SS8L. 215
Wenn acht solche alte Krieger wie wir, die von
Kriegsanfang ansgehalten haben, plötzlich mit
einem Jüngling als Vorgesetzten beglückt werden,
so löst das unangenehme Empfindungen aus. Aber
schließlich kämm wir überein: Er ist nun einmal
auf dm gleichen Platz gestellt worden wie wir,
also wollen wir ihm auch behilflich sein, in die
keineswegs leichten Geheimnisse des Schützen
grabenkrieges einzudringen.
Dachten wir, er würde vor dem Unterstände,
der ihm nun zusammen mit vier Mann von uns
als Heim dienm sollte, erschrecken, so irrten wir
uns ganz gewaltig. Im Gegenteil hatte er an
allem eine knabenhafte Freude: an unseren Wand-
brettem, an dem Kronleuchter, der aus einer Brat
heringsbüchse bestand, und den verschiedmen Klei
nigkeiten, mit dmm der Frontsoldat versucht, sein
aller Bequemlichkeit entblößtes Dasein etwas an-
gmehmer zu gestalten.
Beim Schlafen machte er sich noch schmäler als
er ohnehin schon war und hatte auch seine Sieben-
sachm in die femste Ecke gepackt, um ja keinem
von uns den knappen Raum zu schmälern.
Die erstm zwei Tage war er ziemlich still,
bald aber ging er aus sich heraus. „Aha, er be
ginnt, sich zu orientieren!" Schwertners Herz er
oberte er sich im Sturme, als er ihm eine Schach
tel Zigarettm verehrte und ihn um die Erlaubnis
bat, ihn „Kamerad" nennen zu dürfen. Am glei
chen Abende schlug er das allgemeine „Du" inner
halb der Gruppe vor. Also, er schien gapz „dufte"
zu werden.
Bald rannte er im ganzen Graben herum, und
es war gerade, als hätte er sich die Aufgabe ge
stellt, mit sämtlichen Abwehrmaßnahmen usw.
innerhalb acht Tagen vertraut zu werden. Zuerst
hielten ihn die Mannschaften für einen „Stän
ker", die unbeliebteste Sorte Menschen, die es
in der Armee gibt. Bald aber erschloß sich seinem
Eifer manch rauhes Herz, und es dauerte nicht
lange, da wurde unser „Egon" (schon der Name
ist zart, nicht?) unglaublich klug.
Stundenweise hatte er den Arbeitern im Minen
stollen die Hacke aus der Hand genommen und
mitgearbeitet, von den Blasen, die er auf seinen
zarten Patschen bekam, aber niemandem etwas
gesagt. Dann übte er wieder mal am Zielfern
rohr, entwarf eine Skizze des eigenen wie des
feindlichen Grabensystems und schien überhaupt
etwas anderes als Dienst gar nicht zu kennen.
Seine Uniform hatte ihre Salonschönheit gar
bald verloren, auf der Oberlippe begann ein zarter
Flaum zu sprossen und Gesicht und Hände bräun
ten sich. So gefiel er uns schon besser.
Mit besonderer Vorliebe stand er beim Ma
schinengewehr und ließ sich dessen Konstruktion und
Handhabung erklären, obwohl er damit eigentlich
nichts zu tun hatte.
Eins nur ärgerte ihn: Daß es in unserer Stel
lung so ruhig zuging. Wenn wir in unserem
Unterstände saßen und frühere Erlebnisse aus
tauschten, vom Vormärsche in Belgien, dem Maas
übergang, den Kämpfen auf der Lorettohöhe er
zählten, da sah er uns mit Blicken an, aus denen
unverkennbarer Neid sprach, daß wir so vieles er
leben durften.
„Was gibt es denn eigentlich hier? Ab und
zu kommen mal ein paar. Granaten, vormittags
und nachmittags ein Flieger, aber sonst ist es hier
auch nicht viel anders als daheim auf dem Trup
penübungsplatz." Bei solchen Gefühlsausbrüchen
konnten wir uns des Lachens nicht erwehren.
„Junge, Junge!" sagte dann wohl einer, „sei
froh, daß es hier so gemütlich zugeht. Noch ist
der Krieg nicht zu Ende, und wir wissen nicht,
was uns bevorsteht."
Sein Tatendrang kannte aber keine Grenzen
und bei der ersten Gelegenheit ging er mit auf
Patrouille. Das gefiel ihm schon besser, und wer
ihn mitnahm, brauchte es auch nicht zu bereuen,
denn er benahm sich durchaus .wie ein „Alter".
Bald sollte er Gelegenheit finden, zu zeigen,
ob seine Nerven so stark wie seine Begeisterung sein
würden. * *
*
Seit zwei Tagen und Nächten schon war von
feindlicher Seite kein Schuß gefallen. Daß hier
etwas nicht in Ordnung war, brauchte uns niemand
erst zu sagen, und der Befehl „Höchste Gefechts
bereitschaft!" kam uns durchaus nicht unerwartet.
Die Stunden vor einem Angriffe sind unange
nehmer als der Angriff selbst. Man befindet
sich in einem Zustande hochgradiger Erregung und
Nervenanspannung, der ermattend wirkt. Man
mag nicht schlafen, nicht essen, nicht trinken und
erwartet fieberhaft das Kommende. Nur geraucht
wird bis zum letzten Augenblicke.
Wie auf Kommando bricht die Hölle los. Das
ist nicht mehr die harmlose Grabenbeschießung
mit zwei, drei Geschützen^ deren Geschoßbahnen
man vorausahnend entweichen konnte, das sind
Dutzende von Geschützen, viele Batterien, bk sich
gegen den Abschnitt unseres Regimentes ver
einigt hatten.
Wo war „Egon"? Wir vermuteten, ihn
schreckensbleich in irgend einer Ecke zu finden, aber
weit gefehlt, er stand seelenruhig an einer Schieß
scharte und beobachtete, aufs höchste interessiert,
den Einschlag der Granaten im Vorgelände. Um