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wollten mich Neuling nicht haben. Wer im Früh
jahr 1826 schloß ich mit einem Nachbarjungen
Philipp Holzapfel — er war der Sohn eines gegen
über wohnenden reichen Krämers und ein Jahr
älter als ich — förmlich Frieden. Von da an
waren wir die besten Kumpane, und da wir die
Honorationen der Gegend waren, so beherrschten
wir den ganzen Klosterplatz. Auf diesem wurde
dann auch viel herumgetummelt. Außerdem habe
ich noch von früher Jugend an einen Freund in
Julius Schomburg *) gehabt. Meine Mutter hatte
seine Mutter kennen gelernt, und obgleich diese
eine ziemlich unbedeutende Frau war, hielt doch
meine Mutter an ihr fest, weil sie erkannte, daß
der Vater Schomburg **) ein bedeutender Mann
war, und weil sie diese Verbindung mir erhalten
wollte. So wurden wir Jungen zusammenge
bracht und sind bis auf den heutigen Tag gute
Freunde geblieben. Längere Jahre kam Julius
Schomburg alle Mittwoch und Sonnabend Nach
mittag zu uns, und meine Mutter gab uns zu-
sammen Zeichenstunde.
Im Sommer 1827 besuchte uns die Tante Li-
vonius abermals und war mehrere Monate bei
uns. Es ist mir noch erinnerlich, daß damals
Werner Herrschet (der spätere Professor) eine Land
partie herrichtete, wobei er uns nach Spikers-
hausen und dem Kragenhof führte, eine damals
noch ganz unbekannte Gegend. Wir waren alle
ganz entzückt davon. Ich wurde natürlich mit
genommen.
Es traten dann im Jahre 1827 noch mehrere
Ereignisse ein, die für mich von Bedeutung waren.
Es kamen zwei Vettern, Karl Reinhold und Karl
von Monroy, als Studenten nach Göttingen, und
sie besuchten uns mehrere Jahre lang immer in
den Ferien. Karl Reinhold war Mathematiker,
und er unterrichtete mich in manchen mathe
matischen Dingen, was mich sehr interessierte.
In dieser Beziehung war es für mich auch lehrreich,
daß wir bei Henschels wohnten. Denn wenn auch
deren Geschäft damals noch höchst unbedeutend
war, so sah ich doch manches von Maschinen
werk und nahm Interesse daran.
Ferner kam im Herbst 1828 Pauline Franke
durch Vermittelung meiner Tante zu uns und
blieb bei uns drei Jahre lang, um sich der Malerei
zu widmen. Sie war die Tochter des Super
intendenten Franke in Güstrow. Meine Schwester
Sophie war während dieser Zeit im Frankeschen
Hause. Pauline war ein' liebenswürdiges, etwas
schwärmerisches Mädchen und ich hing sehr an
*) Als Geheimer Staatsrat in Weimar gestorben.
**) Oberbürgermeister von Kassel.
ihr. Wir gingen viel zusammen spazieren und
dabei wurde dann auch nach der Natur gezeich
net. Ich hörte auch durch ihre Anwesenheit viel
Über Kunst sprechen, wodurch ich manches ge
lernt habe. So hat sie auf meine ganze Heran
bildung einen gewissen Einfluß geübt. Eine
Kreidezeichnung von mir und ein Ölbild von un
serer Familie, die sie während ihres Kasseler
Aufenthalts anfertigte, sind noch vorhanden. Spä
ter hat sie (in Berlin) den Bildhauer Steinhäuser
kennen gelernt und geheiratet, ist mit ihm nach
Rom gegangen, dort katholisch geworden und dann
in den sechziger Jahren gestorben.^
IJm Herbst 1827 verlobte sich auch meine
Schwester Hannchen mit dem Zuckerfabrikanten
Schäfer. Er war klein und häßlich, 44 Jahre
alt; sie war 19 Jahre alt und sehr hübsch. Er
war ein braver und in seinem Geschäft eifrig
tätiger Mann. Er trug seine Frau auf den
Händen. Am 2. März 1828 war die Hochzeit.
Bei dieser Gelegenheit sah ich zuerst einen völlig
betrunkenen Menschen; meinen Vetter Karl Mon
roy, der gänzlich abfiel.
In Quinta blieb ich, weil ich noch so klein
war, 21/2 Jahre. Auf Ostern 1827 bekam ich eine
Prämie („Compes Seelenlehre", die ich noch be
sitze) und wurde nach Quarta versetzt.
Um diese Zeit ließ mir auch meine Mutter,
weil ich gar so schlecht schrieb, noch eine Schreib
stunde geben, bei dem Sohne des Torschreibers
Müller in der Wache am Holländischen Tor. Die
Stunde kostete für den Monat einen, halben Taler.
Mer mein Vater durfte es nicht wissen. Nach
«drei Monaten schrieb ich eine leidliche Hand
schrift.
Längere Zeit habe ich noch eine lateinische
Stunde bei einem Herrn Knoop gehabt, zusammen
mit Ferdinand Waldmann, dem ich dadurch nahe
trat. Er war einer meiner begabtesten Freunde
und starb dann leider als Assessor schon im Jahre
1847 an Auszehrung.
Im Mai 1828 machte ich zum ersten Male
einen größeren Ausflug; ich unternahm mit zwei
Schulkameraden einen Gang nach dem Dörnberg.
Natürlich hatte jeder von uns einen Ranzen mit
Lebensmitteln auf dem Mcken. . Die Partie ver
lief aber nicht ganz glücklich. Schon früh mor
gens verlor ich meine Mütze (ich hatte sie, weil
mir zu heiß wurde, unter den Ranzen gesteckt) und
mußte nun den ganzen Weg barhaupt machen.
Als wir dann den Dörnberg hinanstiegen, kam
eim Gewitterregen und wir wurden putschenaß.
Wir kamen also gar nicht auf die Höhe, liefen
Galopp in das Dorf zurück und traten etwas trüb
selig 'den Rückweg an.