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dreijochigen, aus dem Achteck geschlossenen Chor.
Als Wandstützen für die Rippen finden sich im
Chor runde Dienste, im Schiff skulpierte Konsol-
steine, die an fremden Stellen im Innern und
Äußern vermauert sind, mährend das Gewölbe
des Schiffes selbst durch eine Holzdecke ersetzt ist.
Die zweiteiligen einfachen Fenster zeigen an einer
Stelle im Maßwerk bereits Fischblasen. Die schul
mäßig ausgebildeten Strebepfeiler sind mit Pult
dächern abgedeckt. Neben einem Portal mit wage
rechtem Sturz findet sich auf der Südseite ein
Spitzbogeneingang mit liegendem Christkopf im
Scheitel. An Kleinarchitektur haben sich im Äußern
ein Weihwasserbecken, eine Nische für eine Heiligen
figur oder Totenleuchte und eine Piscina in der
Sakristei, im Innern ein Wandtabernakel mit
Kreuzigungsgruppe erhalten. Die große Altar
platte besitzt noch die Weihekreuze aus der katho
lischen Zeit.
Den Hauptschmuck des Gotteshauses bildeten
einst die wertvollen Glasmalereien, von denen
leider jetzt fast jeder Rest an Ort und Stelle fehlt.
Die schönen gotischen Stücke, die deshalb auch lokal
geschichtlich von Belang waren, weil sie die Dar
stellung des vor dem Crucifixus betenden, ge
krönten Dagobert enthielten, sind zum größten Teil
beim Bau der Löwenburg zu Wilhelmshöhe zur
Ausschmückung der Kapelle verwandt worden.
Auch später noch wurde die Herausnahme weiterer
Glasgemälde verfügt, weil man beabsichtigte, noch
andere Fenster der Löwenburg sowie die Fenster
im Chor der Martinskirche zu Kassel mit den
alten Tafeln zu versehen. Im Jahre 1824 wurden
überhaupt 18 rechteckige Verglasungsfenster von
19 bis 22 Zoll Höhe und 16 bis 17 Zoll Breite
und 9 Felder der Bogenspitzen herausgenommen
und größtenteils in sehr beschädigtem Zustande nach
Kassel abgeliefert. Man scheint hierbei mit großer
Sorglosigkeit und Unkenntnis zu Werke gegangen
zu sein. Dabei ist es anscheinend zur Verwendung
der Stücke gar nicht gekommen. Selbst der Verbleib
der Glastafeln ist ungewiß. Im Museum zu Kassel
befinden sich Scherben und Bleiruten, die als die
Reste angesprochen werden.
Erwähnt wird die Kirche urkundlich im Jahre
1194 und zwar in Gemeinschaft mit den Kirchen
zu Mosheim und Hilgershausen als Filialen der
Mutterkirche zu Sippershausen. Sie gehörte zur
Abtei Hersfeld. Patronin war die Mutter Gottes.
Von der inneren Ausstattung scheint das Gottes
haus während des 30 jährigen Krieges viel ver
loren zu haben, insbesondere als im August 1636
die Tillyschen Scharen unter General Götz die
Gegend brandschatzten. Die Kroaten, die einen
Teil des Dorfes in Asche legten und vermutlich
auch den Dachstuhl der Kirche zerstörten, sollen
Glocken und Orgelpfeifen geschmolzen haben.
Von der Friedhofsumwehrung sind einige Mauer-
und Portalreste erhalten. Der rechteckige Grundriß
weist die Anlage der gotischen Zeit zu. Ein stei
nerner Eckgaden führt im Volksmunde die üblich
fälschliche Bezeichnung als Kloster. Auch der ob
ligate unterirdische Gang fehlt in der Phantasie der
Ortsbewohner nicht. Die Sakristei an der Nordseite
der Kirche diente zeitweise als Kerner. Steinblöcke
und Bäume zeigen vor dem Kirchhofstor die Stelle
von Gemeindeteich und Anger an.
Warschauer Eindrücke.
Von vr. med. AlbertWittgenstein, Kassel.
(Schluß.)
6.0. Bon diesem Lazarett aus habe ich dann später
den gewaltigen Festzug besichtigt, der am 3. Mai
zur Feier der 125 jährigen Erinnerung an die nur
so kurze Konstitutionsgesetzgebung Polens durch
die Straßen Warschaus flutete. Dieser Festzug
wurde von etwa 130 000 Polen und Polinnen be
stritten und nahm zu seiner Entfaltung über 2 i/ 2
Stunden in Anspruch.
Die Veranstaltung gewährte schon durch die auf
gebotenen Massen, die in Sport- und Vereins
gruppen aller Art zusammengefaßt waren, einen
mächtigen Eindruck. Dazu kamen reizende Volks
trachten der Gegenwart und Vergangenheit, die von
wohlgestalteten Polinnen in Erscheinung gebracht
wurden. Unaufhörlich erklang von einer mir gerade
schräg gegenüber auf einem Erker sitzenden Kapelle
die polnische Nationalhymne, eine einfache und
schwermütige Weise, die nur bisweilen von hellen
Zurufen übertönt wurde. —
Wie ich überhaupt schon im Straßenbilde ver
sucht hatte, den Grundzug der polnisch-slavischen
Rasse herauszufinden, ließ ich mir dies besonders
bei den Zugteilnehmern angelegen sein. Mußten
doch die tausend und abertausend weiblichen Ge
stalten, Reihe in Reihe, eigentlich die beste Aussicht
hierzu bieten. Nichtsdestoweniger war der Erfolg
durchaus unbefriedigend. Was wir uns so gemein
hin nach Operettenaufführungen, Kartenbildern usw,
von dem Typ der Polin vorstellen, fand ich in
Warschau nur in sehr vereinzelten Fällen aus
geprägt. Am ehesten noch unter den niederen
Ständen, in Form der feurigen Augen und des