen Blättern, Jahr
gang 21, Winters. 1906/07, Seite 181 und neuerdings
W. Flegler, Das Gießer Kommersbuch und die hessische
Erste Kammer der Stände. Gießen, von Münchow, 1918.