Full text: Hessenland (31.1917)

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Savigny (1814) sagen konnte, „in Hessen sei die 
Rechtspflege schon längst gut und schnell gewesen". 
Indessen war doch viel Schleppendes noch bestehen 
geblieben. Diesem machte ein Prozeßgesetz vom 
Jahre. 1834 ein Ende, indem es einen äußerst 
knappen schriftlichen Prozeß schuf. Das Gericht 
hatte für Zustellung seiner Verfügungen und Ur 
teile von Amtswegen zu sorgen. Alle Fristen liefen 
von selbst, ohne Ungehorsamsanklage. Alle Nach 
holungen, bessere Einlassung, besserer Beweis usw. 
wurden abgeschnitten. Unbestimmte Behauptungen 
galten als nicht vorgebracht, unbestimmte Erklä 
rungen als Eingeständnis. Die Berufung gegen 
Zwischenurteile, wurde aufgehoben.. Das Beweis 
interlokut wurde zwar beibehalten, allein es hatte, 
für den höheren Richter keine bindende Kraft. 
Jede Instanz mußte den Prozeß ohne Unter 
brechung bis zum Endurteile durchführen. So 
verlief der Prozeß durchweg in zwei oder drei 
Instanzen. Dies, alles war, der Verlotterung des 
früheren Prozesses gegenüber, für das prozeßfüh 
rende Publikum die größte Wohltat. Für den 
Juristenstand aber lag darin eine vortreffliche 
Schule. Er gewöhnte sich daran, scharf den Tat 
sachen auf den Grund zu gehen. Wohl blieb diese 
Schärfe nicht ganz ohne Schattenseite. Gar manche 
Behauptung mußte sich gefallen lassen, als „nicht 
genügend substantiiert" verworfen, gar manche Er 
klärung als „zu unbestimmt" für ein Zugeständ 
nis erachtet zu werden. Es fehlte eben in diesem 
Verfahren die Erläuterungsinstanz, wie sie nur 
eine an die Schriften sich anschließende mündliche 
Verhandlung zu gewähren vermag. Trotzdem hat 
dieser Prozeß mit seiner Schärfe wesentlich dazu 
beigetragen, in Kurhessen àen tüchtigen Anwall 
und Richterstand zu erziehen. Und ich selbst habe 
öfters an diese Schule zurückdenken müssen, wenn 
ich später im Leben gewahrte, daß es Juristen 
gibt, die kaum wußten, was eine Tatsache ist. 
Seit einer Verordnung vom Jahre 1816 waren, 
die hessischen Gerichte verpflichtet, zu ihren Ur 
teilen Entscheidungsgründe zu geben. Es geschah 
dies nach Vorgang des Oberappellationsgerichts 
durchweg in der Form, „in Erwägung, daß usw." 
Diese Form war zwar sehr steif und etwas unbe 
holfen. Aber sie trug doch eine gewisse Nötigung 
in sich zur Knappheit und Bestimmtheit des Aus 
druckes, und sie bewahrte vor Redseligkeit und 
Phrasentum. Nie wurde auch in diesen Urteilen 
etwas anderes zitiert, als Gesetze. Später gin 
gen, vornehmlich auf meine Anregung, die hessi 
schen Gerichte (seit 1864 auch das Oberappella 
tionsgericht) zu der freieren Form der Entschei 
dungsgründe über. Wer die alte Schule bewährte 
doch insoweit ihre Kraft, daß man niemals in den 
saloppen Ton verfiel, dem sich heute viele Richter 
in ihren Urteilen hingeben. 
Denke ich an die ersten Relationen, die ich 
anfertigte, zurück, so muß ich sagen, daß sie recht 
hölzern und ungeschickt ausfielen. Unsere Rechts 
lehrer, die nie in der Praxis gewesen sind, haben 
gewiß keine Ahnung davon, wie ganz anders in 
dieser die Dinge sich ausnehmen, als in der Theo 
rie, und wie einem hier unzählige Fragen ent 
gegentreten, die einem, trotz aller gehörten Vor 
lesungen, völlig fremd sind. Nach einiger Zeit fand 
ich mich aber doch besser in die Dinge hinein und 
wußte mir namentlich auch den knappen Sprach 
gebrauch der Urteile anzueignen. Bei der Quali 
fikationsfeststellung im Herbst 1839 erhielt ich schon 
ein weit besseres Zeugnis. Ich arbeitete nun rüstig 
fort, und im Frühjahr 1841 lautete mein Zeugnis 
sehr gut, und es wurde meine Befähigung zum 
Richteramte ausgesprochen. (Fortsetzung folgt.) 
Biedenkopf. 
Eine Plauderei. 
So bin ich also diesmal in mein liebes Hinter 
land auf so ganz anderen Wegen gekommen! Sonst 
pflegte der Weg dahin für mich nur von Marburg 
aus zu führen zum alten Biedenkap, das sich 
so traulich an seinen Burgberg schmiegt. Diesmal 
kam ich durchs Sauerland und hatte in den klaren 
Wellen der Lenne und Olpe schon meine liebe 
Edder, die alte, traute Lahn vorgeahnt. 
Vorfrühlingsabend! Von Kreuzthal aus klet 
terte die Bahn über das Rothaargebirge weg in 
Windungen, wie sie sonst nur die Alpenbahnen 
kennen; die düstern Tannen stehen wie scharf- 
linige Wälle gegen den lichtblauen Märzenhimmel, 
leichte weiße Wolkenstreifen ziehen sich dorten hin, 
und in einer Station, in der wir länger halten. 
grüßt mich das Flöten der Amsel! Zwischen brei 
ten Wiesenflächen hin, die noch wintergelb sind, 
zieht sich ein lustig rauschendes Bächlein: die 
Edder ist's! Doch nicht lange begleitet sie uns; 
Über Felder, auf denen hier und da die lang 
wallende Fahne eines Feldfeuers sich senkte, im 
Scheine der letzten Abendsonne, an Waldhängen 
entlang rollt die Eisenschlange über die letzte 
Wasserscheide, und ich grüße die junge Lahn. 
Völlige Dämmerung liegt über den Wäldern, 
die ihr Tal säumen, und schon fast dunkel ist's, 
als ich in Biedenkopf anlange. 
Hinauf zum Markt! Die alte Gasse, die ich 
hinansteige, bin ich einst mit Freunden herunter 
gekommen: die Zupfgeige klang, und fünf lustige
	        

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