Full text: Hessenland (31.1917)

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wollten mich Neuling nicht haben. Wer im Früh 
jahr 1826 schloß ich mit einem Nachbarjungen 
Philipp Holzapfel — er war der Sohn eines gegen 
über wohnenden reichen Krämers und ein Jahr 
älter als ich — förmlich Frieden. Von da an 
waren wir die besten Kumpane, und da wir die 
Honorationen der Gegend waren, so beherrschten 
wir den ganzen Klosterplatz. Auf diesem wurde 
dann auch viel herumgetummelt. Außerdem habe 
ich noch von früher Jugend an einen Freund in 
Julius Schomburg *) gehabt. Meine Mutter hatte 
seine Mutter kennen gelernt, und obgleich diese 
eine ziemlich unbedeutende Frau war, hielt doch 
meine Mutter an ihr fest, weil sie erkannte, daß 
der Vater Schomburg **) ein bedeutender Mann 
war, und weil sie diese Verbindung mir erhalten 
wollte. So wurden wir Jungen zusammenge 
bracht und sind bis auf den heutigen Tag gute 
Freunde geblieben. Längere Jahre kam Julius 
Schomburg alle Mittwoch und Sonnabend Nach 
mittag zu uns, und meine Mutter gab uns zu- 
sammen Zeichenstunde. 
Im Sommer 1827 besuchte uns die Tante Li- 
vonius abermals und war mehrere Monate bei 
uns. Es ist mir noch erinnerlich, daß damals 
Werner Herrschet (der spätere Professor) eine Land 
partie herrichtete, wobei er uns nach Spikers- 
hausen und dem Kragenhof führte, eine damals 
noch ganz unbekannte Gegend. Wir waren alle 
ganz entzückt davon. Ich wurde natürlich mit 
genommen. 
Es traten dann im Jahre 1827 noch mehrere 
Ereignisse ein, die für mich von Bedeutung waren. 
Es kamen zwei Vettern, Karl Reinhold und Karl 
von Monroy, als Studenten nach Göttingen, und 
sie besuchten uns mehrere Jahre lang immer in 
den Ferien. Karl Reinhold war Mathematiker, 
und er unterrichtete mich in manchen mathe 
matischen Dingen, was mich sehr interessierte. 
In dieser Beziehung war es für mich auch lehrreich, 
daß wir bei Henschels wohnten. Denn wenn auch 
deren Geschäft damals noch höchst unbedeutend 
war, so sah ich doch manches von Maschinen 
werk und nahm Interesse daran. 
Ferner kam im Herbst 1828 Pauline Franke 
durch Vermittelung meiner Tante zu uns und 
blieb bei uns drei Jahre lang, um sich der Malerei 
zu widmen. Sie war die Tochter des Super 
intendenten Franke in Güstrow. Meine Schwester 
Sophie war während dieser Zeit im Frankeschen 
Hause. Pauline war ein' liebenswürdiges, etwas 
schwärmerisches Mädchen und ich hing sehr an 
*) Als Geheimer Staatsrat in Weimar gestorben. 
**) Oberbürgermeister von Kassel. 
ihr. Wir gingen viel zusammen spazieren und 
dabei wurde dann auch nach der Natur gezeich 
net. Ich hörte auch durch ihre Anwesenheit viel 
Über Kunst sprechen, wodurch ich manches ge 
lernt habe. So hat sie auf meine ganze Heran 
bildung einen gewissen Einfluß geübt. Eine 
Kreidezeichnung von mir und ein Ölbild von un 
serer Familie, die sie während ihres Kasseler 
Aufenthalts anfertigte, sind noch vorhanden. Spä 
ter hat sie (in Berlin) den Bildhauer Steinhäuser 
kennen gelernt und geheiratet, ist mit ihm nach 
Rom gegangen, dort katholisch geworden und dann 
in den sechziger Jahren gestorben.^ 
IJm Herbst 1827 verlobte sich auch meine 
Schwester Hannchen mit dem Zuckerfabrikanten 
Schäfer. Er war klein und häßlich, 44 Jahre 
alt; sie war 19 Jahre alt und sehr hübsch. Er 
war ein braver und in seinem Geschäft eifrig 
tätiger Mann. Er trug seine Frau auf den 
Händen. Am 2. März 1828 war die Hochzeit. 
Bei dieser Gelegenheit sah ich zuerst einen völlig 
betrunkenen Menschen; meinen Vetter Karl Mon 
roy, der gänzlich abfiel. 
In Quinta blieb ich, weil ich noch so klein 
war, 21/2 Jahre. Auf Ostern 1827 bekam ich eine 
Prämie („Compes Seelenlehre", die ich noch be 
sitze) und wurde nach Quarta versetzt. 
Um diese Zeit ließ mir auch meine Mutter, 
weil ich gar so schlecht schrieb, noch eine Schreib 
stunde geben, bei dem Sohne des Torschreibers 
Müller in der Wache am Holländischen Tor. Die 
Stunde kostete für den Monat einen, halben Taler. 
Mer mein Vater durfte es nicht wissen. Nach 
«drei Monaten schrieb ich eine leidliche Hand 
schrift. 
Längere Zeit habe ich noch eine lateinische 
Stunde bei einem Herrn Knoop gehabt, zusammen 
mit Ferdinand Waldmann, dem ich dadurch nahe 
trat. Er war einer meiner begabtesten Freunde 
und starb dann leider als Assessor schon im Jahre 
1847 an Auszehrung. 
Im Mai 1828 machte ich zum ersten Male 
einen größeren Ausflug; ich unternahm mit zwei 
Schulkameraden einen Gang nach dem Dörnberg. 
Natürlich hatte jeder von uns einen Ranzen mit 
Lebensmitteln auf dem Mcken. . Die Partie ver 
lief aber nicht ganz glücklich. Schon früh mor 
gens verlor ich meine Mütze (ich hatte sie, weil 
mir zu heiß wurde, unter den Ranzen gesteckt) und 
mußte nun den ganzen Weg barhaupt machen. 
Als wir dann den Dörnberg hinanstiegen, kam 
eim Gewitterregen und wir wurden putschenaß. 
Wir kamen also gar nicht auf die Höhe, liefen 
Galopp in das Dorf zurück und traten etwas trüb 
selig 'den Rückweg an.
	        

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