prächtigen, Mitte Dezember von Veilchenduft er
füllten und einen weiten Blick ins Aisnetal ge
stattenden Berggarten das jetzt als Genesungsheim
für unsere Feldgrauen benutzte „Haus des Gouver
neurs" mit dem historischen, von Gabriellc d'Estrees,
der Herzogin von Beaufort, bewohnten Zimmer,
der Mätresse König Heinrichs IV., dem sie hier,
während er das nahe Laon belagerte, seinen Sohn
Cesar, den Herzog der Vendome, gebar. Hieran
erinnert noch eine Marmorinschrift am Kamin des
von seinem jetzigen, wohl nach Paris entflohenen
Besitzer in ein kleines Museum umgewandelten
Zimmers. Nicht weit davon liegt der eigentliche
Marktplatz und an einem dritten kleineren Platz
das von verwundetenfranzösischewKriegsgefangenen
belegte Hospital und ein von einem Pariser Arzt
begründetes kleines Waisenhaus für junge Mäd
chen, die aber gleichfalls geflüchtet sein mochten.
Um das ganze Städtchen zieht sich eine mit Türinen
besetzte Steinmauer von stellenweise 16 bis 20
Meter Dicke, und ein Rundgang um diese von
allerhand Geschling umwucherte Umwallung gibt
einen Begriff von dieser gewaltigen mittelalter
lichen Befestigung. Nur drei Tore führen ins
Innere, die über den Weinbergen gelegene Porte
de Soissons, die Porte de Chauny und die in der
Kunstgeschichte weltberühmte Porte de Laon, die
die zugänglichste Seite der Stadt zu schützen hatte
und darum von zwei dickleibigen Türmen von je
vier Stockwerken flankiert war, eine der bemerkens
wertesten militärischen Schöpfungen aus dem An-
sang des 13. Jahrhunderts.
So fesselnd aber auch dieses trotz Eisenbahn welt-
entrückte, jetzt von deutschen Soldaten belebte alt-
französische Städtchen sein mag, uns zieht es nach
der Ruine, die weithin das Tal beherrscht und
schon von diesem Tal aus durch ihre ungewöhn
lichen Maße wirkt. Neben dem Rathaus biegen wir
in eine schmale Gasse, wechseln einige Worte mit
dem freundlichen Bürgermeister, einem stattlichen
weißbärtigen alten Herrn, und sind in wenigen
Minuten innerhalb der Plaee d’armes, der Vor
burg, die das Schloß von der Stadt trennt. Hier
standen einst die Wohngebäude der Garnison und
der Vasallen des Herrn von Couch, die sich iu
Kriegszeit hierher zurückzogen, die Ställe und eine
romanische Kapelle. Der Platz, von einer festen,
durch zwölf Türme unterbrochenen Mauer ein
geschlossen, stand mit der Stadt durch ein befestigtes
Tor in Verbindung. Heute ist der weite Platz,
der manches ergötzliche Lanzenstechen gesehen haben
mag, mit Gras überwuchert, in dem neben fran
zösischen Uniformstücken die Reste eines kleinen
Biwaks herumliegen. Franzosen, Engländer und
Deutsche sind seit dem Krieg nacheinander hier
oben gewesen. In dem kleinen Häuschen des
Kastellans sieht es furchtbar ans. Was an Möbeln
noch vorhanden ist, ist zerschlagen, Spiegelscherben,
zerbrochenes Gerät, Photographien, Kinderspiel
zeug und Papierfetzen bedecken den Boden. Ich
hebe aus dem Wust ein Schulheft auf und blättere
darin. „Cahier de devoirs, appartenant à Julia
Felix, 1914.“ Es lourde vor Kriegsausbruch ab
geschlossen, und aus deir Aufsätzen geht hervor,
daß die Trägerin des glückverheißenden Namens
kurz vor dem Examen stand und die Kastellaus
tochter ist. In schlichten Worten schildert sie die
Schönheiten ihres lieben Vaterlandes, den idyl
lischen Frieden des heimatlichen Bergstädtcheils, bis
ins einzelne das kleinbürgerliche behäbige Treiben
am Bahnhof, ihren täglichen Abendspaziergang,
wenn sie mit dem Großvater zwischen den Wein
bergen die große Straße herabschlendert und mit
dem gemütlichen Briefträger wieder zurückkehrt.
Julia Felix, wie lvirst du traurig sein, lvenn du
das väterliche Häuschen wieder betrittst, und was
würdest du statt deiner friedvollen Schilderung
des ländlichen Bahnhofsbetriebes geschrieben haben,
hättest du, wie wir gestern, die endlose Reihe von
Planlvagen und anderen Gefährten drunten am
Bahnhof Coucy-le-ChLteau gesehen mit den hoch
getürmten Bündeln und Kisten und darauf iu all
ihrem Elend die Männer und Frauen, Greise und
Kinder, deren unmittelbar hinter der Front ge
legene Dörfer von der eigenen französischen Ar
tillerie beschossen waren und die jetzt, einige Tau
send an der Zahl, mit der Bahn in eine sichere
Gegend abgeführt wurden.
Zur eigentlichen Burg gelangte man durch ein
stark befestigtes Tor, eben jene von Fennel an Ort
und Stelle so plastisch gezeichnete Porte Maître-
Odon, in den Tagen des Glanzes ein gewaltiges,
der Porte de Paon des Städtchens vergleichbares
Bauwerk. Bei diesem Tor lag, wie schon gesagt
wurde, die Behausung des mächtigen Kastellans
von Couch, eines anderen Kastellans freilich als
desjenigen, in dessen Töchterleins Schulheft ich
eben noch las: „Papa lait toujours visiter le
château“. Es war der Schloßkommandant, der
Burgvogt, der die Veste zu verteidigen und den
Burgmannen Recht zu sprechen Hatte. Mit der
Zeit waren die Kastellane von Couch so mächtig
geworden, daß die Porte Maître-Odon bis zur
Revolutionszeit ihr erbliches Lehen blieb.
Wir alle kennen Uhlands Ballade mit ihrem
grausigen Motiv des gegessenen Herzens. Die
Vorstellung eines solchen Mahles ist eine uralte.
Wir brauchen gar nicht zurückzugehen in das Haus
der Atriden, sondern nur zu erinnern an das er
schütternde Märchen vom Machandelboom. Weiter