Full text: Hessenland (30.1916)

des von ihr gestifteten Hospitals beigesetzt, aber 
schon begann man einen neuen Kirchenbau über 
ihrem Grabe aufzuführen, noch im Geiste der zur 
Rüste gehenden Zeit, eine Basilika, deren Voll 
endung in das Jahr 1232 fällt. Und gewiß auch 
von dem gleichen Geiste war die Feier getragen, 
in der Kaiser Friedrich II. am 1. Mai 1236 die 
Gebeine der Heiligen erhob, — geistliche und welt 
liche Fürsten folgten, in vollster Fürstenpracht 
strahlend, dem Kaiser, — auch er trug des Reiches 
Krone, aber sonst umgab ihn dasselbe schlichte graue 
Gewand, wie es St. Elisabeth getragen. 
Aber wie hier das Bußgewand des Kaisers sich 
eigenartig von der prunkvollen Umgebung abhob, 
so mochte auch, der Beginn der Arbeiten zu der am 
14. August 1235 gegründeten gotischen Domkirche 
sich scharf von der Basilika unterscheiden, die gewiß 
nicht ohne den Prunk dastand, wie ihn andere zeit 
genössische Bauwerke zeigen, wie wir ihn an der 
Kaiserpfalz, an St. Marien zu Gelnhausen be 
wundern. 
Das Leben der Armut, abgewandt von dem 
Prunke des Irdischen, hatte St. Elisabeth gelebt, 
es war ein Zeitideal geworden, unter dem Ein 
flüsse verschiedenster Elemente, — als eine Re 
aktion gegen den mehr und mehr sich häufenden 
Luxus. — Kaiser Friedrich II., völlig aufgegangen 
in seiner Vorliebe für Italien und seine Überkultur, 
durch seine Hofhaltung zu Palermo, trug auf welt 
lichem Gebiete nicht wenig dazu bei, daß das Volk 
sich wieder mehr seinen Stammesfürsten näherte, — 
in der Kirche aber, die damals noch das geistige 
Leben zumeist beherrschte, ward das Ideal der Ar 
mut als der einzige Weg zum Heile immer popu 
lärer. Schon hatten Humiliaten und Waldenser 
sich in ausgesprochener Opposition gegen die immer 
mehr in Äußerlichkeiten versinkende Kirche auf die 
Predigt der Armut geworfen, da lenkten der heilige 
Franz von Assisi und der heilige Dominikus die 
ganze Bewegung in das Fahrwasser der Kirche, — 
und als Reformator des bis dahin fast allein das 
geistige Leben beherrschenden Ordens der Benedik 
tiner fühlte sich Bernhard von Clairvaux berufen, 
als er von seinem Kloster Citeaux aus diese Auf 
gabe zu lösen trachtete. 
Was bisher den Schmuck der Basiliken aus 
gemacht, was an römischen und byzantinischen 
Vorbildern erlernt und dann eigenartig weiter 
gebildet war, die reiche figürliche Darstellung und 
die Polychromie, das ward verworfen. „Bunte Bil 
der, gestickte Gewänder, bemalte Behänge, farbige 
Fenster, das alles frönt der Augen Lust, und nicht 
der Seele Heil", so sagte der Zisterzienser, und 
Bernhard von Clairvaux ward noch deutlicher, als 
er schrieb: „Die Affen und die Löwen, die un- 
geheuerlichen Zentauren und gefleckten Tiger, die 
Krieger im Sturm und die Jäger, die ins Horn 
stoßen, was sollen sie im Hause Gottes? Unter 
einem Kopfe siehst du viele Leiber, und auf einem 
Leibe viele Köpfe. Dem Vierfüßler gibt man den 
Schwanz einer Schlange und dem Fisch das Haupt 
eines Vierfüßlers." 
Es war ein Bildersturm, der so anhob, aber es 
ist das Eigenartige, daß nun nicht Zerstörung, 
sondern ein neues, reiches Leben aus diesem Sturm 
hervorging, — wie auch noch später eine erneute 
Durchgeistigung des Gedankens der Kirche in den 
deutschen katholischen Gebieten das reiche Barock 
erblühen ließ, während dort, wo die Reformation 
Bilder stürzte (leider hat gerade in Niederhessen 
der Kalvinismus Moritz's sich darin ausgezeichnet) 
nur Trümmer einstiger Herrlichkeit oder leere 
Nischen geblieben sind, — nicht aber eine neue 
Kunstform Leben gewann. 
Mit ihren Gedanken über eine Reform des 
Klosterlebens, der Klosterarchitektur, wurden die 
Zisterzienser die Träger der Gotik. Wohl hatte 
sich schon eine Zwischenstufe zwischen der sinkenden 
Romanik und dem neu aufblühenden Stile ent 
wickelt aus technischen Fortschritten heraus *), aber 
planmäßig diesen neuen Stil ausgebildet zu haben, 
ist wohl doch in erster Linie zisterzienserisches Ver 
dienst. Wie sehr gerade dies für St. Elisabeth gilt, 
zeigen die Untersuchungen O. Liemke's über den 
Hainaer Klosterbau. Hier hat sich höchstwahrschein 
lich der Meister, der vom Wetzlarer Dom zum Bau 
der Hainaer Klosterkirche herangezogen, erst völlig 
in den Formenschatz der Gotik hineingelebt, und 
von hier aus wandte er sich dann der größeren 
Aufgabe, dem Baue von St. Elisabeth in Marburg, 
zu, — so daß dieser mit der großen Entwicklungs 
reihe der westdeutschen gotischen Bauwerke ange 
hört. In jungfräulicher Herbheit noch recken sich 
die Linien der St. Elisabethkirche auf, — gegenüber 
den reichen Gliederungen der späteren Werke der 
Gotik dastehend wie der knospende März im Ver 
gleiche mit den blütenreichen Tagen des Maien. — 
* * 
* 
Über St. Elisabethen Grab stieg der Bau gen 
Himmel empor, und Ablässe dreier Päpste sowie die 
Förderung der verschiedensten geistlichen Würden 
träger steigerten die Pilgerfahrten zu dem Grabe 
der Heiligen. Marburgs Bedeutung mußte damit 
ganz beträchtlich wachsen und die alten geistlichen 
Mittelpunkte des Hessenlandes in den Hintergrund 
drängen. Wohl war Fritzlar die Stätte, in deren 
Nähe Bonifatius seine entscheidende Tat für die 
*) Lamprecht, Deutsche Geschichte IV, S. 277 ff.
	        

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