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Im Jahr 1669 wurde sogar eine Jüdin,
Golda, die Ehefrau des Juden Rubens zu Treis
an der Lumda (Oberhessen), der Hexerei ange
schuldigt. Sie hatte — vielleicht in der Absicht,
das ganze Dorf zu vernichten — ihr Haus mit
eigener Hand angezündet. In Marburg einge
liefert, bezeichnete sie sich vor dem Gericht als
eine von Gott völlig Verworfene und bat um den
Tod durchs Schwert. * Zum Glück erkannte man,
daß hier vollendeter Wahnsinn vorlag und entließ
die Unglückliche bald wieder aus ihrer Haft.
1672—1674 Hexenprozeß zu Gießen.^ 2 )
Im Jahr 1672 wurde eine alte Frau zu Burk
hardsfelden im Busecker Tal (Kreis Gießen), Else
Schmidt, genannt die Schulelse, wegen vielfacher
Hexerei vor Gericht gestellt und auf Gutachten der
Juristenfakultät in Gießen einer zweistündigen
Folterung unterworfen . Sie überstand aber die
Marter, ohne das Geringste zu bekennen. Da sie
angeblich nach Hexenart bei der Tortur nicht wei
nen konnte^ 3 ), auch der Scharfrichter an ihrer rech
ten Seite ein unempfindliches Stigma, d. h. das
ausgebrannte Eigentumszeichen des Satans^) fest
gestellt haben wollte, so wurde sie als hochver
dächtig weiter in Haft gehalten. Am 6. Mai 1674,
nach anderthalbjähriger Gefangenschaft, nahm man
dann auch amtlich die „Nadelprobe" an der An
geklagten vor und fand, diesmal unter ihrer rechten
Schulter, das Stigma, in das man, ohne auf Blut
und Empfindung zu stoßen, mit zwei Nadeln hin
einstach. Der Unglücklichen stand nunmehr die
verschärfte Folterung bevor. Doch übersandte man,
bevor man dazu schritt, die Akten zwecks Ein
holung eines Obergutachtens an die Mainzer
Juristenfakultät. Diese gab unter dem 5. Juni
1674 ihr Urteil ab. Dasselbe erklärte, schon die
erste Folterung sei zu Unrecht erfolgt, jetzt aber
sei die beklagte Elisabeth sofort frei zu geben. Man
möge sie jedoch bewegen, den Ort ihrer Wohnung
zu verändern und sich anderswohin zu begeben.
1672—1673 Hexenprozeß zu Marburg.
Im Jahr 1672 wurde auf nichtigen Dorfklatsch
hin Katharina Lips zu Betziesdorf, Ehefrau des
Opfermannes daselbst, unter Verdacht der Hexerei
in Marburg eingeliefert. Zur scharfen Frage ver
urteilt, wnrde sie in wahrhaft gräßlicher Weise
gefoltert? 3 ) Trotzdem gestand sie nichts und mußte,
da andere Beweise nicht beigebracht werden konn
ten, am 4. Mai 1672 entlassen werden. Aber
82 ) Tewaag 31/34; Soldan-Heppe II, 101/104; Kan
zel 236/38.
83 ) Vgl. Pfister 62.
84 ) s. Wolf, Zeitschr. f. deutsche Mythologie II, 64 u.;
Mogk, Germanische Mythologie § 34, S. 48.
85 ) s. ba§ im Wortlaut abgedruckte erschütternde Tor
turprotokoll bei Soldan-Heppe II, 110/111.
schon 1673 wurde sie von neuem verhaftet und
am 4. November 1673 zum zweitenmal auf das
entsetzlichste gefoltert: viermal zog man sie aus,
sechzehnmal zog man ihr die Schrauben an, so
weit es überhaupt möglich war, und als sie mehr
fach in Starrkrampf verfiel, brach man ihr immer
wieder mit Werkzeugen gewaltsam den Mund auf,
damit sie bekenne. Alle grauenhafte Quälerei jedoch
prallte ab an der heldenhaften Widerstandskraft
der unglücklichen Frau, denn wohl betete sie, wohl
„brüllte sie wie ein Hund", aber sie gestand nichts.
Die fürstlichen Räte zu Marburg meinten daher
in ihrem Begleitschreiben zu den der Landgräfin
eingereichten Akten bzw. zu dem Torturprotokoll,
es sei nicht anders denkbar, als daß sich die Be
klagte durch Zauberei unempfindlich gemacht habe.
Die schauerliche Sache hatte wenigstens den Erfolg,
daß die Regentin durch einen Erlaß größere Zu
rückhaltung und Vorsicht bei den Hexenprozessen
einschärfte und zugleich die arme Lips, wenn nichr
freisprach, so doch wenigstens zur Landesverwei
sung begnadigte. Von da an hätte sich, Heppe zu
folge, tatsächlich die Zahl der jährlich vorkommen
den Hexenprozesse vermindert.
1674 Hexenprozeß zu Marburg. 82 83 84 85 * )
Wie sehr der Hexenwahn und die Hexenfurcht
auch in Hessen-Kassel längst zur moralischen Volks
seuche geworden war, erhellt aus dem Umstand,
daß im Jahr 1669 das Gerücht aufkommen
konnte, in Wohra bei Kirchhain fänden sich kaum
noch drei Menschen vor, die nicht der Hexerei er
geben wären. Der Ort wurde daher in der Umgegend
allgemein das „Hexendorf" genannt. 87 ) In Betzies
dorf, der Heimat der unglücklichen Katharina Lips,
war es sicher nicht anders wie in Wohra und! Umge
gend. Beschuldigte sich dort doch ein siebzehnjähriges
Mädchen, Enichen Schnabel, selber der Hexerei.
In Marburg eingetürmt, bat die Ärmste um den
Tod durchs Schwert, bereute tief ihre angeblichen
Missetaten und'ließ alltäglich, oft bis nach Mitter
nacht, ihre Buß- und Sterbelieder aus ihrem Ge
fängnis erklingen. Sie wurde nach dem alten
harten Recht zum Feuer verurteilt, dann zum
Schwert begnadigt. Am 8. Mai 1674 fuhr die
noch nicht Achtzehnjährige unter Abfingen des
Liedes „O Welt, ich muß dich lassen" vom „Hexen
turm" auf dem Schloß durch die Stadt zum Richt
platz. Ihr Leib wurde auf dem Totenhof vor der
»Weidenhäuser Vorstadt eingegraben.
1676 Hexenprozeß zu Idstein. 88 )
Angeklagt war eine Frau Cäcilie, geborene
86 ) Vilmar. Hess. Historienbüchlein 3 S. 123/124.
87 ) Soldan-Heppe tl, 105.
88 ) Annalen für Nassauische Altertumskunde XIII,
327; Soldan-Heppe II, 115.