Full text: Hessenland (30.1916)

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zu. Wie sich's gehört, hatte der Himmel fein 
schönstes Gesicht aufgesetzt. Heiß brannte die Sonne 
auf die Straße und das goldene Korn. Berny 
und Barleux zog an uns vorüber, unser früheres 
Quartier le Mesnil kreuzten mir und dann fuhren 
wir zu einem pioniertechnischen Wunder, der 540 m 
langen schweren Kolonnenbrücke über die Somme 
und ihre Sümpfe. Um 11 Uhr fuhren wir durch 
die Mauern von Péronne, an den Lazaretten vor 
bei zum „Deutschen Haus", wo wir bei echtem 
Kulmbacher Abschied feierten. 
1.46 Uhr fuhr der Zug nach St. Quentin ab. 
Den mehrstündigen Aufenthalt dort benutzten wir 
zu einem Bummel durch die Stadt zu den 6bamps 
Elysées. Was war das hier für ein Betrieb! Die 
Bevölkerung scheint ihr Los vergessen zu haben. 
Kinder und junge Damen ganz in Weiß, die 
Mütter saßen auf den Bänken im Schatten der 
alten Bäume und stickten und häkelten, die elegante 
Jugend (das männliche Geschlecht fehlt allerdings 
völlig, wenn man unsere biederen Feldgrauen 
nicht dazu rechnen will) bummelte in den An 
lagen. Als wir wieder am Bahnhof ankamen, 
fuhren in langen Reihen Autos des Roten Kreuzes 
vor, die Massen von Schwerverwundeten brachten. 
Bei Bapaume sollen heftige Kämpfe stattgefunden 
haben. 
Unsere Fahrt führt uns wieder durch weite 
Ebenen, denen die zahlreichen, mit hohen Pappeln 
bepflanzten schnurgeraden Staatsstraßen ein recht 
langweiliges Aussehen verleihen bis Ternier. Wir 
haben längeren Aufenthalt und können die hals 
brecherischen Flugleistungen zweier Flieger, die 
dicht über dem Erdboden ihre gefahrvollen Kunst 
stücke machen, bewundern. Aber bald geht's weiter, 
über Pionierbrücken fort und über breite Kanäle 
weg. In unserm Abteil wird's gemütlich. Trom 
meln und Pfeifen klingen im Nebenabteil, und 
ein Kölsche Jung, ein Glasschleifer, erfreut uns 
durch seinen prächtigen Tenor. „Dir will ich diese 
Lieder weihn, geliebtes deutsches Vaterland!" Er 
singt's mit Heller, herzlicher Begeisterung, ich singe 
zweite Stimme dazu, alles lauscht andächtig. Und 
dann geht das Erzählen los. „Wo hast Du ge 
standen, Kamerad?" — „Hast Du auch Urlaub?" 
— „Bist Du auch verheiratet?" — „Ich habe drei 
Kinder daheim, eins ist schwerkrank, jetzt will ich 
alle mal besuchen." So erzählten alle, um alle 
war ein Band geschlungen, das Band der Freund 
schaft und der Vaterlandsliebe, Herz fand sich zu 
Herzen. 
Laon! Wie ändert sich die Landschaft! Hoch 
am Berge liegt weithin sichtbar der Friedhof, und 
dahinter die türmereiche, prächtige Kathedrale, an 
deren Fuß sich wie à grünes Band die geschnit 
tenen Bäume einer geraden Allee um den Berg 
herumziehen. Unser Aufenthalt im Städtchen war 
nur kurz. Bald fuhren wir wieder durch die 
Dämmerung hin. Es war lautlos still bei uns 
geworden. Durch dichte Laubwälder fuhr keuchend 
der dumpfe Zug, zur rechten hob sich tiesschwarz 
ein waldiger Bergrücken am goldenen Himmel ab 
Ab und zu ein kurzes Halten. Zwei schwer- 
verwundete Franzosen wurden auf Tragbahren an 
den Zug getragen. Wir nickten ihnen zu, sie ant 
worteten mit einem müden Lächeln: „Bonjour 
Lamerack!" — „Blessé? Lazarett bon!" — so 
riefen ihnen unsere Feldgrauen aufmunternd zu; 
jetzt waren's ja keine Feinde mehr. Alle wollten 
ihnen etwas Gutes sagen. Man gab ihnen Ziga 
retten, sie rauchten sie nicht, aber man sah ihr 
freudiges Aufatmen. „Ganz so schlimm scheinen 
diese doch nicht zu sein." — Und im ganzen Zug 
war auch mitteilsame Freude, war es doch der 
Zug, der uns alle in die teure Hàat führte. 
Nachts fuhren wir durch Sedan und Montmédy. 
Wir haben nichts von den historischen Städten 
gesehen. An uns vorüber fuhren keuchend und 
langsam endlose Munitionszüge, ein Lazarettzug 
und Züge mit Truppen. Als der Morgen graute, 
fuhren wir durch altes Kampfgebiet, das völlig 
zerstörte Longuyon, und manch zerschossenes und 
verbranntes Nest sahen wir. Um 6 Uhr war Metz 
erreicht. Also endlich wieder in Deutschland. Wir 
wichen jetzt nicht mehr vom Fenster. Und dann 
kam Straßburg. Wirklich, das ist ein deutsches 
Nest. Wie wurden wir da empfangen! Täglich 
kommen doch hier solche endlosen Züge an, und 
das soll immer hier so sein? Wir konnten unsere 
Tränen allesamt nicht zurückhalten, aber wir schauten 
alle zum Fenster hinaus, der eine wollte sie vor 
dem andern verbergen. An allen Bahnkreuzungen 
schrien sie Hurra, aus allen Fenstern winkten sie 
uns zu, und liebe, kleine Mädels (Herr Gott, 
deutsche Mädels) überhäuften uns mit Liebesgaben. 
Und dann kam der Rhein. Der liebe, alte Rhein. 
Der ganze Zug sang, wie wohl jeder Soldatenzug, 
brausend die Wacht am Rhein. Wir sangen sie 
zum Fenster naus mit; viel haben wir vor Freude 
nicht singen können. 
Am Schwarzwald ging's vorbei über Baden- 
Baden, Stuttgart — durchs schöne Schwaben 
ländle —, Ulm nach Ingolstadt. Und der nächste 
Tag brachte mich heim zu meiner lieben Frau 
und meinem Jungen ins Seligenthaler Pfarrhaus. 
Und unsere Freude, die brauche ich wohl nicht 
zu beschreiben. — 
Wo geht's das nächste Mal hin?
	        

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