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Savigny (1814) sagen konnte, „in Hessen sei die
Rechtspflege schon längst gut und schnell gewesen".
Indessen war doch viel Schleppendes noch bestehen
geblieben. Diesem machte ein Prozeßgesetz vom
Jahre. 1834 ein Ende, indem es einen äußerst
knappen schriftlichen Prozeß schuf. Das Gericht
hatte für Zustellung seiner Verfügungen und Ur
teile von Amtswegen zu sorgen. Alle Fristen liefen
von selbst, ohne Ungehorsamsanklage. Alle Nach
holungen, bessere Einlassung, besserer Beweis usw.
wurden abgeschnitten. Unbestimmte Behauptungen
galten als nicht vorgebracht, unbestimmte Erklä
rungen als Eingeständnis. Die Berufung gegen
Zwischenurteile, wurde aufgehoben.. Das Beweis
interlokut wurde zwar beibehalten, allein es hatte,
für den höheren Richter keine bindende Kraft.
Jede Instanz mußte den Prozeß ohne Unter
brechung bis zum Endurteile durchführen. So
verlief der Prozeß durchweg in zwei oder drei
Instanzen. Dies, alles war, der Verlotterung des
früheren Prozesses gegenüber, für das prozeßfüh
rende Publikum die größte Wohltat. Für den
Juristenstand aber lag darin eine vortreffliche
Schule. Er gewöhnte sich daran, scharf den Tat
sachen auf den Grund zu gehen. Wohl blieb diese
Schärfe nicht ganz ohne Schattenseite. Gar manche
Behauptung mußte sich gefallen lassen, als „nicht
genügend substantiiert" verworfen, gar manche Er
klärung als „zu unbestimmt" für ein Zugeständ
nis erachtet zu werden. Es fehlte eben in diesem
Verfahren die Erläuterungsinstanz, wie sie nur
eine an die Schriften sich anschließende mündliche
Verhandlung zu gewähren vermag. Trotzdem hat
dieser Prozeß mit seiner Schärfe wesentlich dazu
beigetragen, in Kurhessen àen tüchtigen Anwall
und Richterstand zu erziehen. Und ich selbst habe
öfters an diese Schule zurückdenken müssen, wenn
ich später im Leben gewahrte, daß es Juristen
gibt, die kaum wußten, was eine Tatsache ist.
Seit einer Verordnung vom Jahre 1816 waren,
die hessischen Gerichte verpflichtet, zu ihren Ur
teilen Entscheidungsgründe zu geben. Es geschah
dies nach Vorgang des Oberappellationsgerichts
durchweg in der Form, „in Erwägung, daß usw."
Diese Form war zwar sehr steif und etwas unbe
holfen. Aber sie trug doch eine gewisse Nötigung
in sich zur Knappheit und Bestimmtheit des Aus
druckes, und sie bewahrte vor Redseligkeit und
Phrasentum. Nie wurde auch in diesen Urteilen
etwas anderes zitiert, als Gesetze. Später gin
gen, vornehmlich auf meine Anregung, die hessi
schen Gerichte (seit 1864 auch das Oberappella
tionsgericht) zu der freieren Form der Entschei
dungsgründe über. Wer die alte Schule bewährte
doch insoweit ihre Kraft, daß man niemals in den
saloppen Ton verfiel, dem sich heute viele Richter
in ihren Urteilen hingeben.
Denke ich an die ersten Relationen, die ich
anfertigte, zurück, so muß ich sagen, daß sie recht
hölzern und ungeschickt ausfielen. Unsere Rechts
lehrer, die nie in der Praxis gewesen sind, haben
gewiß keine Ahnung davon, wie ganz anders in
dieser die Dinge sich ausnehmen, als in der Theo
rie, und wie einem hier unzählige Fragen ent
gegentreten, die einem, trotz aller gehörten Vor
lesungen, völlig fremd sind. Nach einiger Zeit fand
ich mich aber doch besser in die Dinge hinein und
wußte mir namentlich auch den knappen Sprach
gebrauch der Urteile anzueignen. Bei der Quali
fikationsfeststellung im Herbst 1839 erhielt ich schon
ein weit besseres Zeugnis. Ich arbeitete nun rüstig
fort, und im Frühjahr 1841 lautete mein Zeugnis
sehr gut, und es wurde meine Befähigung zum
Richteramte ausgesprochen. (Fortsetzung folgt.)
Biedenkopf.
Eine Plauderei.
So bin ich also diesmal in mein liebes Hinter
land auf so ganz anderen Wegen gekommen! Sonst
pflegte der Weg dahin für mich nur von Marburg
aus zu führen zum alten Biedenkap, das sich
so traulich an seinen Burgberg schmiegt. Diesmal
kam ich durchs Sauerland und hatte in den klaren
Wellen der Lenne und Olpe schon meine liebe
Edder, die alte, traute Lahn vorgeahnt.
Vorfrühlingsabend! Von Kreuzthal aus klet
terte die Bahn über das Rothaargebirge weg in
Windungen, wie sie sonst nur die Alpenbahnen
kennen; die düstern Tannen stehen wie scharf-
linige Wälle gegen den lichtblauen Märzenhimmel,
leichte weiße Wolkenstreifen ziehen sich dorten hin,
und in einer Station, in der wir länger halten.
grüßt mich das Flöten der Amsel! Zwischen brei
ten Wiesenflächen hin, die noch wintergelb sind,
zieht sich ein lustig rauschendes Bächlein: die
Edder ist's! Doch nicht lange begleitet sie uns;
Über Felder, auf denen hier und da die lang
wallende Fahne eines Feldfeuers sich senkte, im
Scheine der letzten Abendsonne, an Waldhängen
entlang rollt die Eisenschlange über die letzte
Wasserscheide, und ich grüße die junge Lahn.
Völlige Dämmerung liegt über den Wäldern,
die ihr Tal säumen, und schon fast dunkel ist's,
als ich in Biedenkopf anlange.
Hinauf zum Markt! Die alte Gasse, die ich
hinansteige, bin ich einst mit Freunden herunter
gekommen: die Zupfgeige klang, und fünf lustige