Full text: Hessenland (29.1915)

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als Teil des neu gestifteten Königreichs mit über 
lassen worden, geschehen ist. 
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W i d e r l e g u n g der Gegengründe. 
Mehrere nicht unerheblich scheinende G e g e n - 
gründe, womit jener an und für sich wohl- 
begründete Anspruch des hessischen Fürstenhauses 
in Zweifel gezogen worden, werden sich ohne große 
Schwierigkeit beseitigen lassen. Als einen solchen 
Zweifelsgrund hat man 
1. das in Brabant ehedem üblich gewesene V e r- 
f a n g e n s ch a f t s r e ch t (Jus dévolutions) an 
geführt, zufolge dessen, wenn ein Ehegatte zur 
anderweiten Ehe schreitet, sowohl sein eigenes, als 
das Verntögen des verstorbenen Ehegatten, dein 
Eigentume nach ans die Kinder erster Ehe übergeht; 
da nun Heinrich d. K., der Stifter des hessischen 
Hauses, ein Sohn zweiter Ehe des gemeinschast- 
lichen Stammvaters beider Linien, Herzogs Hein 
rich II., war, so würde mittelst Anwendung jenes 
Rechtes ans das Herzogtum selbst dieses ails den 
Sohn erster Ehe, den Stifter der älteren Linie, 
schon eigentümlich übergegangen gewesen sein, als 
ersterer * geboren wurde, so daß er überall kein 
Sukzessionsrecht ans dasselbe hätte erlangen können. 
— Allein völlig unpassend würde man jene 
rein p r i v a t r e ch t l i ch c, und nur die inneren 
Familienverhältnisse der Privatpersonen auf eine 
das Eindringen von Stiefeltern möglichst erschwe 
rende Weise ordnende Bestimmung aus die von 
solchen Rücksichten völlig unabhängige Nachfolge 
in die Regierung von Land und Leuten anwenden, 
und nicht weniger r e ch t s w i d r i g auf diesem 
Wege sogar das, eben di e s c r Regi e r u n g s - 
nachfolge vorzugsweise entsprechende, 
Prinzip der Ausschließung weiblicher Erben be 
seitigen zu können glauben; daher auch die Rechts- 
gelchrten, welche über den in Rede stehenden Suk 
zessions-Anspruch geschrieben haben, diesem Gegen 
grunde nur ein sehr geringes Gewicht beilegen. 
2. eine von Heinrich d. K. im Fahre 1279 ans 
gestellte Verzichts urkunde, wodurch derselbe 
rücksichtlich des von seinem Bruder geforderten An 
teils an Allodien, Grundstücken und erworbenem 
Vermögen, welche ihnen durch ihren Vater in 
Brabant zugefallen seien, sich, nachdem er ver 
nommen, daß ihm darauf kein so gegründetes 
Recht, wie er geglaubt habe, zustehe, für sich und 
seine Erben aller Ansprüche begibt, welche 
ihnen darauf zustehen möchten oder künftig geltend 
gemacht werden könnten. — Wie der Inhalt dieser 
Urkunde von dem sonst bewährtesten Schriftsteller 
über Brabant, B ü t k e n s, in einem umschreibenden 
Anszuge angegeben wird, nämlich als Verzicht- 
leistung à tout ckroit cke succession, qu’en 
aucune manière lui pouvoit competer aux alleus, 
héritages ou acquestes, ließe sich dasselbe wenig 
stens möglicher Weise ans die Nachfolge in das 
Herzogtum mit beziehen, wiewohl einer solchen 
Auslegung doch immer die ausdrückliche Beziehung 
auf das A l l o d i a l - Vermögen entgegen stehen 
würde; allein einer Sukzession findet sich in 
der Urkunde gar nicht gedacht, vielmehr zeigt die 
Bezeichnung des Gegenstandes der Entsagung als 
der beiden Brüdern von Seiten ihres Vaters 
angefallenen Allodien usw., schon deutlich 
genug an, daß hier von der Nachfolge in das 
Herzogtum selbst, welches ganz unbestritten dem 
ältesten Bruder vermöge des Erstgeburtsrcchts zu 
kam und worauf daher der jüngere, zumal nach 
32 Jahren, während ivelcher jener iin Besitze des 
selben gewesen war, gewiß keinen Anspruch machte, 
nicht die Rede sei, vielmehr nur von dem Allo- 
d i a l n a ch l a s s e des gemeinschaftlichen Vaters, 
der, als Heinrich im frühesten Kindesalter mit 
seiner Mutter Brabant verließ, in den Händen 
seines Oheims zurückgeblieben war. Das Aufgeben 
seines Anspruches auf diesen Nachlaß ließe sich 
aber wohl aus der Anwendung des oben er 
wähnten Devolutionsrechts erklären. — Überdies 
würde selbst durch eine wirklich geschehene Verzicht- 
leistung ans die Regierungsnachfolge, da zur Zeit 
derselben schon 3 Söhne des Landgrafen am Leben 
waren, diesen und ihren Nachkommen das von 
ihren Vorfahren abgeleitete Sukzessionsrecht nicht 
haben entzogen werden können. — Andere haben 
auch wohl aus jener Urkunde die Nachweisung einer 
zwischen Heinrich d. K. und seinem Bruder ge 
schehenen Totteilung in Beziehung auf das 
Herzogtum finden wollen, durch welchen Akt in 
damaliger Zeit nicht selten die Mitglieder einer 
Familie die anererbten Güter dergestalt unter sich 
zu verteilen pflegten, daß keinem derselben irgend 
ein weiterer Sukzessionsanspruch auf den Änteil 
des andern verblieb, so daß ein jeder Teilhaber 
völlig frei über seinen Anteil verfügen konnte. 
Allein um eine solche T o t teilung als vorhanden 
anzunehmen, muß doch überhaupt eine Teilung 
von Gütern, welche vorher gemeinschaftlich waren, 
stattgefunden haben; an dieser wesentlichen fak 
tischen Voraussetzung fehlt es aber hier gänzlich, 
indem Heinrich d. K. mittelst jener Urkunde gar 
nichts erhielt, und als Gegenstand der Teilung 
auch nicht die 32 Jahre vorher von ihm aus 
schließend in Besitz genommene' Landgrafschaft 
Hessen angesehen werden kann, indem er das Erb 
recht aus diese lediglich von seiner Mutter und 
seinem mütterlichen Großvater herleitete, da 
her seinem von einer andern Mutter geborenen 
Bruder hierauf durchaus kein Anspruch zustehen, 
mithin auch die Nachfolge des ersteren in Hessen 
nicht als Äquivalent seiner Rechte aus die von dem 
gemeinschaftlichen Vater herrührenden 
Besitzungen gelten konnte. Endlich 
3. hat man auch als Zweifelsgrund die auf 
einen Zeitablaus vieler Jahrhunderte gegründete 
Verjährung angeführt; und hierbei ist soviel 
allerdings gewiß, daß, wenn überhaupt diese Auf 
hebungsart von Rechtsansprüchen für anwendbar 
auf einen Fall der vorliegenden Art gehalten wird, 
eine jede Gattung der Verjährung, selbst die
	        

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