Heldentum.
Erzählung von Heinrich Bertelmann.
(Schluß.)
In einer Danziger Villa war's.
„Unteroffizier Heinz Mergard aus Kassel" las
Maria eines Morgens über dem Bett des zuletzt
Eingebrachten und hielt den Atem an.
Den Fiebernden umfing endloser Schlaf. Stau-
nend kehrte Maria immer wieder an sein Bett
zurück und versuchte in den schmerzverzerrten Zügen
zu lesen. War das noch jenes begeisterte Gesicht,
dem sie auf dem Herkules begegnet war? Manch
mal öffneten sich die müden Lider, und ein
gläserner Blick blieb auf ihr haften, wenn sie die
schmachtenden Lippen mit einem Tuche feuchtete.
Wunderbar! Diesen Mann hatte sie seit jenen
Kasseler Tagen im Herzen getragen. In jeder
Zeitung hatte sie seinen Namen gesucht, ob er sich
nicht das Eiserne Kreuz errungen. Beklommen
überflog sie jede Verlustliste in Gedanken an ihn.
Und nun legte ihn der Himmel auf einmal in
ihre Hand. In heißen Gebeten baute sie ihm
einen Weg ins Leben zurück. Ach, wenn sie ihn
gesund pflegen könnte! Aber der Arzt ließ ihr
keine Hoffnung. Er würde sicher sterben, meinte
der eines Tages.
Sie biß bei dem Wort die Zähne aufeinander.
Draußen unter den Fenstern wartete das Meer,
das sie so lieb hatte. Ach, wie gern hätte sie ihm
das einmal gezeigt, ihm das Lied ihrer Heimat
gesungen, wie er das getan. Aber seine Lippen
öffneten sich zu keinem Wunsch und Wort.
Nur einmal glaubte sie einen Klang vernommen
zu haben, der, wohl im Traume gesprochen, sie
aufhorchen ließ: Herkules.
Das Wort setzte sich in ihrem Sinne fest und
geleitete sie Stunde um Stunde. Immer sah sie
ihn auf der Plattform des Riefenschloffes vor sich
stehen, tapfer und ruhig. Und oftmals, wenn sie
hinausfchaute auf den leuchtenden Wasserspiegel,
tauchte am Horizont das Bild des Habichtswaldes
auf, gekrönt mit der Herkulesgestalt. Dann schien
das metallene Bild lebendig zu werden, schritt
ihr entgegen mit den Zügen dessen, der hier im
Bett lag.
Zwei lange bange Wochen vergingen. Da er-
löste der Tod einen Helden. Maria drückte ihm
die Augen zu und sprach den Segen über ihn, den
Waldsegen seiner hessischen Heimat.
3.
So groß und hehr hatte sich keiner den 1. April
1915 gedacht. Statt rauschender Feste voll be-
geisternder Reden auf den Heros der Deutschen,
statt der Denkmalsweihe am Rhein heilige Gpfer-
tage voll stolzen Erlebens an bedrohten Grenzen
im Gst und West. Taten über Taten, vollendet
von einem Volke von Helden. In jedem einzelnen
kochte Bismarckblut. Die sich ehedem bitter be
kämpft, standen Hand in Hand, das heilige Erbe
Bismarcks mit ihrem Herzblut zu verteidigen.
Von der Eider bis zur Etsch war der deutsche
Gedanke noch nie inniger und tiefer erfaßt. All-
deutschland war wach und sich seiner hohen Auf
gabe bewußt. Konnte der Tag, an dem vor einem
Jahrhundert der Schöpfer dieses neuen Deutsch
land geboren wurde, herrlicher gefeiert werden?
Marthas jüngster Bruder, der mit dem Eisernen
Kreuz verwundet aus den Karpathenkämpfen nach
Kassel gekommen, war nun wieder soweit her-
gestellt, daß er einmal zu Berge steigen durste.
Heute war zu Ehren Bismarcks die erste Fahrt
geplant.
Die Schwester war so dankbar für ihr Glück,
den achtzehnjährigen Bruder hier zu haben. Täglich
besuchte sie ihn in seinem Wilhelmshöher Lazarett.
Wenn die beiden vom Fenster aus miteinander in
die Waldlandschaft schauten, war der Herkules
immer der Dritte im Bunde. Es bereitete der
beredten Schwester nicht geringes Vergnügen, den
Bruder über die Wilhelmshöher Anlagen zu unter
richten und vor ihm das Heldenbuch des hessischen
Volksstammes aufzuschlagen, dessen sechshundert-
jährige Geschichte um Tapferkeit und Treue weiß.
Dabei erlebte sie immer wieder von neuem den
Glückstag ihres Lebens, auf dessen Wiederkehr sie
hoffen durste.
Neben drei Brüdern wußte sie auch den im
Felde, dem sie sich da oben im Walde zu eigen
gegeben. Durch Brabant und Polen hatte sie ihn
in seinem aufopferungsvollen Dienste des Sama
ritertums liebend geleitet und pries es als ein
Wunder, daß er ihr noch lebte.
Für Gstern war ihm eine Erholungswoche zu-
gebilligt. Und das hatte er in seinem letzten
Briefe bestimmt: Auf der Verlobungsanzeige sollte
der Bismarcktag stehen, und das Riesenschloß
wollten sie zur Feier des Tages besuchen. Im
Banne des Herkules, dem er sein Glück danke,
wollten sie sich weihen fürs Kommende.
Seit vierzehn Tagen freilich war sie ohne Nach
richt von ihm. Aber sie hatte schon längere Zeit
räume abwarten müssen, das beunruhigte sie nicht.
Er würde sie gewiß in Person überraschen, dachte
sie und malte sich's aus in kindlicher Freude.