Wäre der Oberst geblieben, wer weiß, was
dann geworden! — Was Halle er denn hier?
Eine Hölle. Drin eine Hexe, die ihm zehn Teufel
bescherte, und der elfte war unterwegs. — Halte
er nicht bisher fein Mißgeschick still und ohne
Murren getragen? Aber wenn man es wagte,
seine Ehre anzulasten, und ihn nicht für voll nahm —
man sollte was erleben! — Trug er denn nicht
auch die Fahne des Krieger- und Landwehrvereins
von dem Weihelage bis zur Stunde? —
„Der Förster, Karl, der Förster", rief es von
allen Seilen.
Karl Witt rührte sich nicht. Er sah sich nicht
einmal um.
Försters Waldmann beschnüffelte ihn verwundert
und stieß ihn mit der Schnauze, als wolle er ihn
mahnen. Da gab er dem Hunde einen Tritt, daß
er sich überschlug und heulend zu seinem Herrn eilte.
„Was soll das bedeuten, Witt?" herrschte ihn
der junge Grünrock an.
Keine Antwort.
„Wollt Ihr jetzt sofort an die Arbeit gehn, oder
soll ich Euch einschreiben?"
„Was? — So ein Grünschnabel einen alten
Frankreicher einschreiben?"
Herausfordernd stand er da mit erhobener Faust
und kupferrotem Gesicht.
Kreidebleich trat der Förster zurück.
„Ihr verlaßt jetzt sofort die Arbeitsstelle!"
Sein Blick fiel ans die Scherben, die er mit.
dem Fuße fortstieß. „Natürlich, wieder gesoffen
fürs Vaterland! Und das ist dann das Ende! —
Schert Euch, marsch!"
Das Arbeitslied war unterbrochen. Gemurmel
erhob sich rings.
„ Karl Witt, sei kein Tor. Besinn Dich, mach keine
Dummheiten! Komm her", rieten die Kameraden.
Der Vorarbeiter berichtete, was sich begeben.
Kopfschüttelnd kam Hankuri herzu: „Karl,
was ist denn in Dich gefahren? Es war doch alles
Spaß. Mach keine Albernheiten! Komm nur
her, dann ist alles wieder im Lot. Du warst
doch im Unrecht." —
Der Förster stand abgewandt, als warte er
auf einen Ausgleich.
Zuletzt wagte sich auch der Frieder herbei:
„Vater, was macht Ihr denn für närrische Werke?
Hier ist die Axt!" —
Wäre der Frieder nicht flink zur Seite gesprungen,
der Wütende hätte um ein Haar seinen Jungen
erschlagen.
„Verfluchter! Bleib Du mir vom Leibe. Geh
zu Deinen Schwarzen, Du Hund!"
„Haltet mir nicht länger noch die Arbeit auf,
macht, daß Ihr fort kommt!"
Damit schloß der Förster ungeduldig die Szene.
Noch ein wilder, wütender Blick zu den staunenden
Genossen, dann war's, als sänke die robuste Gestalt
in sich zusammen, die wie ein Trunkener mitten
durch das erloschene Feuer taumelte, die Anhöhe
hinauf.
Schwer und langsam tappte er durch den tiefen
Schnee dem Abendrot entgegen, das durch die
Stämme leuchtete. — — — —
„Sie haben ihn, sie haben ihn. Hinten im
Rosenloch an einer Hainbuche hing er. Die ganze
Nacht haben sie gesucht, der Frieder wie der Han-
kurt und heute morgen auch all die übrigen Holz
hauer. Der Hankurt hat ihn zuerst entdeckt."
So ging die Botschaft von Haus zu Haus.
Das gab groß Geheul in Witts Hütte. Die
Lene warf sich wild über die Leiche und klagte
sich an. Sie wollt' ja gern noch zehn Kinder
kriegen, wenn er doch wieder ausstände, ihr Karl.
Und all ihre Sünden zählte sie vor ihren Kindern
auf, die sie an ihm begangen.
Die Kinder standen verstört und stumm mit
gefalteten Händen umher und eins wartete aufs
andere, bis es zu heulen anfing, was allemal in
lautem Chore endete.
Nur der Frieder, der Älteste, der weinte nicht.
Ihn drückte noch was Anderes. Der Hankurt
wußte das und kam herüber. Er nahm den Frieder
mit in die Kammer.
„So'n dummer Hund! Nun kriegt er nicht
einmal ein ehrlich Kriegerbegräbnis! Was fangen
wir an, Frieder?"
Der war schon beim Vorstand gewesen. Der
hatte mit den Achseln gezuckt. Das müsse der
Vorsitzende des Kreisverbands entscheiden, hatte
er gemeint, und das war der Landrat.
Der Hankurt erbot sich, selber zum Landrat zu
gehn. Ohne Fahne, das sei doch für ihn zu
schimpfierlich, zumal er sie zeitlebens getragen.
Der Verein könne dem Kameraden die letzte
Ehre erweisen, aber ohne Salve, ohne Fahne. Der
Landrat hatte von Prinzip und Konsequenz ge
redet. So hohe Herren haben immer so komische
Worte bei der Hand, dahinter sie sich verstecken.
So kam denn der Verein ohne Fahne und der
Pfarrer ohne Talar. Und die Schulkinder dursten
nicht singen. So eine Leiche hatte man seit
Menschengedenken nicht erlebt. Das ganze Dorf
war auf den Beinen. Sogar die von Witzingen
und Neudingen standen hinter den Hecken.
Der Pfarrer hatte kein Buch mit, aber was
er auf der Diele auswendig über dem Sarge
sagte, packte sie alle tief ans Herz.