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zu. Wie sich's gehört, hatte der Himmel fein
schönstes Gesicht aufgesetzt. Heiß brannte die Sonne
auf die Straße und das goldene Korn. Berny
und Barleux zog an uns vorüber, unser früheres
Quartier le Mesnil kreuzten mir und dann fuhren
wir zu einem pioniertechnischen Wunder, der 540 m
langen schweren Kolonnenbrücke über die Somme
und ihre Sümpfe. Um 11 Uhr fuhren wir durch
die Mauern von Péronne, an den Lazaretten vor
bei zum „Deutschen Haus", wo wir bei echtem
Kulmbacher Abschied feierten.
1.46 Uhr fuhr der Zug nach St. Quentin ab.
Den mehrstündigen Aufenthalt dort benutzten wir
zu einem Bummel durch die Stadt zu den 6bamps
Elysées. Was war das hier für ein Betrieb! Die
Bevölkerung scheint ihr Los vergessen zu haben.
Kinder und junge Damen ganz in Weiß, die
Mütter saßen auf den Bänken im Schatten der
alten Bäume und stickten und häkelten, die elegante
Jugend (das männliche Geschlecht fehlt allerdings
völlig, wenn man unsere biederen Feldgrauen
nicht dazu rechnen will) bummelte in den An
lagen. Als wir wieder am Bahnhof ankamen,
fuhren in langen Reihen Autos des Roten Kreuzes
vor, die Massen von Schwerverwundeten brachten.
Bei Bapaume sollen heftige Kämpfe stattgefunden
haben.
Unsere Fahrt führt uns wieder durch weite
Ebenen, denen die zahlreichen, mit hohen Pappeln
bepflanzten schnurgeraden Staatsstraßen ein recht
langweiliges Aussehen verleihen bis Ternier. Wir
haben längeren Aufenthalt und können die hals
brecherischen Flugleistungen zweier Flieger, die
dicht über dem Erdboden ihre gefahrvollen Kunst
stücke machen, bewundern. Aber bald geht's weiter,
über Pionierbrücken fort und über breite Kanäle
weg. In unserm Abteil wird's gemütlich. Trom
meln und Pfeifen klingen im Nebenabteil, und
ein Kölsche Jung, ein Glasschleifer, erfreut uns
durch seinen prächtigen Tenor. „Dir will ich diese
Lieder weihn, geliebtes deutsches Vaterland!" Er
singt's mit Heller, herzlicher Begeisterung, ich singe
zweite Stimme dazu, alles lauscht andächtig. Und
dann geht das Erzählen los. „Wo hast Du ge
standen, Kamerad?" — „Hast Du auch Urlaub?"
— „Bist Du auch verheiratet?" — „Ich habe drei
Kinder daheim, eins ist schwerkrank, jetzt will ich
alle mal besuchen." So erzählten alle, um alle
war ein Band geschlungen, das Band der Freund
schaft und der Vaterlandsliebe, Herz fand sich zu
Herzen.
Laon! Wie ändert sich die Landschaft! Hoch
am Berge liegt weithin sichtbar der Friedhof, und
dahinter die türmereiche, prächtige Kathedrale, an
deren Fuß sich wie à grünes Band die geschnit
tenen Bäume einer geraden Allee um den Berg
herumziehen. Unser Aufenthalt im Städtchen war
nur kurz. Bald fuhren wir wieder durch die
Dämmerung hin. Es war lautlos still bei uns
geworden. Durch dichte Laubwälder fuhr keuchend
der dumpfe Zug, zur rechten hob sich tiesschwarz
ein waldiger Bergrücken am goldenen Himmel ab
Ab und zu ein kurzes Halten. Zwei schwer-
verwundete Franzosen wurden auf Tragbahren an
den Zug getragen. Wir nickten ihnen zu, sie ant
worteten mit einem müden Lächeln: „Bonjour
Lamerack!" — „Blessé? Lazarett bon!" — so
riefen ihnen unsere Feldgrauen aufmunternd zu;
jetzt waren's ja keine Feinde mehr. Alle wollten
ihnen etwas Gutes sagen. Man gab ihnen Ziga
retten, sie rauchten sie nicht, aber man sah ihr
freudiges Aufatmen. „Ganz so schlimm scheinen
diese doch nicht zu sein." — Und im ganzen Zug
war auch mitteilsame Freude, war es doch der
Zug, der uns alle in die teure Hàat führte.
Nachts fuhren wir durch Sedan und Montmédy.
Wir haben nichts von den historischen Städten
gesehen. An uns vorüber fuhren keuchend und
langsam endlose Munitionszüge, ein Lazarettzug
und Züge mit Truppen. Als der Morgen graute,
fuhren wir durch altes Kampfgebiet, das völlig
zerstörte Longuyon, und manch zerschossenes und
verbranntes Nest sahen wir. Um 6 Uhr war Metz
erreicht. Also endlich wieder in Deutschland. Wir
wichen jetzt nicht mehr vom Fenster. Und dann
kam Straßburg. Wirklich, das ist ein deutsches
Nest. Wie wurden wir da empfangen! Täglich
kommen doch hier solche endlosen Züge an, und
das soll immer hier so sein? Wir konnten unsere
Tränen allesamt nicht zurückhalten, aber wir schauten
alle zum Fenster hinaus, der eine wollte sie vor
dem andern verbergen. An allen Bahnkreuzungen
schrien sie Hurra, aus allen Fenstern winkten sie
uns zu, und liebe, kleine Mädels (Herr Gott,
deutsche Mädels) überhäuften uns mit Liebesgaben.
Und dann kam der Rhein. Der liebe, alte Rhein.
Der ganze Zug sang, wie wohl jeder Soldatenzug,
brausend die Wacht am Rhein. Wir sangen sie
zum Fenster naus mit; viel haben wir vor Freude
nicht singen können.
Am Schwarzwald ging's vorbei über Baden-
Baden, Stuttgart — durchs schöne Schwaben
ländle —, Ulm nach Ingolstadt. Und der nächste
Tag brachte mich heim zu meiner lieben Frau
und meinem Jungen ins Seligenthaler Pfarrhaus.
Und unsere Freude, die brauche ich wohl nicht
zu beschreiben. —
Wo geht's das nächste Mal hin?