Full text: Hessenland (31.1917)

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erhält die Richtung durch seine Doppelbegabung 
als Maler und Plastiker. Er hat eine schöne 
Jünglingsbüste ausgestellt, bei der farbige Tö 
nung die Aufgabe erfüllt, die Formen ausdrucks 
voller zu machen, sie von einander abzuheben, 
ihre Zusammenhänge und räumlichen Beziehungen 
deutlicher in Erscheinung zu bringen. Dieselbe 
Bedeutung hat im wesentlichen die Farbe in dem 
gemalten Hauptwerk Högers (Fischer am Strande), 
einem Bilde von mächtigen Dimensionen, mit 
vielen lebensgroßen Gestalten, die scheinbar zwang 
los und doch mit strengster künstlerischer Logik 
angeordnet und zu einer Gruppe gebunden sind. 
Form, Zeichnung, Linie — das sind die Wesens 
elemente dieser monumentalen Komposition, in der 
die Farbe sozusagen nur zweite, begleitende 
Stimme ist. In anderen Bildern kleinen For 
mats, namentlich in einem stimmungsvollen Wald- 
innern mit feinen Lichtwirkungen und Pikanten 
Farbenflecken kommt auch die andere Seite der 
Begabung Högers selbständiger zur Geltung. 
Die Malerei Ernst Odefeys ist völlig be 
herrscht von Tendenzen dekorativer Stilisierung in 
formaler und farbiger Hinsicht. Selbst in seinen 
kleinen Landschaftsausschnitten (Druseltal, Klip 
pen, Ostsee) wird mehr oder minder eine flächige 
Vereinfachung des Naturvorbildes erstrebt. Inner 
halb der gestellten Aufgaben mit voller Berech 
tigung unnaturalistisch (allerdings aber auch nicht 
eben ausgezeichnet durch besonderen Wohlklang) 
ist die Farbengebung in den beiden größeren Bil 
dern „Eva" (Stehender Akt, Hintergrund Meer) 
und „Frauen (Akte) am Meer". Dem jungen 
Künstler schwebt anscheinend ein von der Realität 
losgelöstes phantastisches Reich der Schönheit vor, 
wie es sich etwa Ludwig von Hoffmann erschuf. 
Von Hans Meyerkassel sicht man u. a. eine 
feine silbrig-graue Wolkenstudie, ein flott gezeich 
netes Pastellbildnis eines jungen Offiziers, Stra 
ßen- und Platz-Impressionen aus Fritzlar und 
Danzig, ein Temperabild „Segelregatta", das mit 
seinen konturierten Flächen an Wirkungen des 
farbigen Holzschnittes erinnert. 
Curt Witte, der seit langem im Felde steht, 
konnte nur einige ältere Arbeiten senden, ein auch 
in koloristischer Hinsicht interessant angelegtes 
(nicht ganz fertig gewordenes) Frauenbildnis und 
eine sehr frisch empfundene licht- und lufterfüllte 
Landschaft („An der Schleuse"), die ihn als einen 
ausgezeichneten Impressionisten in Erinnerung 
bringt. 
Von den älteren Lehrern der Akademie ist nur 
der Bildhauer Professor Carl B e r n e w i tz an 
der Ausstellung beteiligt und zwar recht vielseitig 
mit Arbeiten in weißem Marmor (zwei Knaben- 
büsten, die das Jugendlich^Zarte der Formen im 
Stein trefflich wiedergeben), Arbeiten in Holz (zwei 
kleine Tierplastiken) und in Bronze, seinem Lieb 
lingsmaterial, dessen Technik der Künstler seit 
Jahrzehnten pflegt und aus eigenen Erfahrungen 
bereichert hat. Zu seinen reizvollsten Bronzegüssen 
gehören diesmal das Figürchen „Schwälmerkind", 
die subtil durchgeführte Porträtstatwette eines 
Hamburger Bürgermeisters in Amtstracht und die 
plastisch-anschaulich komponierte Märchengruppe 
„Der verzauberte Prinz" mit ihrem humoristisch 
wirkenden Gegensatz der beiden Gestalten des zier 
lichen Prinzeßchens und des in einen plumpen 
Bären verwandelten Prinzen. 
Der einzige Gast der Akademie-Ausstellung, 
Fritz Rhein, ist mit mehreren Bildnissen ver 
treten, die diesen seiner Zeit, wie tausend andere, 
ebenfalls von der großen impressionistischen Welle 
getragenen Künstler in einer überraschend neuen 
Phase seiner Entwicklung zeigen. Unter Verzicht 
auf alle einem Modernen so naheliegenden farbig 
malerischen Probleme konzentriert sich Rhein in 
seinen Porträts eines Mackensen, eines Kluck, eines 
Strantz völlig auf das eine, wesentliche und eigent 
liche Ziel des Porträtierens: die Darstellung der 
Persönlichkeit, die lebendige Charakterisierung der 
Individualität. Mit ihrer strengen schlichten Sach 
lichkeit und Bescheidenheit sind die Feldherren- 
Bildnisse Rheins echte künstlerische Dokumente des 
Zeitgeistes, und ihre „historische Wahrheit" werden 
künftige Generationen , vielleicht noch lebhafter 
empfinden als wir heutigen. Das Strantz-Bildnis 
hat sich die Berliner Nationalgalerie gesichert. 
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Aus Heimat und fremde. 
Hessischer Geschick) ts verein. Am letzten. 
Herrenabend des Kasseler Vereins zeigte der Vor 
sitzende General E i s e n t r a u t zunächst eine Anzahl 
prähistorischer Fundstücke aus Hessen vor und erteilte 
sodann Geheimrat Professor Scheibe das Wort zu 
einem auf eingehenden archivalischen Studien beruhenden 
Vortrag über den hessischen Kronschatz und 
die diplomatischen Beziehungen Hes 
sens im Jahre 179 2. Nach einem historischen 
Rückblick schilderte Redner namentlich die militärischen 
Unternehmungen, die die Gefahr eines Einfalls der 
Franzosen in das Hessenland abwehren sollten. Auf 
die Nachricht vom Vorrücken Custines gegen Mainz 1792 
eilte Wilhelm IX. unverzüglich von Verdun in die 
Heimat, um die nötigen Maßregeln zum Schutze der 
Landesgrenzen zu treffen, den Kronschatz zu sichern und 
womöglich einen Reichskrieg gegen Frankreich zu veran 
lassen. Er knüpfte Verhandlungen mit König Georg III. 
von England und Kurfürsten von Hannover an. Ein 
hannöverscher Truppenkordon wurde zur Verfügung ge 
stellt und der hessische Staatsschatz für längere Zeit in 
Hannover in Sicherheit gebracht. Mit der Einnahme 
Frankfurts war dann in rühmlicher Weise die Gefahr 
vereitelt. Auch damals schon habe für den einzelnen 
Mann wie für die Volksgemeinschaft das Wort Schil 
lers eine tiefe Bedeutung gehabt: „Immer strebe zum 
Ganzen, und kannst du selber nichts Ganzes werden, 
immer als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich 
an". Redner schloß mit dem Wunsche, daß niemals 
wieder Zeiten kommen möchten, wo deutsche Staaten für
	        

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