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Wie der Name He88en als ursprünglicher Flur
name auf die Landschaft und den ganzen Stamm
überging, so liegt auch anderen Stammcsnamen
ein Flurname zugrunde, z. B. dem Namen der
Alemannen als der Gemeinschaft (vgl. Almende)
freier Männer, die sich in Wald und Weide am
längsten erhielt, der Wenden („die Weidenden" zu
got. vinida „Weide"), der Schwaben, der Franken,
Sachsen und der Nassauer, welch' letzterer laut
lich und begrifflich nahe mit dem der Lessen zu
sammenfällt, wie ich an anderer Stelle ^°) gezeigt
habe. Während beim Namen Lessen die Volks
etymologie durch Aspiration die Bedeutungsände
rung bewirkte, geschah es beim Namen Nassau
durch Anschweißung eines prosthetischen n an die
Urform Assowe.
Im Zusammenhang mit der Untersuchukig des
Namens Lessen dürfte sich auch die noch viel
umstrittene Herleitung der Bezeichnung blinder
Lesse klären und in anderes Licht rücken lassen.
Schon Vilmar a. a. O. 43 hebt mit Recht hervor,
daß die Bezeichnung jetzt unverständlich geworden
sei, weil man seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
das Subjekt, dem eigentlich die Blindheit zukommt,
ao ) Der Name Nassau. All-Nassau lBeil. z. Wiesb.
Tageblatt) 1915, Nr. 1l.
aus der Bezeichnung ausgelosten und endlich völlig
vergessen habe, während die Hessen bis zu diesem
Zeitpunkt immer „blinde Hundehessen" oder „blinde
Huüde" hießen. Vielleicht ist der Vilmar unver
ständliche Ausdruck Lesshunde, der später mit
dem Begriff Letrhunde („Jagdhunde") vermengt
worden ist, mit dem alten Flurnamen Ess „Weide"
in Beziehung zu setzen und als „Hirtenhund" zu
deuten, da die Hunde in alter Zeit zum Schutz
gegen wilde Tiere eine wichtige Rolle gespielt haben
und die Hirten sich auf ihren Mut und ihre Stärke
verkästen mußten? I Als mit der völligen Ver
änderung des germanischen Wirtschaftslebens der
Ausdruck Lesshund ähnlich wie der Flurname
Ess dem Volksempfinden fremd geworden war,
entstand vielleicht durch eine Volksneckerei und
durch das Wortspiel Ess-Hess die Bezeichnung
blinde Hessenhunde bzw. blinde Hunde oder
blinde Hessen. Sie kann aber auch in ehrendem
Sinne für den Mut und die Tapferkeit des Hessen
stammes aufgefaßt werden, der, ähnlich wie die
Hirtenhunde auf die wilden Tiere, sich blindlings
und mutig auf den Feind stürzte und ihn im
heldenmütigen Kampfe bezwang.
°') Dgl. auch W i m m e r, Geschichte des deutschen Bodens
(Halle 1905) S. 448 ff.
Der große Brand von Frankenberg.
9. wai 1476.
Quellen:
D i e m a r, Die Chroniken des Wig. Gerstenberg.
R o s e n f e l d , Frankenberg im Mittelalter.
H e l d m a n n, Das Kloster Georgenberg (Z. d. 5). G.-V.).
In dem Zeitraum der beiden letzten Generationen
der Vorbereitung auf das glanzvolle Hervortreten
Hessens im Zeitalter der Reformation befand sich
das Land im allgemeinen in staatlichem und volk-
lichem Aufschwung. Damals lenkten Ruhn und
Gerstenberg den Blick auf die Vergangenheit. Jener,
ein Hersfelder, legte den Schwerpunkt seiner Ge
schichtschreibung auf Niederhessen; Gerstenberg,
dessen Heimat Frankenberg war, hat vor allem
außer der Landeschronik die Stadtchronik von
Frankenberg verfaßt. Trotz mancher Mängel in
seinen Werken ist Gerstenbergs Heimatliebe und
Fleiß unbestritten. Als er schrieb, war die Blüte
seiner Vaterstadt schon vorbei.
Miterlebt aber hat Gerstenberg (1457—1522)
das große Brandunglück von 1476, 9. Mai, das
jählings über Frankenberg hereinbrach und durch
das die Stadt vor 440 Jahren fast völlig in
Asche gelegt wurde. In seiner Stadtchronik hat
er das traurige Ereignis und seine Folgen gar
wehmütig ausgemalt. Wohl war er unter den
„jungen gelehrten Gesellen", die „um die Mitter
nacht", von frommer Sorge getrieben, „mit großer
Arbeit durch das Feuer bis in die Pfarrkirche"
drangen und das durch die Löcher im Gewölbe
herabfallende glimmende Feuer mit dem Weihwasser
auslöschten.
Der Brand begann um ein Uhr des Mittags.
Es war heiß und trocken, so daß in der Stadt kein
Wasser war. Die städtische Wasserleitung, die fast
ein Jahrhundert später, 1574, von dem „Brunnen-
meister Magnus aus Kempten bei Augsburg" an
gelegt und 1899 durch eine neuzeitliche Quell
wasserleitung ersetzt worden ist, konnte noch kein
Edderwasser spenden. So liefen die Frauen, Mägde
und Kinder und trugen Wasser aus der Edder,
dem Teich und den Brunnen herzu. Viele Leute
waren außerhalb der Stadt mit Feldarbeiten be
schäftigt. Meist bewohnt von Ackerbürgern, hatte
die Stadt im Jahre 1384 etwa 1200 (1910: 3513)
Einwohner und einen Viehbestand von 167 (1910:
156) Pferden, 457 (943) Stück Rindvieh, 508