Der Kleine wiegte den Kopf zweifelnd hin und
her: „Aber zugeben mußt du nur, Heinz, daß diese
ausgesprochene Hinneigung zur Antike eine Ler
irrung bedeutete
„Soweit die Antike das allgemein Menschliche
zum Ausdruck bringt, wie hier, kann ich dem
nicht beistimmen. Denn das allgemein Mensch
liche in der griechischen Kunst entspricht doch immer
auch deutschem Wesen."
„Was sollte denn das allgemein Menschliche
hier sein?" fragte Fritz ein wenig spöttisch.
Da hatte ihn sein Freund schon am Arm und
führte ihn an die Brüstung und zeigte auf das
Felsgeröll, darunter der besiegte Enccladus lag.
„Wenn des Sonntags die Wasser spielen, sendet
der Ohnmächtige Strahlen des Hasses empor, die
aber den Sieger hier oben nimmer erreichen.
Kampf ist der Grundzug dieses Werkes wie des
Lebens überhaupt. Der auf seine Keule sich
stützende, nur eigener Kraft vertrauende Riese ist
nicht nur ein Denkmal deutscher Tapferkeit, das
Karl den kriegstüchtigen Söhnen seines Landes
errichtete, cs bleibt auch ein Sinnbild des wehr
haften Deutschen, der vom Feinde beständig be
droht, sich nie von Waffen scheiden darf."
„Hm ja —, das läßt sich ja hören. Aber
was sagt der gemeine Mann dazu ? Ihm bleiben
doch solche Gedankengünge fern. Wo ist hier das
volkstümliche?"
Heinz lächelte: „Tatsächlich lehnten die Hessen
den Griechen ab und in ihm den Heiden. Der
hat sich eben taufen lassen müssen. Du lachst?
Es ist kein Scherz: im Lolksmunde heißt er rings
um der große Christopher. Wenn du willst, klingt
in diesem Namen zu dem Heldenhaften das Heilige
hinzu."
„Junge, Junge," drohte Fritz, „du wirst über
deinem Herkules zum Dichter."
„Das war der Erbauer", wehrte der ab. „Sieh
dir doch mir einmal den Niesen genauer an: diese
ungebrochene, gesammelte Kraft, dieser Ernst, diese
Tatenfülle, die hier redet! Und mit welcher Ruhe
er über den Dingen steht! Hoch über den Wipfeln
im hellen.Himmelsdome empfindet man wie nir
gends die Heiligkeit des Tages und feiner hehren
Freundin, der Tat. Die Stirn an die Sterne
stoßen, ist's nicht deutsches Ideal? Alles Kleine
und Gemeine niederringen, ewig kampfbereit, sieg-
hast auf der Höhe zu schreiten
Heinz hatte sich in ein Feuer hineingeredet, daß
er gar nicht merkte, wie seines Freundes Augen
und Gedanken plötzlich anderen Weg gefimdcn
hatten. Erst als der sein Fernglas hob und froh
lockend zurückfuhr, brach er ab.
„Sie kommen wahrhaftig, sie kommen!"
„Wer kommt?"
„Sichst du denn nicht? Eben steigen sie schon
die Treppen herauf."
Der machte immer noch ein verwundert Gesicht.
„Unsere Tischnachbarinnen von gestern abend",
fügte Fritz erklärend hinzu.
„Ach so" -- stich Heinz endlich begreifend her
vor und gedachte, fortzufahren. Als aber der
Freund den Handspiegel hervorholte und Haar
und Halsbinde prüfte, schwieg er.
„Wir laden sic ein, sich uns anzuschließen, hörst
du?"
„Meinetwegen", stimmte der ziemlich gleichgiltig
zu, mit seinem Stocke auf dem Gemäuer spielend,
während Fritz lauschend am Aufgang stand.
Das war im Konzertgartcn drunten gewesen.
Die beiden spätkommenden Damen hatten sich
vergebens nach einem Plätzchen umgesehn, bis
Fritz sie zu ihrem Tische lud. Über dem gerade
einsetzenden Radctzkyinarsche, der der augenblick
lich hochgespannten Stimmung Ausdruck verlieh,
waren sie in eine anregende Unterhaltung geraten,
bis sie sich auf einmal freudig erstaunt auf dem
gleichen Berufsfclde der Schule gegenüberstanden.
Heinz war Kassclaner, der seinem aus den
Bergen heimkehrenden Freunde, eincin Nord
deutschen, die Wilhclmshöhe schuldig war. Maria
und Martha entstammten der Wasserkante. Martha,
seit April in der hessischen Hauptstadt als Lehrerin
tätig, hatte ihre Freundin veranlaßt, die Ferien,
die nun heute zu Ende gingen, mit ihr gemeinsam
im Habichtswalde zu verleben.
Die schwarzäugige, schnellfüßige Martha tauchte
zuerst auf und war nicht wenig verwundert, hier
oben so freundlich begrüßt zu werden. Und die
schwerfälligere Maria wußte auch lücht, wie ihr
geschah, als sich ihr auf den letzten Stufen eine
hilfreiche Münnerhand entgegenstreckte.
„Wir kommen über die Löwcnburg", sagte sie,
gleichsam ihre Müdigkeit entschuldigend. „Das
geht hier den ganzen Tag bergauf, bergab, ciue
rechte Mühsal für unser eins aus dem Flachlandc."
„Ein närrisch Ding", sagte Martha zu Heinz
und deutete über die Brüstung. „Ich hab' mir
diesen eseuumsponnenen Steinhaufen von allen
Seiten betrachtet, ich kann mit dem besten Willen
nichts damit anfangen. Diese unmöglichen Türme
und Türmchen, diese zerbrochenen Bastionen, die
keinen Feind gesehen - komisch! Der Gedanke,
eine Ruine zu bauen — wie unsinnig!"
„Ganz meine Meinung," bekräftigte Fritz und
trat stolz an der Sprecherin Seite, „ich weiß nicht,
wie ein gesunder Menschenverstand dazu kommen
kann, die Natur mit solchen Unmöglichkeiten zu
beschweren."