Full text: Hessenland (29.1915)

Bevölkerung nicht trauen durfte; schau mancher 
deutschen Mutter Sohn war in diesem Lande der 
Kugel eines lauernden Bauern und sonstigen Frank 
tireurs zum Opfer gefallen. — Uns gab das ge 
ladene Gewehr ein erhebendes Gefühl unseres 
Wertes; und wieder — wie ich's zu allen Zeiten 
da draußen gemerkt habe — gingen die unglaub 
lichsten Gerüchte um über das, was uns bevor 
stehe. i 
Heiß war der Tag, zu heiß für einen des Ok 
tobers, und der Schweiß rann von der Stirne 
und der Affe wollte manchem fast unerträglich 
werden. Längst schon hatten die meisten ihre Feld 
flaschen geleert, so daß Radfahrer vorausfuhren 
und die Leute anwiesen, Eimer mit Trinkwasser 
an den Weg zu stellen. Eigentlich war dies ein 
großer Leichtsinn! Wie leicht konnte solches ver 
giftet sein, was denn auch bei anderer Gelegenheit 
einem Offiziersburschen vom 2. Bataillon das 
Leben gekostet hat. — Schließlich gegen 2 Uhr 
mittags machten wir im Parke eines wunderschönen 
Schlößchens, dessen Tore wir gewaltsam erbrachen, 
eine längere Rast. Dann ging's weiter durch 
manches Dorf und manchen Bahnstraug, der dann 
stets von Landstürmern bewacht war, die unsere 
Feldpostsachen in Empfang nahmen, eine Höhe 
hinauf und wir sahen im Tal ein Städtchen liegen: 
Grammont. 
Da wir noch nicht Quartier nehmen konnten, 
beschloß der Major, in jenem Städtchen Wagen 
requirieren zu lassen, um denen, die nur schwer 
noch mitmachten, die Tornister nachfahren zu lassen. 
Also: „Freiwillige vor!" Ich fühlte mich noch 
wenig ermüdet, und zumal es vielleicht dabei ein 
kleines Abenteuer zu erleben galt, sprang ich vor. 
Zwölf Mann stark, die zum größeren Teil die 
stets stramme dritte Kompagnie stellte, zogen wir 
nun unter Führung unseres Feldwebels B. in 
Grammont ein, während das Bataillon droben 
auf der Höhe wartete, bis die requirierten Wagen 
einträfen. Auf beide Seiten der Straßen verteilt 
gingen wir im Schutze der Häuserfronten mit auf 
gepflanztem Seitengewehr vor. Entsetzt wichen 
Frauen und Kinder,' die nach der Sitte vor den 
Haustüren saßen, vor unserer blinkenden Wehr ins 
Innere, während sich die Männer, die, faul die 
Hände in den Taschen, die langen dampfenden 
Tonpfeifen in einen Mundwinkel geschoben, lauernd 
und listig unter ihrer tief und schief ins Gesicht 
gezogenen englischen Mütze hervorsehend umher 
standen, verstohlen zu drücken suchten. Schließlich 
trieben wir einen dieser Kerle auf und ließen uns 
zum Bürgermeister führen und aufs Rathaus am 
Markt, wo ein frischer Brunnen plätscherte, unsern 
Durst zu stillen. Zwei Mann als Posten vor das 
Haus, zwei weitere auf die Treppengänge usw., 
so meldeten wir uns beim Stadtoberhaupte an. 
Der Maire ist beinahe vor Schreck vom Stuhl ge 
sunken und konnte leichenblaß zunächst kein Wort 
vorbringen, als wir so in sein Zimmer eindrangen 
und unsere Forderung nannten. Allzu freundlich 
haben wir auch nicht gerade dreingeschaut. — 
Schnell willigte der Herr in alles, was wir haben 
wollten; und schien er uns etwas zu zögern, so 
räusperte sich einer einmal nach preußischer Sol 
datenart und ließ ganz zufällig einmal den Kolben 
aufstoßen, daß rings alles im Zimmer erzitterte 
und erschrocken der Herr Maire zusammenzuckte. 
Garantie über die Haltung seiner Bevölkerung 
wollte er leisten, nur über das sogenannte Weber 
viertel lehnte er sie ab. 
Wir machten uns au die Arbeit, vielleicht, daß 
wir richtiger dazu den Herrn Bürgermeister von 
Grammont mitgenommen hätten, und es gelang 
uns, wenn schon nicht ohne Schwierigkeiten, dem 
Bataillon einige Wagen samt Bedeckung zuzu 
senden, worauf unser Bataillon abmarschierte, 
während wir, ungefähr 8 Mann noch, in der Stadt 
blieben. Wir wollten naturgemäß auch einen Vor 
teil haben und uns auf eigene Hand einen Wagen 
für uns requirieren, um so dem Bataillon nach 
zukommen. Aber merkwürdig: nirgends war mehr 
im Ort ein Wagen oder Pferd vorzufinden. Wäh 
rend wir nun suchten, machte sich der Feldwebel 
mit einem Mann auf den Weg zum Rathaus zu 
rück; aber der Herr Maire war verschwunden. 
Inzwischen aber schart sich mehr und mehr das 
Volk auf den Gassen und umringt, wenn auch 
in gemessenem Abstand, den Feldwebel, der ganz 
allein auf dem Marktplatz steht, und deutet auf 
ihn und gestikuliert lebhaft und aufgeregt So 
treffen wir übrigen mit unserm Führer wieder zu 
sammen; dicht folgt uns eine johlende Menge, die 
wohl wußte, daß unser Bataillon weiter gerückt 
war. Ganz innerlich war's uns ja nicht recht 
angenehm zu Mute; aber ein Gespann mußten 
wir haben auf jeden Fall! — Ein paar donnernde 
Kommandoworte unseres Feldwebels und ihre 
exakte Ausführung gaben uns die nötige Über 
legenheit über die Menge, die immer kühner wurde, 
als die Abenddämmerung stieg. Da wollte es der 
Zufall, als wir um die Straßenecke bogen, daß 
vor einem Estaminet, einer Kneipe, ein Gespann 
hielt und zugleich ein zweites die Straße so hin 
auf fuhr, daß es nicht wie manches vorher Reißaus 
nehmen konnte. Ohne viel Umstände wurde der 
Kutscher aus dem Lokal geholt, und die Insassen 
der andern Chaise freundlichst aber dringend er 
sucht, auszusteigen, da wir für die nächsten Stunden 
beide Gefährte in Anspruch nehmen müßten. Was
	        

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