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erhält die Richtung durch seine Doppelbegabung
als Maler und Plastiker. Er hat eine schöne
Jünglingsbüste ausgestellt, bei der farbige Tö
nung die Aufgabe erfüllt, die Formen ausdrucks
voller zu machen, sie von einander abzuheben,
ihre Zusammenhänge und räumlichen Beziehungen
deutlicher in Erscheinung zu bringen. Dieselbe
Bedeutung hat im wesentlichen die Farbe in dem
gemalten Hauptwerk Högers (Fischer am Strande),
einem Bilde von mächtigen Dimensionen, mit
vielen lebensgroßen Gestalten, die scheinbar zwang
los und doch mit strengster künstlerischer Logik
angeordnet und zu einer Gruppe gebunden sind.
Form, Zeichnung, Linie — das sind die Wesens
elemente dieser monumentalen Komposition, in der
die Farbe sozusagen nur zweite, begleitende
Stimme ist. In anderen Bildern kleinen For
mats, namentlich in einem stimmungsvollen Wald-
innern mit feinen Lichtwirkungen und Pikanten
Farbenflecken kommt auch die andere Seite der
Begabung Högers selbständiger zur Geltung.
Die Malerei Ernst Odefeys ist völlig be
herrscht von Tendenzen dekorativer Stilisierung in
formaler und farbiger Hinsicht. Selbst in seinen
kleinen Landschaftsausschnitten (Druseltal, Klip
pen, Ostsee) wird mehr oder minder eine flächige
Vereinfachung des Naturvorbildes erstrebt. Inner
halb der gestellten Aufgaben mit voller Berech
tigung unnaturalistisch (allerdings aber auch nicht
eben ausgezeichnet durch besonderen Wohlklang)
ist die Farbengebung in den beiden größeren Bil
dern „Eva" (Stehender Akt, Hintergrund Meer)
und „Frauen (Akte) am Meer". Dem jungen
Künstler schwebt anscheinend ein von der Realität
losgelöstes phantastisches Reich der Schönheit vor,
wie es sich etwa Ludwig von Hoffmann erschuf.
Von Hans Meyerkassel sicht man u. a. eine
feine silbrig-graue Wolkenstudie, ein flott gezeich
netes Pastellbildnis eines jungen Offiziers, Stra
ßen- und Platz-Impressionen aus Fritzlar und
Danzig, ein Temperabild „Segelregatta", das mit
seinen konturierten Flächen an Wirkungen des
farbigen Holzschnittes erinnert.
Curt Witte, der seit langem im Felde steht,
konnte nur einige ältere Arbeiten senden, ein auch
in koloristischer Hinsicht interessant angelegtes
(nicht ganz fertig gewordenes) Frauenbildnis und
eine sehr frisch empfundene licht- und lufterfüllte
Landschaft („An der Schleuse"), die ihn als einen
ausgezeichneten Impressionisten in Erinnerung
bringt.
Von den älteren Lehrern der Akademie ist nur
der Bildhauer Professor Carl B e r n e w i tz an
der Ausstellung beteiligt und zwar recht vielseitig
mit Arbeiten in weißem Marmor (zwei Knaben-
büsten, die das Jugendlich^Zarte der Formen im
Stein trefflich wiedergeben), Arbeiten in Holz (zwei
kleine Tierplastiken) und in Bronze, seinem Lieb
lingsmaterial, dessen Technik der Künstler seit
Jahrzehnten pflegt und aus eigenen Erfahrungen
bereichert hat. Zu seinen reizvollsten Bronzegüssen
gehören diesmal das Figürchen „Schwälmerkind",
die subtil durchgeführte Porträtstatwette eines
Hamburger Bürgermeisters in Amtstracht und die
plastisch-anschaulich komponierte Märchengruppe
„Der verzauberte Prinz" mit ihrem humoristisch
wirkenden Gegensatz der beiden Gestalten des zier
lichen Prinzeßchens und des in einen plumpen
Bären verwandelten Prinzen.
Der einzige Gast der Akademie-Ausstellung,
Fritz Rhein, ist mit mehreren Bildnissen ver
treten, die diesen seiner Zeit, wie tausend andere,
ebenfalls von der großen impressionistischen Welle
getragenen Künstler in einer überraschend neuen
Phase seiner Entwicklung zeigen. Unter Verzicht
auf alle einem Modernen so naheliegenden farbig
malerischen Probleme konzentriert sich Rhein in
seinen Porträts eines Mackensen, eines Kluck, eines
Strantz völlig auf das eine, wesentliche und eigent
liche Ziel des Porträtierens: die Darstellung der
Persönlichkeit, die lebendige Charakterisierung der
Individualität. Mit ihrer strengen schlichten Sach
lichkeit und Bescheidenheit sind die Feldherren-
Bildnisse Rheins echte künstlerische Dokumente des
Zeitgeistes, und ihre „historische Wahrheit" werden
künftige Generationen , vielleicht noch lebhafter
empfinden als wir heutigen. Das Strantz-Bildnis
hat sich die Berliner Nationalgalerie gesichert.
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Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschick) ts verein. Am letzten.
Herrenabend des Kasseler Vereins zeigte der Vor
sitzende General E i s e n t r a u t zunächst eine Anzahl
prähistorischer Fundstücke aus Hessen vor und erteilte
sodann Geheimrat Professor Scheibe das Wort zu
einem auf eingehenden archivalischen Studien beruhenden
Vortrag über den hessischen Kronschatz und
die diplomatischen Beziehungen Hes
sens im Jahre 179 2. Nach einem historischen
Rückblick schilderte Redner namentlich die militärischen
Unternehmungen, die die Gefahr eines Einfalls der
Franzosen in das Hessenland abwehren sollten. Auf
die Nachricht vom Vorrücken Custines gegen Mainz 1792
eilte Wilhelm IX. unverzüglich von Verdun in die
Heimat, um die nötigen Maßregeln zum Schutze der
Landesgrenzen zu treffen, den Kronschatz zu sichern und
womöglich einen Reichskrieg gegen Frankreich zu veran
lassen. Er knüpfte Verhandlungen mit König Georg III.
von England und Kurfürsten von Hannover an. Ein
hannöverscher Truppenkordon wurde zur Verfügung ge
stellt und der hessische Staatsschatz für längere Zeit in
Hannover in Sicherheit gebracht. Mit der Einnahme
Frankfurts war dann in rühmlicher Weise die Gefahr
vereitelt. Auch damals schon habe für den einzelnen
Mann wie für die Volksgemeinschaft das Wort Schil
lers eine tiefe Bedeutung gehabt: „Immer strebe zum
Ganzen, und kannst du selber nichts Ganzes werden,
immer als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich
an". Redner schloß mit dem Wunsche, daß niemals
wieder Zeiten kommen möchten, wo deutsche Staaten für