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der Pachtertrag, der von ihm erzielt werden konnte,
auf 1 1/4 Taler geschätzt, wobei indes immer zu
berücksichtigen ist, daß das Geld eine zweimal bis
dreimal größere Kaufkraft hatte, als heutzutage.
Land der geringsten Klasse wollte niemand auch
nur geschenkt haben, wenn die darauf ruhenden
Lasten übernommen werden mußten. Wenn je
mand mit den Steuern und Gefällen lange im
Rückstände geblieben war, dann gab er wohl das
Eigentum an dem Grundstück ganz auf, und es
fiel dem Staate zu, als verlassene Länderei.
Der Boden im Karlsdorfer Feld war wegen
des vielfach vorhandmen roten Grantes, der über
haupt an den Rändern der Sandsteinplatte des
Reinhardswaldes nicht selten die Bearbeitung er
schwert, im allgemeinen einer raschen Vergrößerung
der kleinen Wirtschaften nicht günstig. Die Portions
güter waren geschlossen, und im einzelnen durfte
nichts davon veräußert werden. Obgleich Karls
dorf, wie schon gesagt ist, mit Huten und Weiden
nicht gerade schlecht ausgestattet war, blieb doch
der Viehstapel gering, weil es schwer hielt, die
Tiere durchzuwintern, ohne daß sie von Fleisch und
Kräften kamen. Auf eine Bevölkerung von 140
Köpfen kamen im Jahre 1772 24 Pferde, 16
Ochsen, 45 Kühe, etwas über 100 Schafe und
gegen 200 Schweine.
Trotz aller widrigen Umstände und Hemmungen
konnte die Kolonie, als sie sich im Jahre 1786
dazu anschickte, ihr hundertjähriges Bestehen zu
feiern, mit Befriedigung auf die Vergangenheit
zurückblicken und mit Vertrauen der Zukunft ent
gegengehen. Die fleißigen Kolonisten hatten längst
eingesehen, daß die Landstellen zu schmal waren,
und in den Zeiten, als die.Grundstückspreise niedrig
waren, ziemlich viel Land in den benachbarten
Fluren erworben, sogenannte deutsche Ländereim;
einzelne besaßen davon schon mehr als 50 Acker.
Die ursprüngliche Gleichheit im Grundbesitz war
also bald durchbrochen worden, und zwar um so
mehr, als einige ansässige Familien schon gar
kein Grundeigentum mehr hatten.
Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts be
gann die Landwirtschaft in Hessen allmählich aus
dem Stillstand, der schon der Erstarrung geglichen
hatte, zu Reformen und zur fortschreitenden Ent
wickelung überzugehen. Man hatte sich seither in
einem fehlerhaften Kreise bewegt: verhältnismäßig
geringer Viehstand, wenn von der Schafhaltung
abgesehen wird, und dabei doch oft Schwierigkeiten
in seiner Durchwinterung, infolgedessen ungenü
gende Düngung, Besserung und Bearbeitung der
Ländereien, so daß viele ständig triesch liegen
blieben, und als Folge davon recht geringfügige
und stark schwankende Erträge. Der Einbruch in
diesen Kreis wurde durch den feldmäßigen
bau bisher wmig bekannter Kulturpflanzen er
reicht. Die Kartoffel, damals Tartuffel. Kartuffel
genannt, hielt einen wahren Siegeszug, obgleich
der Unverstand sie verdächtigte, weil sie zu einer
Gattung gehört, in der Giftpflanzen vorkommen,
besonders das Gesinde war von schwer besiegbarem
Widerwillen gegen sie erfüllt. Dazu kamen dann
noch eigentliche Futtergewächse wie Rotklee, Espar
sette, Lupine, auch verschiedene Rübeuarten wurden
in steigmdem Maße auf den Feldern gezogen. Nach
dem Vorgang Friedrichs des Großen und Jo
sephs II. von Österreich ließ es die hessische Re
gierung an Ermunterung, an Lehren und Bei
hilfen nicht fehlen, doch traf sie nicht selten aus
Widerstand, der durch Kurzsichtigkeit veranlaßt war,
und mußte auch mit unzweckmäßigen! Handeln
rechnen. Rasch konnten ohnehin die Reformen
nicht durchgeführt lverden in einem Lande, das
durchschnittlich wenig fruchtbar war und dem der
siebenjährige Krieg sehr tiefe Wunden geschlagen
hatte. Die Insassen der Kolonien waren wohl
regsamer als die Bauern sächsischen Stammes in
den alten Dörfern und leichter zum Abgehen von
eingewurzelten Gewohnheiten zu bewegen, doch
stand der Mangel au Mitteln den Reformen im
Betrieb entgegen.
Als diese im Anfang des 19. Jahrhunderts
durchgedrungen waren, führte der Weg ohne Unter
brechung und in immer steilerer Kurve aufwärts
Die mehr als tausend Jahre geübte Dreifelder
wirtschaft mit ihrem Flurzwang, der starren Ein
teilung der Flur in ein Brachfeld, Winterfeld und
Sommerfeld, dem Weidegang des Viehes auf der
Brache wurde, nachdem sie schon in einzelnen
Punkten verbessert war, soweit umgestaltet, daß
eigentlich nur der Name und der Rahmen blieb,
man pflegte auch fürder etwa ein Drittel der
Feldfläche mit Wintergetreide zu bestellen, die
reine Brache aber wurde immer seltener und die
Flur erhielt ein bunteres, wechselvolleres Aus
sehen, als sie früher hatte.
Außer ihren Portionsgüteru besaßen die Kolo
nisten im Jahre 1779 6 3 / 8 Acker Garten, 375
Acker Land, 163 Vp Acker Wiese und 7 3/ 4 Acker
Triesch, so daß sie, ins Ganze gerechnet, ihr Grund
vermögen innerhalb eines Jahrhunderts etwa auf
das Doppelte gebracht hatten. Bei 42 Haus
haltungen waren 184 Personen vorhanden; auf
19 französische Familien, zumeist Waldenser, kamen
schon 23, die ein deutsches Oberhaupt hatten, doch
hielten sich diese den ersteren fast in allen Dingen
gleich. Die französischen Familien waren folgende :
1. Jacques Simeon Meyer (Grebe), 2 . Anne
Katherine Martin Witwe, 3. Daniel Bellon,