Full text: Hessenland (30.1916)

Der Kleine wiegte den Kopf zweifelnd hin und 
her: „Aber zugeben mußt du nur, Heinz, daß diese 
ausgesprochene Hinneigung zur Antike eine Ler 
irrung bedeutete 
„Soweit die Antike das allgemein Menschliche 
zum Ausdruck bringt, wie hier, kann ich dem 
nicht beistimmen. Denn das allgemein Mensch 
liche in der griechischen Kunst entspricht doch immer 
auch deutschem Wesen." 
„Was sollte denn das allgemein Menschliche 
hier sein?" fragte Fritz ein wenig spöttisch. 
Da hatte ihn sein Freund schon am Arm und 
führte ihn an die Brüstung und zeigte auf das 
Felsgeröll, darunter der besiegte Enccladus lag. 
„Wenn des Sonntags die Wasser spielen, sendet 
der Ohnmächtige Strahlen des Hasses empor, die 
aber den Sieger hier oben nimmer erreichen. 
Kampf ist der Grundzug dieses Werkes wie des 
Lebens überhaupt. Der auf seine Keule sich 
stützende, nur eigener Kraft vertrauende Riese ist 
nicht nur ein Denkmal deutscher Tapferkeit, das 
Karl den kriegstüchtigen Söhnen seines Landes 
errichtete, cs bleibt auch ein Sinnbild des wehr 
haften Deutschen, der vom Feinde beständig be 
droht, sich nie von Waffen scheiden darf." 
„Hm ja —, das läßt sich ja hören. Aber 
was sagt der gemeine Mann dazu ? Ihm bleiben 
doch solche Gedankengünge fern. Wo ist hier das 
volkstümliche?" 
Heinz lächelte: „Tatsächlich lehnten die Hessen 
den Griechen ab und in ihm den Heiden. Der 
hat sich eben taufen lassen müssen. Du lachst? 
Es ist kein Scherz: im Lolksmunde heißt er rings 
um der große Christopher. Wenn du willst, klingt 
in diesem Namen zu dem Heldenhaften das Heilige 
hinzu." 
„Junge, Junge," drohte Fritz, „du wirst über 
deinem Herkules zum Dichter." 
„Das war der Erbauer", wehrte der ab. „Sieh 
dir doch mir einmal den Niesen genauer an: diese 
ungebrochene, gesammelte Kraft, dieser Ernst, diese 
Tatenfülle, die hier redet! Und mit welcher Ruhe 
er über den Dingen steht! Hoch über den Wipfeln 
im hellen.Himmelsdome empfindet man wie nir 
gends die Heiligkeit des Tages und feiner hehren 
Freundin, der Tat. Die Stirn an die Sterne 
stoßen, ist's nicht deutsches Ideal? Alles Kleine 
und Gemeine niederringen, ewig kampfbereit, sieg- 
hast auf der Höhe zu schreiten 
Heinz hatte sich in ein Feuer hineingeredet, daß 
er gar nicht merkte, wie seines Freundes Augen 
und Gedanken plötzlich anderen Weg gefimdcn 
hatten. Erst als der sein Fernglas hob und froh 
lockend zurückfuhr, brach er ab. 
„Sie kommen wahrhaftig, sie kommen!" 
„Wer kommt?" 
„Sichst du denn nicht? Eben steigen sie schon 
die Treppen herauf." 
Der machte immer noch ein verwundert Gesicht. 
„Unsere Tischnachbarinnen von gestern abend", 
fügte Fritz erklärend hinzu. 
„Ach so" -- stich Heinz endlich begreifend her 
vor und gedachte, fortzufahren. Als aber der 
Freund den Handspiegel hervorholte und Haar 
und Halsbinde prüfte, schwieg er. 
„Wir laden sic ein, sich uns anzuschließen, hörst 
du?" 
„Meinetwegen", stimmte der ziemlich gleichgiltig 
zu, mit seinem Stocke auf dem Gemäuer spielend, 
während Fritz lauschend am Aufgang stand. 
Das war im Konzertgartcn drunten gewesen. 
Die beiden spätkommenden Damen hatten sich 
vergebens nach einem Plätzchen umgesehn, bis 
Fritz sie zu ihrem Tische lud. Über dem gerade 
einsetzenden Radctzkyinarsche, der der augenblick 
lich hochgespannten Stimmung Ausdruck verlieh, 
waren sie in eine anregende Unterhaltung geraten, 
bis sie sich auf einmal freudig erstaunt auf dem 
gleichen Berufsfclde der Schule gegenüberstanden. 
Heinz war Kassclaner, der seinem aus den 
Bergen heimkehrenden Freunde, eincin Nord 
deutschen, die Wilhclmshöhe schuldig war. Maria 
und Martha entstammten der Wasserkante. Martha, 
seit April in der hessischen Hauptstadt als Lehrerin 
tätig, hatte ihre Freundin veranlaßt, die Ferien, 
die nun heute zu Ende gingen, mit ihr gemeinsam 
im Habichtswalde zu verleben. 
Die schwarzäugige, schnellfüßige Martha tauchte 
zuerst auf und war nicht wenig verwundert, hier 
oben so freundlich begrüßt zu werden. Und die 
schwerfälligere Maria wußte auch lücht, wie ihr 
geschah, als sich ihr auf den letzten Stufen eine 
hilfreiche Münnerhand entgegenstreckte. 
„Wir kommen über die Löwcnburg", sagte sie, 
gleichsam ihre Müdigkeit entschuldigend. „Das 
geht hier den ganzen Tag bergauf, bergab, ciue 
rechte Mühsal für unser eins aus dem Flachlandc." 
„Ein närrisch Ding", sagte Martha zu Heinz 
und deutete über die Brüstung. „Ich hab' mir 
diesen eseuumsponnenen Steinhaufen von allen 
Seiten betrachtet, ich kann mit dem besten Willen 
nichts damit anfangen. Diese unmöglichen Türme 
und Türmchen, diese zerbrochenen Bastionen, die 
keinen Feind gesehen - komisch! Der Gedanke, 
eine Ruine zu bauen — wie unsinnig!" 
„Ganz meine Meinung," bekräftigte Fritz und 
trat stolz an der Sprecherin Seite, „ich weiß nicht, 
wie ein gesunder Menschenverstand dazu kommen 
kann, die Natur mit solchen Unmöglichkeiten zu 
beschweren."
	        

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