Möglicherweise bezieht sich das Schreiben auf
denselben Konflikt, dessen Rodenberg in seinen
„Heimatherinnerungen an Franz Dingelstedt und
Friedrich Oetker" (Berlin 1882, Seite 81) mit
den Worten gedenkt: „Einmal während der Carne-
valszeit 1840 kam es sogar im dortigen sd. h.
im Fuldaerj Casino zu einer Scene, bei welcher
die Dingelstedt befreundeten Officiere schon die
Säbel zogen."
Karlsdorf.
Die älteste französische Kolonie in Hessen in vorbildlicher Entwickelung zum deutschen Dorfe.
Bon F. Pfaff.
(Schluß.)
5. Die Wandlung der Kolonie zum
deutschen Dorf.
Seit dem Jahre 1700 waren Waldenser nicht
mehr aus der Heimat in den Alpen in Hessen
eingewandert, wohl aber nach einem Zwischen
aufenthalt aus Württemberg, wo es eine nach dem
Urspruugsgebiet benannte Kolonie Queyras gibt,
in die kleinen Weserdörfer Gottstreu und Gewissen
ruh. Dann hörte der Zuzug so gut wie ganz
auf, und da auch in den Karlsdorf benachbarten
Kolonien Schöneberg und Kelze, besonders in der
ersteren, die Zahl der deutschen Familien sich rasch
vermehrt hatte, so traten immer weniger Familien
französischen Ursprungs ein; das einzige Marien
dorf bewahrte seine Eigenart weit länger, was
heute noch leicht zu erkennen ist. Nachdem dann
die französische Sprache aus der Kirche, der Schule
und dem Verkehr geschwunden war, erschien Karls
dorf als ein deutsches Dorf, wenn auch ein Teil
seiner Bewohner in seiner körperlichen und geistigen
Verfassung, in Charakter und Sitte den Ursprung
nicht verleugnete. Bon den Namen der ersten An
siedler haben sich nur vier fortgeerbt: Bellon, ver
treten in drei Familien, Chailliol (zwei Familien),
Meyer (Mejer) (zwei Familien), Martin (eine
Familie), während die Familien Benoit, Mulot
und Vialon anderen Kolonien entstammen.
Durch ein gewisses inneres Band ist Karlsdorf
indes stets mit seiner Vergangenheit verbunden
geblieben, es stellt sich als rastloses, erfolgreiches
Streben nach gedeihlicher Entwickelung dar. Man
darf ruhig behaupten, daß es darin die älteren
Dörfer der Gegend weitaus übertroffen hat, wenn
man sich den ursprünglichen Zustand vor Augen
hält; es sind wohl allenthalben große Fortschritte
gemacht worden, aber in Karlsdorf waren sie
rascher, gründlicher, mehr in die Augen springend,
als anderwärts. Wie gewaltig ist der Abstand
zwischen der kümmernden, fast lebensunfähigen
Kolonie vom Jahre 1700 und dem blühenden Dorf
von heute, das durch die sorgfältige, saubere Be
arbeitung seiner Feldflur in seiner Umgebung auf
fällt! Vielleicht hat keine der Gründungen der
Landgrafen Karl und Friedrich II. eine gleich
günstige Entwicklung aufzuweisen.
Ein starker Anstoß zu weiterem Fortschritt wurde
durch staatliche Maßnahmen gegeben, die zwar
selten genannt werden, aber nicht leicht zu hoch
eingeschätzt werden können. Landesgesetze befreiten
den Grundbesitz von seinen Fesseln, von Gefällen,
Lasten und Dienstbarkeiten, meist auf dem Wege
der Ablösung?) Die in der Form der Erbleihe
ausgegebenen Portionsgüter der Kolonisten wurden
so freies Eigen, auch die Zehntabgaben wurden
abgelöst und sind längst abgetragen, sie hatten um
so ungünstiger auf den Betrieb gewirkt, da sie
auf den Ertrag gelegt waren und ihre Erhebung
sowohl dem Pflichtigen als dem Berechtigten lästig
war?) Wenn es den Kolonisten in Karlsdorf
auch gelungen war, mit Hilfe der wirtschaftlichen
und gesetzgeberischen Reformen die frühere große
Dürftigkeit, den Druck und die Sorgen um die
Existenz zu überwinden, so blieb doch noch mancher
lei zu wünschen übrig, weil die Erzeugnisse der
Wirtschaft vielfach nicht ihrem wirklichen Gehalt
entsprechend verwertet werden konnten. Die Ge
treidepreise waren zwar verhältnismäßig nicht
niedrig, jedoch so starken Schwankungen unter
worfen, daß es die Vorsteher der Nordgeismar
meierschaft für wichtig genug erachteten, in ihrem
Kapitalbuch zu vermerken, das Viertel Korn habe
im Jahre 1822 zwei Taler, im Jahre 1827 vier
Taler, im Jahre 1847 aber zwölf Taler gekostet,
das Pfund Brot in diesem Teuerungsjahr zwei
Groschen. Was nutzten dem Besitzer eines kleinen
Bauerngutes die emporgeschnellten Preise, wenn
er nichts zu verkaufen hatte! Die übrigen Er
zeugnisse waren, an dem Stand der Frnchtpreise
gemessen, sehr billig, oft kaum abzusetzen, denn
aufnahmefähige Markte fehlten in der Nähe und
entferntere Absatzquellen hatte der eben in der
8) Gesetz vom 26. August 1848 über die Auseinander
setzung der Lehens-, Meier- und anderen gutsherrlichen
Verhältnisse.
9) Gesetz vom 23. Juni 1832.