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von dem keiner, der uns kannte, etwas ahnte.
Du wurdest täglich bleicher, und dein Gesicht war
lang und schmal wie das eines Fieberkranken.
In deinen Augen brannte eine flackernde Glut,
und deine weißen, schmalen Hände sprachen von
einsamen Gualen. Mir sagte man, ich sei schön
geworden. Ich ging umher wie sonst, äußerlich
kühl und unberührt. Auch ich arbeitete — aber
mir war Arbeiten kein Lebensmuß, ich arbeitete,
um das Sehnen und Rufen meiner Seele zur
Ruhe zu bringen, arbeitete manchmal mit der Hast
der Hoffnungslosigkeit, wenn ich fühlte, wie meine
Sehnsucht nicht schweigen wollte. Wonach meine
Seele hungerte, ich wußte es damals nicht so wie
heute, ich merkte es nicht, weil ich auf falscher
Fährte ging. Ich liebte dich, Hermann Eisenherz,
und sah in dir die Erfüllung meines Lebens.
Und dann kam ein Tag, an dem ich mich am
Ziel meiner Wünsche dünkte, kam der Tag, nach
dem ich mich gesehnt hatte all die langen Wochen
hindurch. Es war ein klarer Nachmittag im Winter,
da saß ich oben im Seminarzimmer am Fenster
und las. Ich war allein. Ab und zu schaute ich
von meinem Buch auf und warf einen Blick hin
aus auf die fernen Höhen, über denen die Unter
gehende Sonne mit den Abendschatlen kämpfte.
Dann arbeitete ich weiter. Die Tür ging auf.
Ich arbeitete und fühlte doch in jedem Nerv: es
steht einer und schaut dich an. Nach ein paar
Minuten, die mir unendlich lang dünkten, sah ich
auf. An der Tür stand Hermann Eisenherz und
starrte mich mit großen, dunklen Augen an. Mich
durchzuckte ein Schreck, als stände dort die Gefahr,
der ich ausweichen müßte. Aber die Gefahr sah
mich mit Augen an, in denen Liebe und Sehn-
sucht staud, und über solchen Augen vergißt man
die Gefahren. Du kamst langsam näher, aber
wir schwiegen. Es gab keine Worte, die wir uns
hätten sagen können in solchem Augenblick. Ich
weiß nur, daß ich mich nach langer Zeit umwandte
und aus dem Fenster deutete: „Sieh dort, der
Nebel kommt!"
„Ich sehe nur dich."
Und wieder war das Schweigen um uns.
(Schluß folgt.)
Aus Heimat und fremde.
H e s s i s ch e r G e s ch i ch l s v e r e i n.
Geschichtswissenschaftticher Unterhaltungsabend des
Kasseler Vereins am 1. November. Der Vorsitzende,
Generalmajor z. D. E i s e n t r a u t, eröffnete die Sitzung
mit einem Hinweis auf die hervorragenden Leistungen
unserer 22. Infanteriedivision, besonders des Infanterie-
Regiments Nr. 82, dessen reiche Beute an feindlichen
Fahnen zurzeit im Zeughause zu Berlin ansgestellt ist.
Kantor H o r w i tz sprach über die Familie Mosenthal,
die durch einen ihrer Angehörigen, den Dichter Salomon
Hermann Mosenthal, besonders bekannt geworden ist,
dessen jetzt fast vergessene Dramen einst sehr beliebt
wären. Aber auch andere Mitglieder der Familie ver
dienen Erwähnung wegen ihrer Verdienste um den
hessischen Staat. Die Familie hieß früher Marburg.
Um das Jahr 1717 lebte in Marburg der „Schutz- und
Proviantjude" Herz Isaak. Dieser bat den Landgrafen,
seinem äußerst tüchtigen „Comptoir-Diener" Abraham
Moses, der mit einer Tochter Abraham Fuldas ver
heiratet war, wegen seiner Verdienste um das hessische
Proviantwesen einen Schutzbrief zu verleihen, was unterm
21. Oktober 1717 geschah. Von dessen Söhnen tvaren
die zwei ältesten Kaufleute, Sußmann Abraham, der
sich Rosengarten, und Moses, der sich Mosenthal nannt',
beide erhielten 1772, bzw. 1770 das Recht der Nieder
lassung in Kassel, wo sie das Getreide- und Lieferungs
geschäft ihres Vaters fortsetzten. Am 2. Februar 1788
wurden sie zu Hof- und Kammeragenten ernannt und
ihnen wegen „ihres unermüdlichen Strebens, in allen
Lieferungsgeschäften als wahrhaft nützliche Untertanen
sich zu zeigen", am 27. Oktober 1789 ein Gehalt von
100 Talern bewilligt. 1792 wurden ihnen die Liefe
rungen für das hessische Truppenkorps in Frankreich
übertragen. Sie hatten dabei erhebliche Verluste. Als
Entschädigung wurde ihnen das freie Niederlassungsrecht
in Kassel für alle ihre (211 Kinder bewilligt, das auch
auf die Schwiegersöhne Jakob Hirsch, Rieberg und
Wallach (Stammväter der Kasseler Familien dieses
Namens) ausgedehnt wurde. Ein Sohn des dritten
Bruders Lippmann Abraham, der sich Liffmann nannte,
ist bekannt als Gründer der Gesellschaft „Humanität".
Die Kinder des vierten Bruders Salomon Abraham
nannten sich Hahndorf (dieser Familie gehört der be
kannte Literat Salomon Hahndorf an), Gustorf und
Adler. Die beiden ältesten Brüder Sußmann und
Abraham hatten hervorragende Stellen im israelitischen
Gemeindewesen inne. Der erwähnten Familie Rosen
garten entstammt der als hervorragender Baumeister
bekannte Erbauer der hiesigen Synagoge, Albrecht Rosen
garten. Ein Enkel des Moses Abraham war der Dichter
Hermann Mosenthal. Bankier Fiorino wies daraus
hin, daß Dr. Lucius Liffmann der erste jüdische Arzt
in Hessen gewesen ist und daß ein Angehöriger der
Familie Gustorf, Ludwig von Gustorf, als Leibarzt
Kaiser Wilhelms I. geadelt wurde. Seine Söhne waren
Offiziere in der preußischen Kavallerie. Rechnungs
direktor W o r i n g e r teilte einen Bericht des König!
westfälischen Direktors der Pulver- und Salpeterfabriken,
Moritz Duviquet, über seine Erlebnisse in Kassel im
Jahre 1813 mit und knüpfte daran Mitteilungen über
die Erwerbung des Gutes Freudenthal durch den west
fälischen General Allix, wozu Generalmajor z. D.
Eisentraut Ergänzungen bot. Baurat Dr. Holtmeyer
berichtete eingehend und unter Vorlage gleichzeitiger
Pläne über die aus Anlaß des Neubaues der Fulda
brücke zu Ende des 18. Jahrhunderts beabsichtigten bau
lichen Veränderungen in der Unterneustadt, namentlich
über die geplante Umgestaltung des Holzmarktes. General
major z. D. Eisentraut legte eine von Kaufmann Klee
mann geschenkte Bekanntmachung über die Feier des
18. Oktobers 1813 in Kassel vor, beschrieb die int Jahre
1814 stattgehabte Feier des Jahrestages der Schlacht