Full text: Hessenland (29.1915)

jetzt: Bum, Bauz, Krach ... Granaten! ... und 
immer rückt's näher, das feindliche Streufeuer. 
Schon höre ich den Boden jedesmal unter dem 
Aufschlag der Geschosse erzittern. ... Da plötzlich 
taucht unser Hauptmann auf, der zur Front will. 
Er sieht mich, kommt zu mir: „Was ist denn mit 
Ihnen los?" — „So und so, Herr Hauptmann."— 
Und dann beruhigt er mich und spricht mit mir 
und wie schade es sei, daß nun keiner mehr Kom 
pagnietagebuch führe. . . . Ein Viertelstüudchen ist 
er so bei mir geblieben im heftigsten Feuer. — 
„Leben Sie wohl und daß alles gut werde! Und 
ich will Ihnen sofort ein paar beherzte Leute 
senden."— „Danke, Herr Hanptmann, auf Wieder 
sehen, Herr Hauptmann!" . . . Ein Mensch, wie 
ich selten jemanden schätzen gelernt; wie ein Vater 
für die Soldaten besorgt, die für ihn mit Recht 
durchs Feuer gehen. . . . 
Und nicht lange darauf kommen zwei starke 
Krankenträger unseres Bataillons, der Wehrmann 
H. von meiner dritten Kompagnie und einer aus 
der vierten. Die nehmen mich abwechselnd auf den 
Rücken und tragen mich zurück, während rings um 
uns die Bleikugeln in die fleischigen Rübenblätter 
klatschen. Endlich, endlich in Sicherheit. . . . 
In jenem Wäldchen, aus dem wir einst zum 
ersten Angriff auf Langemarck vorgingen, liegt ein 
kleines Schlößchen. In ihm befindet sich unser 
Hauptverbandsplatz. Ich erhalte einen noch dich 
teren Verband um meine noch immer blutende 
Wunde und werde auf Stroh zur Ruhe gebettet. 
Da geht am Abend noch ein Transport nach rück 
wärts und ich kann mich in eine Decke gehüllt 
noch neben den Kutscher auf einen Lazarettwagen 
zwängen. So fährt der Zug zurück, durch die 
mondhelle Nacht. Der Kutscher neben mir ist 
schweigsam, und es ist mir lieb so. Hinter mir der 
flammende Horizont, wo das Ungeheuer des 
Krieges sich reckt und streckt und die Erde zerrt 
und reißt, daß sie blutig geschunden zergeht, und 
die Luft zu Feuer werden läßt, zur gierigen 
Flamme, die alles verlohen läßt, zerfallen in Glut 
und Staub und Asche. . . . Blutrot der Nacht 
himmel bis hinauf zu den Sternen und dem ein 
sam wandelnden Mond Das ist der Krieg . . . 
Kaum sehe ich zurück, kaum höre ich den grollenden, 
rollenden Donner der Geschütze dumpf und dumpfer 
werden. . . . 
Heimwärts, heimwärts eilen die Gedanken, zu 
all dem, was die Heimat lieb und teuer macht. 
Und der Nebel webt um mich her, und ich sinne 
und träume und weiß kaum, daß ich verwundet 
bin: Flandrisch Land, leb wohl, leb wohl . . . was 
habe ich >auf deiner Flur erlebt, was ließ das Schick 
sal bei dir, auf deinem Boden reifen und werden .. . 
Langsam rüttelt der Wagen vorwärts, von Zeit 
zu Zeit ein Ruf des Rofselenkers, und ein wehes 
Stöhnen aus dem Wageninnern . . . und die stacht 
ist kühl: „und die Rosse schnoben, und ich dachte 
der Toten, der Toten . . ." 
Nach Stunden find wir in Westrosebeecke. Das 
Lazarett ist überfüllt und kann nur die Schwer- 
verwundeten aufnehmen. Schimpfend und fluchend 
fährt der Wagenführer mit uns andern weiter. Ich 
freue mich innerlich: immer näher kommst du der 
Heimat. Vorbei geht's an den schlafenden Proviant 
kolonnen, die endlos die Straßen hinter der Front 
füllen. Langsam geht der Posten auf und nieder 
und grüßt uns mit stummem Gruß. Einmal nur 
bricht der Kutscher neben mir das Schweigen und 
deutet auf eine dunkele Masse im Waldesschatten: 
„Die österreichischen Motorbatterien." Freudig 
grüße ich sie und rufe es im Geiste ihnen zu: 
„Daß ihr doch bald vor Calais und Dünkirchen 
samt eurer Schwester, der dicken Berta, donnern 
könntet und weiter dann England drüben grüßen..." 
Endlich nach Mitternacht finden wir Unterkunft 
in einem Feldlazarett zu Ostneukirchen. Schreck 
lich dieser Rest der Nacht: das Stöhnen und 
Ächzen der Unglücklichen, und in der Mitte am 
blutigen Tisch die Ärzte bei fleißiger Arbeit. ... Es 
hat mich geschauert: nur bald weg von hier. . . . 
Am andern Morgen glückte es mir, mit dem 
ersten Transport weitergeschafft zu werden. O, 
diese Fahrt in einem stoßenden, belgischen Bauern 
wagen auf holprigem Pflaster! Aber es ging der 
Heimat zu! Mittags fuhren wir in Roulers ein, 
die Stadt, die noch immer die deutlichsten Spuren 
der Käinpfe zeigte, die wir hier am 19. Oktober 
bestanden. Doch schon sah man wieder Menschen, 
die ruhig ihrer Beschäftigung nachgingen. Wie 
der Anblick aus uns wirkte, die wir so lange keinen 
Zivilisten gesehen. . . 
Wir wurden sofort verladen, und um 2 Uhr 
mittags fuhr der Zug ab! Den Jubel! Wer 
hätte in dem Augenblick Schmerzen gefühlt! „Nach 
der Heimat, nach der Heimat . ■. .!" In meinem 
Abteil lag ein Jäger, der hat seinen Piston ge 
blasen so jubelnd und so ergreifend wieder: „Ich 
hatt' einen Kameraden . . ." Und uns wurden die 
Augen feucht! . . . 
Rasch ging die Fahrt; doch schneller noch flogen 
unsere Gedanken. . . . Am selben Abend noch 
erreichten wir Gent und konnten uns endlich ein 
mal satt essen. Dann weiter durch Feld uud Wald 
und Dorf und Stadt . . . überall sahen uns die 
Bewohner an: manche Mitleid im Blick, die meisten 
eine Schadenfreude, die sie nur schwer verhehlen 
konnten. — Brüssel! Fast eine Stunde fahren wir 
durch die weiten und volkreichen Vorstädte. . . .
	        

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