Full text: Hessenland (30.1916)

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dahin aussprach, „daß ein wesentlicher Zweck — 
vielleicht der vorzüglichste —, den die Akademie 
zu erreichen sich bestreben müsse, unstreitig der sei, 
die Vervollkommnung der Handwerker soweit wie 
möglich zu fördern und auf diese Weise zum all 
gemeinen Wohl des Landes mitzuwirken. Die 
bisherigen Bemühungen in dieser Beziehung seien 
zwar nicht ohne glücklichen Erfolg gewesen, indessen 
könne der ^Wirkungskreis noch in manchem Stück 
erweitert werden. Hierzu rechne er die Einrichtung 
einer besonderen Lehranstalt für Ornamente. Diese 
werde für jeden Handwerker von dem größten 
Nutzen fein.“ 5 ) Diese neue Klasse wurde. Ruhl 
unterm 9. Januar 1806 gegen eine jährliche Be 
soldung von 50 Talern anvertraut, der damals 
nach vollendeter Einrichtung des Wilhelmshöher 
Schlosses ausreichende Zeit zur Lehrtätigkeit hatte. 
Am 8. August 1806 erhielt er das Prädikat 
Professor. Später bezog er als Lehrer an der 
Klasse für Aktzeichnen und an der Ornamentklasse 
250 Taler Gehalt jährlich, für damalige Zeit schon 
einen erheblichen Betrag. 
Die Sparsamkeit des Kurfürsten Wilhelms I. ist 
bekannt. So war denn auch die Bezahlung Ruhls 
für die gelieferten Arbeiten stets eine recht geringe, 
und auch die Bestellungen beschränkten sich auf das 
Notwendigste. Das änderte sich, als im Dezember 
1807 König Jérôme die Regierung des neuge 
schaffenen Königreichs Westfalen übernommen 
hatte. Jetzt folgte Bestellung auf Bestellung. Eine 
der ersten Arbeiten für den König war die An 
fertigung einer Büste Jérômes in karrarischem 
Marmor. Diese Büste, von der Ruhl im Schlosse 
ein Tonmodell fertigte, zu dem ihm der König 
selbst saß, sollte in zahlreichen Stücken hergestellt 
werden, um damit Geschenke an die Verwandten 
des Königs, hohe Würdenträger usw. zu machen. 
Es wurde nun Marmor aus Carrara bezogen und 
auf dem Hofe des Ruhlschen Hauses entwickelte 
sich eine vom frühen Morgen bis in die späte 
Nacht im Betriebe befindliche Steinsägerei. Viele 
der roh vorgearbeiteten Steinblöcke sind bei der 
kurzen Dauer des Königsreichs gar nicht fertig 
bearbeitet worden. Auch für die Fürstenberger 
Porzellanfabrik, der der König seine besondere 
Gunst zuwandte und die er zu hoher- Blüte brachte, 
fertigte Ruhl kleine Modelle an, die den König 
und die Königin darstellten, sehr ähnlich waren und 
viel verbreitet wurden. Nach der Auflösung des 
Königreichs Westfalen hörte diese vielfache Be 
schäftigung Ruhls bald wieder auf. Kurfürst Wil 
helm I. war jetzt geradezu geizig geworden; Be 
stellungen erfolgten kaum noch. Ruhl, dem die 
6 ) Knackfuß, Geschichte der Kgl. Kunstakademie 
zu Kassel, S. 114. 
philosophische Fakultät der Universität Göttingen 
am 5. Oktober 1829 die Doktorwürde verlieh, 
wirkte auch ferner noch fast 30 Jahre als Professor 
an der Akademie, der er, als nach Vollendung 
des Wilhelmshöher Schlosses wie mit einem 
Schlage in Kassel die Künsttätigkeit aufhörte und 
die Akademie ihre Bedeutung verlieren mußte, 
durch Einführung des Unterrichts für Handwerker 
einen Daseinszweck gerettet hattet) Still und 
zurückgezogen tat er seine Pflicht bis zu seinem im 
Jahre 1842 erfolgten Tode. 
Diesem hervorragenden Künstler wurde nun im 
Jahre. 1809 die Anfertigung des Königlich west 
fälischen Thrones übertragen. Es handelte sich 
dabei um einen Prunksessel, der im Sitzungs 
saale der Reichsstände auf einer um mehrere 
Stufen erhöhten Bühne aufgestellt wurde, und 
über dem eine reichvergoldete Kuppel angebracht 
war. Der Thronsessel wurde hierher aber nur ge 
bracht, wenn er gebraucht werden sollte; in der 
Zwischenzeit stand er in dem als Möbelbewahrstelle 
(garde meuble) des Hofes eingerichteten Kunst 
haus am Steinweg, dem jetzigen Naturalien 
museum, in dem sich damals außerdem die Natu 
raliensammlung des Königs Jeröme, die dieser 
auf seinen Reisen zusammengebracht hatte, be 
fand?) Als Ruhl seine Arbeit beendigt hatte und 
der König sie besichtigte, war er sehr zufrieden, 
und als ihm Ruhl die Rechnung vorlegte, sagte er: 
„Ickoiwieur Rudi, pour le tröne äu Roi, il kaut 
mettre le double sur votre compte!" Die Rech 
nung mußte umgeschrieben werden, und Ruhl, der 
an die mäßigen Bezahlungen der hessischen Zeit 
gewohnt war, erhielt das Doppelte seiner Forde 
rung. 
Grandjean de Montigny, der Erbauer des 
Ständesaals, scheint auf sein Bauwerk recht stolz 
gewesen zu sein. Wenigstens hielt er es für an 
gebracht, darüber eine in der Kasseler Königlichen 
Druckerei hergestellte Monographie zu veröffent 
lichen. Diese enthält auch eine Abbildung des 
Thrones und eine Beschreibung, die ich hier wie 
dergebe?) „Der Thron, der bei Eröffnung der 
Stände den ganzen Platz des Präsidentensitzes, der 
Sekretärtische und der Rednerbühne einnimmt, er 
hebt sich auf einem doppelten Podium; er ruht 
auf einer Estrade von fünf Fuß Höhe. An beiden 
Seiten dieser Estrade befinden sich zwei Treppen 
von acht Stufen. Er ist gänzlich mit rotem * 7 
«) Knacksuß a. a. O. S. 196. 
7 ) Die Naturaliensammlung des Museums blieb im 
Museumsgebäude. Kamel und Elefant standen vor dem 
Eingang zum Ständesaal. 
®) Holtmeyer, Der Thron König Jörömes, in 
Hessen-Kunst 1914, woselbst sich auch eine Abbildung 
des Thrones befindet.
	        

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