Hermann Eisenherz.
Novelle von Eva Thaer.
(Schluß.)
Dann kam eine Zeit, da gingen, wir durch die
Welt wie durch einen großen Blumengarten —
Sonne und Rosen, Rosen und Sonne überall und
Glockenläuten rings in den Lüsten. Wir waren
so glücklich, daß ich dich manchmal zweifelnd an
schaute, ob Menschen solch Übermaß von Glück
ertragen können. Seit jener Zeit will mir der
alte Glaube nicht mehr kommen, daß des Menschen
Leben Gual und Entbehrung sei. Gingen wir
aneinander vorbei und streiften sich verstohlen
unsere Blicke, dann sang und klang es in uns;
saßen wir zusammen in einem Raum, dann ver
schwanden all die fremden Menschen um uns,
die Decken wölbten sich zum Himmel empor,
Säulen stiegen auf und trugen sie wie leuchtende
Baldachine, und wir selbst waren rein und gut,
als wohnten wir in Tempeln. Hermann Eisen
herz, fühltest und lebtest du auch wie ich, oder
hat dich nicht einmal die Liebe zum Träumer
machen können? Hermann Eisenherz— wie liebten
wir uns in jenen Tagen! Weißt du noch, wie
es in der Dämmerung war, wenn wir hinaus
schritten in die Wälder, hinauf auf die Berge,
und meine Liebe und meine Träume einen Zauber
um dich woben, dem du dich mit lächelndem
Staunen ergabst? Wie ein Kind warst du, dem
man die ersten Märchen erzählt, und warst doch
nicht kindlich genug, sie bedingungslos zu glauben.
Zögernd gingst du mit mir in meinen Traum-
gefilden umher, bei jedem Schritt bereit, umzu
kehren und dich in den grauen Mantel der Nüchtern
heit einzuhüllen. Und doch gingst du mit mir,
ließest dich von meiner Hand leiten, tief hinein in
die Traumlande — bis du selber träumen mußtest.
Waren sie nicht schön, die Dämmerstunden im
Wald, wo die Nebelschallen wie Ketten von einem
Baume zum anderen hingen, wo Gestalten durch
die Wälder schritten, winkend und grüßend —
wo noch ein letzter Goldschimmer, ein letzter, ver
gessener Sonnenstrahl auf den kahlen Zweigen
lag? Oder wenn Schnee Bäume und Wege be
deckte, weicher, warmer Schnee, und die langen
Nebelarme kamen und graue Schleier über die
weiße, schimmernde Schneedecke warfen? Waren
sie nicht schön, diese Dämmerstunden? Dann mußte
ich wohl stehen bleiben mitten im graudunkelen
Wald und mußte dir ein Lied singen. Weißt du
noch, Hermann Eisenherz, wie du meine Stimme
lieblest, wenn sie dir Lieder sang droben auf den
Bergen im dämmrigen Wald? Weißt du noch,
wie du mir ins Ghr flüstertest, daß meine Stimme
wunderherrlich klänge wie läutende Glocken? Her
mann Eisenherz, warum sprachst du so zu mir —
warum hast du kluger Mann damals deiner Klug
heit so ganz vergessen? In jenen Tagen sang
ich und lieble dich und dachte nicht an die Zu
kunft.
Wenn du arbeitetest — und du arbeitetest viel —,
dann freute ich mich, denn jetzt lieble ich auch deine
Arbeit, weil ich wußte, daß du deine Liebe zu
mir hineinlegtest, und daß sie groß wurde in dem
Werk, das du schufst. Auch^ich arbeitete, aber
immer öfter kam es vor, daß ich über mein Buch
hinausschaute auf die fernen, blauen Berge, und
daß eine seltsame Sehnsucht in mir aufstieg. Sehn
sucht wonach? Es begann leise in mir zu stagen
und zu forschen, aber ich suchte die Fragen zu er
sticken aus einer heimlichen Angst vor der Antwort.
Manchmal ging ich in meinem Zimmer ruhelos
umher — und dann sang ich — sang — sang.
Und meine Stimme stand wie ein fremder, schöner
Mensch vor mir, der in einer stemden Sprache
zu mir redete, die ich nicht verstand, deren Wohl
laut mich nur berauschte. Wenn dann Unruhe
und Sehnsucht mich krank machen wollten, dann
kam ich zu dir, Hermann Eisenherz, und wurde
ruhig und glücklich und still. In deiner Nähe
schwieg alles, was unharmonisch und störend war,
schwieg alles, was kein Echo fand in deiner reinen
klaren Seele.
Erst wenn ich fern war von dir, kamen die
Fragen wieder, und die Zweifel quälten mich und
ließen mir keine Ruhe. Und eines Tages — eines
Tages da wußte ich die Antwort und sie wurde
mir Schlüssel zu vielen Rätseln. All die Stunden
verstand ich nun, die sich durch mein Leben zogen,
seit ich denken konnte — die Stunden der Ver
zweiflung, der tiefsten bittersten Gual, die plötzlich
über mich hereinbrechen konnten mitten im hellen
Jubel und die meine Seele marterten. Ich hatte
sie nie verstanden diese Stunden, ich zahlte sie als
furchtbaren Tribut an eine dunkle Macht in mir,
die ich nicht kannte, die ich nur fürchtete. Ich
zahlte den Tribut und erkaufte mir damit die
glücklichen Stunden in meinem Leben. Jetzt plötz
lich fing ich an zu verstehen, welche Macht Herrin
meines Lebens gewesen war. Was mich gequält
hatte, war ihre Mahnung gewesen, aufzuwachen,
meine Vasallenpflicht zu erfüllen, und meine Seele
hatte geantwortet und hatte um Erlösung gefleht —
aber ich verstand sie nicht. Jetzt wußte ich es —
die Kuntt forderte mich. — —