Hüten oder kleinem Käppchen, einige sogar mit
Schlafröcken, welches doch gemißbilligt wurde...
Die Gruppen von Menschen halten sich nach Wohl
gefallen und Geschmack zueinander. Mittags er
scheint man angekleidet an der großen Tafel und
so bleibt man den ganzen Tag 3 ?. Sonntags ist
gewöhnlich Ball. Dieser Tag ist der glänzendste,
weil die Gesellschaft dann durch viele Fremden
aus der Nachbarschaft vermehrt wird. Bei Tische
sitzt man nach der Anciennität, so daß der, welcher
erst ankommt, den untersten Platz erhält und im
mer weiter hinanrückt, sowie mehrere nach ihm an
kommen. Dies hat sein Gutes, aber auch das Un
bequeme, daß man sich nicht die aussuchen kann,
mit denen man zusammensitzen möchte. Zu Tische
wird mit einem Glöckchen geläutet. In den Logis
häusern kann man nichts zu essen noch zu trinken
haben; man muß den Kaffee von der Apotheke,
das Essen vom Traiteur holen lassen. Die meisten
Gäste haben daher selbst ihre kleine Menage bei
sich und lassen sich von ihren Leuten ihren
Kaffee, Tee usw. machen. Man kann seine mit
gebrachten Gerätschaften, wenn man wiederzu
kommen denkt, da lassen. Kömmt man nicht selbst
wieder, so bleiben sie das Eigentum der Frau,
die Aufsicht über die Logis führt und die einzige
Person ist, welche nach der Badezeit mit ihrer
Tochter in diesem Orte das ganze Jahr wohnt."
Kein Wunder, wenn die regelmäßigen Aufent
halte des Landgrafen in Nenndorf unter diesen
Umständen als peinliche Beeinträchtigung emp
funden wurden; kein Wunder, daß Wilhelm wie
ein Hecht im Karpfenteich wirkte, wenn er sich,
sobald er im Bad anwesend war, wie jeder andere
Kürgast auf der Promenade einstellte. „Du wirst
es begreiflich finden, daß seine Anwesenheit die Ge
sellschaft geniert," schrieb ein Kurgast im Juni
1798, „obschon er seinerseits nicht die entfernte
Gelegenheit dazu gibt. Er ist ziemlich populär,
unterhält sich gern mit jedem, besonders Fremden,
hört es gern, wenn seine Anlagen gerühmt und
sein Bestreben, diesen Badeort zu heben, erkannt
wird. Er gibt öfters Gesellschaft in seinem an der
Galerie erbauten, geschmackvoll eingerichteten
Hause, wo er Gesellschaft von allen Ständen ein
ladet. Nur fremde Officiers mit lang gebundenen
oder kurzen Zöpfen kann er nicht leiden. Sein
Äußerliches hat etwas Militärisches, und er verrät
in jeder Beziehung Liebe zur strengen Disziplin.
Demohngeachtet verdient es, bemerkt zu werden,
daß sich die Gesellschaft mindert, sobald der Land
graf da ist, und sich vermehrt, wenn er sich ent
fernt."
37 „Gegen Abend macht man sich wieder etwas
commode", ergänzt der Berichterstatter des „Kameleon".
Immerhin wäre es übertrieben, wenn man sich
nach diesem Bericht die Vorstellung bildete, als
habe sich Nenndorf fluchtartig geleert, sobald sich
der Landgraf in seinen "Anlagen zeigte 37 38 . Seine
Anwesenheit wurde nicht gerade begrüßt, der Ent
wicklung des Bades tat sie aber keinen! iAbbruch. So
ist die Nenndorfer Kurliste in jenen Jahren immer
länger geworden; was dazu beitrug, war die Tat
sache, daß sich damals die Anlagen an den Brun
nen und am Galenberge immer reicher, immer
dichter entfalteten: die kahle Stattlichkeit der Ge
bäude ordnete sich organisch in die Landschaft ein,
sie verwuchs mit ihr zu einem reizvollen Bilde,
und so machte sich Justus Grüner, der bekannte
preußische Patriot, der als junger Magister auf
seiner großen Reise durch Westfalen im Sommer
1801 auch nach Nenndorf kam, keiner Übertrei
bung schuldig, wenn er „die schönen bequemen
Wirtschafts- und Vergnügungsgebäude" und die
„sehr artigen Anlagen", die sie umzogen, beson
ders hervorhob. „Die Häuser sind mit vielem
Geschmack angelegt", rühmte er später 39 , „und die
englische Gartenpartie, der die Lage des Ortes an
einem senkrechten Hügel sehr zu statten kommt,
macht ihrem Besitzer Ehre. Ein Ball- und ein
Komödienhaus sorgen zugleich für rauschende Ver
gnügen. Das Ensemble macht einen sehr ange
nehmen und besseren Eindruck als Pyrmont, das
bisher unter den westphälischen Bädern am besuch
testen zu sein pflegte. Jetzt soll es aber auf Nenn
dorfs Kosten verlieren — und das mit Recht!"
Die 'Arbeit des Landgrafen, die Arbeit der
Schröter und Du Ry, der Brockmann und Hom
burg begann in dieser Weise trotz allem und
allem ihre Früchte zu tragen. Wo gestern ein
öder Sumpf die Gegend verpestet hatte, da erhob
sich heute ein blühender Kurort; wo gestern die
Sonne unbarmherzig auf magere Äcker herabge
brannt hatte, da dehnte sich heute ein schattiger
Park mit kunstvollen Promenaden und entzücken
den Blicken auf die grüne Endlosigkeit des Bücke
burger Landes; wo gestern die Karren der Roden-
38 1798, wo er über drei Wochen in Nenndorf weilte,
erschien auch seine Maitresse en titre, die Gräfin Karo
line v. Schlotheim, die spätere Gräfin v. Hessenstein
auf der Kurpromenade; sie wurde „sehr geliebt und
geschätzt". Neben ihr ließen sich einige natürliche Söhne
des Landgrafen sehen, drei Heimrods und zwei Haynaus;
einer der letzteren beteiligte sich an einer Theaterauffüh
rung, und zwar gab er den Titelhelden in Kotzebues
„Wildfang". „Der Landgraf endigte den Abend durch
eine tanzende Fete." („Journal des Luxus und der
Moden", Oktober 1798, S. 591/92).
39 Justus Grüner, Meine Wallfahrt zur Ruhe und
Hoffnung oder Schilderung des sittlichen und bürger
lichen Zustandes Westphalens am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1802, Bd. I, S. 177/78.