Hessenland
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Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 8. 29. Jahrgang. Zweites April-Heft 1915.
Karlsdorf.
Die älteste ftanzösische Kolonie in Hessen in vorbildlicher Entwickelung zum deutschen Dorfe.
Von F. Pfaff.
(Fortsetzung.)
4. Karlsdorf im Aufsteigen.
Unter dem Druck der dargelegten Verhaltn ifse
konnte Jahrzehnte hindurch von wesentlichen Fort
schritten der Kolonie nicht die Rede sein. Aber
ein Stamm von alten Ansiedlern hielt sich trotz
der schwierigen Lage, wurde allmählich wurzelfest
und ergänzte sich durch später zugewanderte Flücht
linge; im wesentlichen waren es Waldenser, die
die Kolonie hielten. Sie zeichneten sich nicht nur
durch unverdrossenen Fleiß und Strebsamkeit aus,
sondern übertrafen auch ihre Nachbarn in den
alten Dörfern durch ihren wirtschaftlichen Sinn,
durch Sparsamkeit, Mäßigkeit und Nüchternheit,
während die übele Branntweinpest die Umgebung
ergriffen hatte. Dabei dachten sie so rechtlich und
waren so ehrlich, daß die Beamten der Renterei
ihre Fruchtabgaben annehmen konnten, ohne nach
zumessen, da sie wußten, daß sie sich dabei nicht
schlecht stehen würden. Die wahren Bauerntugenden
der Waldenser gingen durch einen bemerkenswerten
Vorgang der Angleichung auch auf die Deutschen
über, die aus diesem oder jenem Grunde in die
Kolonie einzogen. Wenn die wirtschaftliche Lage
der Bewohner von Karlsdorf sich auch langsam
zum Besseren entwickelte, so blieben doch heftige
Rückschläge nicht aus. Die ganze Gegend im Ge
biet der unteren Diemel wurde durch den sieben
jährigen Krieg sehr hart geschädigt und für lange
Zeit in ihrem wirtschaftlichen Stand zurückgebracht.
Besonders schwer waren die ^iegsleiden in den
Jahren 1760 bis 1762, als das verbündete Heer-
unter dem Herzog Ferdinand von Braunschweig,
das aus Hannoveranern, Hessen, Braunschweigern
und Engländern bestand, auf dem nördlichen Ufer
der Diemel eine befestigte Stellung eingenommen
hatte, während die Franzosen ihm gegenüber
standen. Im Anfang September des Jahres 1760
lagerte das französische Heer unter dem Marschall
Broglio zwischen Mariendorf und Hohenkirchen,
wiederholt gingen von dort aus starke Abteilungen
vor, um alle Vorräte, die sich noch in den Dörfern
der Gegend befanden, wegzunehmen. So erschienen
französische Truppen am Morgen des 5. September
am Offenberg und zogen sich, nachdem sie eine
Zeitlang mit Posten der Verbündeten geplänkelt
hatten, zum Schein wieder zurück. Nachmittags
um 1 Uhr rückten sie aber mit stärkeren Kräften
wieder vor, besetzten den Gesundbrunnen und