jetzt: Bum, Bauz, Krach ... Granaten! ... und
immer rückt's näher, das feindliche Streufeuer.
Schon höre ich den Boden jedesmal unter dem
Aufschlag der Geschosse erzittern. ... Da plötzlich
taucht unser Hauptmann auf, der zur Front will.
Er sieht mich, kommt zu mir: „Was ist denn mit
Ihnen los?" — „So und so, Herr Hauptmann."—
Und dann beruhigt er mich und spricht mit mir
und wie schade es sei, daß nun keiner mehr Kom
pagnietagebuch führe. . . . Ein Viertelstüudchen ist
er so bei mir geblieben im heftigsten Feuer. —
„Leben Sie wohl und daß alles gut werde! Und
ich will Ihnen sofort ein paar beherzte Leute
senden."— „Danke, Herr Hanptmann, auf Wieder
sehen, Herr Hauptmann!" . . . Ein Mensch, wie
ich selten jemanden schätzen gelernt; wie ein Vater
für die Soldaten besorgt, die für ihn mit Recht
durchs Feuer gehen. . . .
Und nicht lange darauf kommen zwei starke
Krankenträger unseres Bataillons, der Wehrmann
H. von meiner dritten Kompagnie und einer aus
der vierten. Die nehmen mich abwechselnd auf den
Rücken und tragen mich zurück, während rings um
uns die Bleikugeln in die fleischigen Rübenblätter
klatschen. Endlich, endlich in Sicherheit. . . .
In jenem Wäldchen, aus dem wir einst zum
ersten Angriff auf Langemarck vorgingen, liegt ein
kleines Schlößchen. In ihm befindet sich unser
Hauptverbandsplatz. Ich erhalte einen noch dich
teren Verband um meine noch immer blutende
Wunde und werde auf Stroh zur Ruhe gebettet.
Da geht am Abend noch ein Transport nach rück
wärts und ich kann mich in eine Decke gehüllt
noch neben den Kutscher auf einen Lazarettwagen
zwängen. So fährt der Zug zurück, durch die
mondhelle Nacht. Der Kutscher neben mir ist
schweigsam, und es ist mir lieb so. Hinter mir der
flammende Horizont, wo das Ungeheuer des
Krieges sich reckt und streckt und die Erde zerrt
und reißt, daß sie blutig geschunden zergeht, und
die Luft zu Feuer werden läßt, zur gierigen
Flamme, die alles verlohen läßt, zerfallen in Glut
und Staub und Asche. . . . Blutrot der Nacht
himmel bis hinauf zu den Sternen und dem ein
sam wandelnden Mond Das ist der Krieg . . .
Kaum sehe ich zurück, kaum höre ich den grollenden,
rollenden Donner der Geschütze dumpf und dumpfer
werden. . . .
Heimwärts, heimwärts eilen die Gedanken, zu
all dem, was die Heimat lieb und teuer macht.
Und der Nebel webt um mich her, und ich sinne
und träume und weiß kaum, daß ich verwundet
bin: Flandrisch Land, leb wohl, leb wohl . . . was
habe ich >auf deiner Flur erlebt, was ließ das Schick
sal bei dir, auf deinem Boden reifen und werden .. .
Langsam rüttelt der Wagen vorwärts, von Zeit
zu Zeit ein Ruf des Rofselenkers, und ein wehes
Stöhnen aus dem Wageninnern . . . und die stacht
ist kühl: „und die Rosse schnoben, und ich dachte
der Toten, der Toten . . ."
Nach Stunden find wir in Westrosebeecke. Das
Lazarett ist überfüllt und kann nur die Schwer-
verwundeten aufnehmen. Schimpfend und fluchend
fährt der Wagenführer mit uns andern weiter. Ich
freue mich innerlich: immer näher kommst du der
Heimat. Vorbei geht's an den schlafenden Proviant
kolonnen, die endlos die Straßen hinter der Front
füllen. Langsam geht der Posten auf und nieder
und grüßt uns mit stummem Gruß. Einmal nur
bricht der Kutscher neben mir das Schweigen und
deutet auf eine dunkele Masse im Waldesschatten:
„Die österreichischen Motorbatterien." Freudig
grüße ich sie und rufe es im Geiste ihnen zu:
„Daß ihr doch bald vor Calais und Dünkirchen
samt eurer Schwester, der dicken Berta, donnern
könntet und weiter dann England drüben grüßen..."
Endlich nach Mitternacht finden wir Unterkunft
in einem Feldlazarett zu Ostneukirchen. Schreck
lich dieser Rest der Nacht: das Stöhnen und
Ächzen der Unglücklichen, und in der Mitte am
blutigen Tisch die Ärzte bei fleißiger Arbeit. ... Es
hat mich geschauert: nur bald weg von hier. . . .
Am andern Morgen glückte es mir, mit dem
ersten Transport weitergeschafft zu werden. O,
diese Fahrt in einem stoßenden, belgischen Bauern
wagen auf holprigem Pflaster! Aber es ging der
Heimat zu! Mittags fuhren wir in Roulers ein,
die Stadt, die noch immer die deutlichsten Spuren
der Käinpfe zeigte, die wir hier am 19. Oktober
bestanden. Doch schon sah man wieder Menschen,
die ruhig ihrer Beschäftigung nachgingen. Wie
der Anblick aus uns wirkte, die wir so lange keinen
Zivilisten gesehen. . .
Wir wurden sofort verladen, und um 2 Uhr
mittags fuhr der Zug ab! Den Jubel! Wer
hätte in dem Augenblick Schmerzen gefühlt! „Nach
der Heimat, nach der Heimat . ■. .!" In meinem
Abteil lag ein Jäger, der hat seinen Piston ge
blasen so jubelnd und so ergreifend wieder: „Ich
hatt' einen Kameraden . . ." Und uns wurden die
Augen feucht! . . .
Rasch ging die Fahrt; doch schneller noch flogen
unsere Gedanken. . . . Am selben Abend noch
erreichten wir Gent und konnten uns endlich ein
mal satt essen. Dann weiter durch Feld uud Wald
und Dorf und Stadt . . . überall sahen uns die
Bewohner an: manche Mitleid im Blick, die meisten
eine Schadenfreude, die sie nur schwer verhehlen
konnten. — Brüssel! Fast eine Stunde fahren wir
durch die weiten und volkreichen Vorstädte. . . .