Full text: Hessenland (29.1915)

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der Pachtertrag, der von ihm erzielt werden konnte, 
auf 1 1/4 Taler geschätzt, wobei indes immer zu 
berücksichtigen ist, daß das Geld eine zweimal bis 
dreimal größere Kaufkraft hatte, als heutzutage. 
Land der geringsten Klasse wollte niemand auch 
nur geschenkt haben, wenn die darauf ruhenden 
Lasten übernommen werden mußten. Wenn je 
mand mit den Steuern und Gefällen lange im 
Rückstände geblieben war, dann gab er wohl das 
Eigentum an dem Grundstück ganz auf, und es 
fiel dem Staate zu, als verlassene Länderei. 
Der Boden im Karlsdorfer Feld war wegen 
des vielfach vorhandmen roten Grantes, der über 
haupt an den Rändern der Sandsteinplatte des 
Reinhardswaldes nicht selten die Bearbeitung er 
schwert, im allgemeinen einer raschen Vergrößerung 
der kleinen Wirtschaften nicht günstig. Die Portions 
güter waren geschlossen, und im einzelnen durfte 
nichts davon veräußert werden. Obgleich Karls 
dorf, wie schon gesagt ist, mit Huten und Weiden 
nicht gerade schlecht ausgestattet war, blieb doch 
der Viehstapel gering, weil es schwer hielt, die 
Tiere durchzuwintern, ohne daß sie von Fleisch und 
Kräften kamen. Auf eine Bevölkerung von 140 
Köpfen kamen im Jahre 1772 24 Pferde, 16 
Ochsen, 45 Kühe, etwas über 100 Schafe und 
gegen 200 Schweine. 
Trotz aller widrigen Umstände und Hemmungen 
konnte die Kolonie, als sie sich im Jahre 1786 
dazu anschickte, ihr hundertjähriges Bestehen zu 
feiern, mit Befriedigung auf die Vergangenheit 
zurückblicken und mit Vertrauen der Zukunft ent 
gegengehen. Die fleißigen Kolonisten hatten längst 
eingesehen, daß die Landstellen zu schmal waren, 
und in den Zeiten, als die.Grundstückspreise niedrig 
waren, ziemlich viel Land in den benachbarten 
Fluren erworben, sogenannte deutsche Ländereim; 
einzelne besaßen davon schon mehr als 50 Acker. 
Die ursprüngliche Gleichheit im Grundbesitz war 
also bald durchbrochen worden, und zwar um so 
mehr, als einige ansässige Familien schon gar 
kein Grundeigentum mehr hatten. 
Erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts be 
gann die Landwirtschaft in Hessen allmählich aus 
dem Stillstand, der schon der Erstarrung geglichen 
hatte, zu Reformen und zur fortschreitenden Ent 
wickelung überzugehen. Man hatte sich seither in 
einem fehlerhaften Kreise bewegt: verhältnismäßig 
geringer Viehstand, wenn von der Schafhaltung 
abgesehen wird, und dabei doch oft Schwierigkeiten 
in seiner Durchwinterung, infolgedessen ungenü 
gende Düngung, Besserung und Bearbeitung der 
Ländereien, so daß viele ständig triesch liegen 
blieben, und als Folge davon recht geringfügige 
und stark schwankende Erträge. Der Einbruch in 
diesen Kreis wurde durch den feldmäßigen 
bau bisher wmig bekannter Kulturpflanzen er 
reicht. Die Kartoffel, damals Tartuffel. Kartuffel 
genannt, hielt einen wahren Siegeszug, obgleich 
der Unverstand sie verdächtigte, weil sie zu einer 
Gattung gehört, in der Giftpflanzen vorkommen, 
besonders das Gesinde war von schwer besiegbarem 
Widerwillen gegen sie erfüllt. Dazu kamen dann 
noch eigentliche Futtergewächse wie Rotklee, Espar 
sette, Lupine, auch verschiedene Rübeuarten wurden 
in steigmdem Maße auf den Feldern gezogen. Nach 
dem Vorgang Friedrichs des Großen und Jo 
sephs II. von Österreich ließ es die hessische Re 
gierung an Ermunterung, an Lehren und Bei 
hilfen nicht fehlen, doch traf sie nicht selten aus 
Widerstand, der durch Kurzsichtigkeit veranlaßt war, 
und mußte auch mit unzweckmäßigen! Handeln 
rechnen. Rasch konnten ohnehin die Reformen 
nicht durchgeführt lverden in einem Lande, das 
durchschnittlich wenig fruchtbar war und dem der 
siebenjährige Krieg sehr tiefe Wunden geschlagen 
hatte. Die Insassen der Kolonien waren wohl 
regsamer als die Bauern sächsischen Stammes in 
den alten Dörfern und leichter zum Abgehen von 
eingewurzelten Gewohnheiten zu bewegen, doch 
stand der Mangel au Mitteln den Reformen im 
Betrieb entgegen. 
Als diese im Anfang des 19. Jahrhunderts 
durchgedrungen waren, führte der Weg ohne Unter 
brechung und in immer steilerer Kurve aufwärts 
Die mehr als tausend Jahre geübte Dreifelder 
wirtschaft mit ihrem Flurzwang, der starren Ein 
teilung der Flur in ein Brachfeld, Winterfeld und 
Sommerfeld, dem Weidegang des Viehes auf der 
Brache wurde, nachdem sie schon in einzelnen 
Punkten verbessert war, soweit umgestaltet, daß 
eigentlich nur der Name und der Rahmen blieb, 
man pflegte auch fürder etwa ein Drittel der 
Feldfläche mit Wintergetreide zu bestellen, die 
reine Brache aber wurde immer seltener und die 
Flur erhielt ein bunteres, wechselvolleres Aus 
sehen, als sie früher hatte. 
Außer ihren Portionsgüteru besaßen die Kolo 
nisten im Jahre 1779 6 3 / 8 Acker Garten, 375 
Acker Land, 163 Vp Acker Wiese und 7 3/ 4 Acker 
Triesch, so daß sie, ins Ganze gerechnet, ihr Grund 
vermögen innerhalb eines Jahrhunderts etwa auf 
das Doppelte gebracht hatten. Bei 42 Haus 
haltungen waren 184 Personen vorhanden; auf 
19 französische Familien, zumeist Waldenser, kamen 
schon 23, die ein deutsches Oberhaupt hatten, doch 
hielten sich diese den ersteren fast in allen Dingen 
gleich. Die französischen Familien waren folgende : 
1. Jacques Simeon Meyer (Grebe), 2 . Anne 
Katherine Martin Witwe, 3. Daniel Bellon,
	        

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