1 Vilmar, Hess. Historienbüchlein 3, S. 153.
2 Mündlich.
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Schlagring, die früher im Klausturm hing, die
kleine Hospitalsglocke aus 1746 mit der Inschrift
§08 mied J. C. Schneidewind in Efnrt (statt Er
furt) und die Gymnasialglocke aus 1831 mit latei
nischer Inschrift, alle drei ohne größeres künstleri
sches Interesse. Sie sind für die Beschlagnahme
freigegeben worden.
Die Inschrift der Gymnasialglocke lautet:
Erste Reihe: In u8um Gymnasii illustris Hers-
feldensis.
Zweite Reihe: Fudit Mel. Jac. Bittorf in vico
Seligenthal Schmalcaldensis 1831. (Zum Ge
brauch für das berühmte Hersfelder Gymnasium.
Goß mich Melchior Jakob Bittors im Dorf Seli-
gental bei Schmalkalden.)
iAuch die für die Beschlagnahme freigegebenen
beiden Glocken der hiesigen katholischen Kirche
aus dem Jahre 1886 firtb ohne bedeutenderes
Interesse. Sie sind reich geschmückt mit Ornamen
ten am Hals, zwischen denen sich zwei Spruch
bänder befinden. Me Henkel fittb verziert. Auf
der Mitte des äußeren Mantels der kleineren von
beiden befindet sich folgende lateinische Inschrift:
Sancte Joseph
huius ecclesiae tibi commissae
esto custos et protector
(Heiliger Joseph, sei dieser dir anvertrauten
Kirche Schutz und Schirm.)
Die Inschrift der größeren, in Stil und Guß-
form gleichen Glocke enthält den englischen Glocken
gruß und lautet:
Ave Maria gratia plena
Dominus tecum benedicta tu in mulieribus
et benedictus fructus ventris tui.
(Gegrüßt seist du, Maxia, du bist voller Gnaden,
der Herr sei mit dir, du bist gebenedeit unter den Wei
bern, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.)
Um die beschlagnahmten Glocken in Wort und
Bild der Nachwelt zu erhalten, sind sie auf der
Sammelstelle aufgenommen und Abdrücke der In
schriften und Verzierungen durch Abreibungen vor
genommen worden. Sie werden als beredte Zeu
gen der Opfer, die in dieser eisernen Zeit dem
Vaterland haben gebracht werden müssen, unserem
städtischen Museum einverleibt werden und hier
einen wichtigen Bestandteil in der Abteilung
„Weltkriegsmuseum" bilden.
Das ..zweite Gesicht" in Hessen.
Von Heinrich Franz.
1.
Wie das sogenannte „zweite Gesicht", d. h. die
angebliche Fähigkeit gewisser Menschen, kommende
Ereignisse, namentlich Unglücks- und Todesfälle,
im voraus zu fühlen, zu hören, ja zu sehen, gedeutet
werden soll? Etwa mystisch, indem wir mit dem
verstorbenen Generalsuperintendenten Kolbe 1 im
Sinne des Shakespeareschen, Hamlet darauf hin
weisen, daß es zwischen Himmel und Erde mehr
Dinge gibt, als die landläufige Schulweisheit sich
träumen läßt? Oder verstandesmäßig, indem wir
mit einem meiner naturwissenschaftlich gebildeten
Freunde die in Frage kommenden Vorgänge einer
Verlängerung des Bereichs der Naturwissenschaften
überweisen? Ich glaube, wir brauchen uns für
keine dieser beiden Deutungen zu entscheiden, ja
wir haben überhaupt nicht nötig, zu der Tatsäch
lichkeit der beregten Dinge, ihrer Möglichkeit oder
Unmöglichkeit, Stellung zu nehmen. Von unserem
Standpunkt, dem der Volkskunde, werden wir uns
einfach daran genügen lassen, daß die Möglich
keit, ja Tatsächlichkeit des zweiten Gesichts — und
zwar keineswegs bloß von einfachen Leuten aus
dem „Volk" — überhaupt geglaubt wird, und
werden ihm schon deshalb ein Interesse nicht
versagen, das wir anderen Bereichen des hessischen
Volksglaubens, dem Hexen-, Alp-, Werwolf- usw.
-Glauben bereitwillig entgegenbringen. Die Auf
gabe, die die Überschrift dieses Aufsatzes stellt,
wird sich sonach stark vereinfachen: sie wird im
wesentlichen auf eine Zusammenstellung der Fälle
hinauslaufen, die dem Verfasser bezüglich des
zweiten Gesichts aus der schriftlichen und münd
lichen Überlieferung des hessischen Stammes be
kannt geworden sind.
2 .
Verhältnismäßig am seltensten kommt, so scheint
es, das zweite Gesicht gegenüber den Vorkomm
nissen des Alltags zur Geltung. Wenigstens steht
mir in bezug darauf nur eine, allerdings ver
läßliche Quelle 2 zur Verfügung. Nachstehend die
einschlägigen Fälle: Fräulein Karoline G. aus F.
träumt, ihr nach den Vereinigten Staaten von
^Amerika ausgewanderter Bruder Heinrich, von
dem Nachricht bislang nicht eingegangen, hat einen
Brief geschrieben. Sie liest den Brief. Ort: Ba
tavia (in lateinischer Schrift, die ihr sehr wenig