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Schmalkalder Erinnerungen von 1866.
Bon Otto
Das erinnerungsreiche Jahr 1913 ließ auch
manche andere Erinnerung wach werden, und so
will ich im nachfolgenden die Erinnerungen an
meine Erlebnisse in Schmalkalden während der
Kriegszeit von 1866 mitteilen, die vielleicht
manchem etwas Interessantes bieten können.
Außer meinen eigenen Erinnerungen und den
Mitteilungen inzwischen verstorbener Zeitgenossen,
die den betreffenden Angelegenheiten als Augen
zeugen beigewohnt haben, dienen mir hierbei als
Unterstützung meiner Erinnerungen v. Lettow-
Borbeck Geschichte des Krieges von- 1866
in Deutschland, 3 Bände, Berlin 1896 bis 1902.
Blume Geschichte des Infanterie-Regiments
Herwarth v. Bittenfeld (1 Westfälisches) Nr. 13
im 19. Jahrhundert, Berlin 1901, D i e Hessi
sche Morgenzeitung.
Mitte März 1866 war ich als neuernannter
Rechtsanwalt (damals Untergerichtsanwalt ge
nannt) nach Schmalkalden gekommen und hatte
mich in dem Hause des Kaufmanns Wilhelm
Moritz, Haindorfsloch 6, niedergelassen. Die
Wogen der politischen Erregung gingen damals
schon hoch, aber doch dachte niemand daran, daß
die deutsche Frage nur durch Waffengewalt gelöst
werden würde. Unser Professor der Geschichte zu
Heidelberg, Ludwig Häusser, hatte uns ja
10 Jahre zuvor (1856) in seinen Vorlesungen
über die deutsche Geschichte einen Krieg zwischen
Österreich und Preußen als die einzige Möglichkeit
zur Lösung der deutschen Frage hingestellt, da
mals hatte uns allen davor gegraut, aber auch
1866 glaubte eigentlich noch niemand, daß Preußen
so kräftig sei und alles so vorbereitet habe, um
in der Lage zu sein, alle, damals wenigstens mög
lichen Wünsche der Vaterlandsfreunde zu erfüllen.
Selbstverständlich waren wir so ziemlich alle Geg
ner Bismarcks und des von diesem ins Werk
gesetzten Systems, als aber am 7, Mai Karl
Blind das Attentat aus Bismarck verübt hatte,
waren doch nur recht Wenige vorhanden, die
sich n i ch t über die Vereitelung der Tat der Mord
buben gefreut hätten. Allgemein herrschte die
Freude über die Vereitelung des Attentats vor,
und man sagte, Bismarck habe die Geschichte
angefangen, nun müsse er sie auch zu Ende führen.
Die Stimmung wurde allmählich immer preußen
freundlicher, instinktiv empfand man, wo die Stel
lung für uns sei, und so wirkte auch die durch
Preußens Austritt aus dem deutschen Bunde hervor
gerufene Sprengung dieses politischen Gebildes am
14. Mai 1866 geradezu erlösend. Das ganze hes-
G e r l a n d.
fische Land fühlte preußisch, wenn auch unsere
Regierung uud damit unser Herr auf Seite des
Bundestages stand, nur die vollständig regierungs
gemäß Gesinnten, und deren Zahl war nicht
allzugroß, auch die Fuldaer Katholiken befanden
sich aus der österreichischen und bundestäglichen
Seite. Wir genossen dadurch doppelte Schonung,
offiziell durch die Bundestruppen, die in uns
ihre Bundesbrttder sahen, andernteils durch die
Preußen, die uns schon als spätere Landesbrüder
betrachteten. Die einrückenden Preußen wurden
deshalb allgemein gut aufgenommen. Selbst der
Gedanke an eine mögliche Einverleibung in Preußen
erschien als eine nicht mehr so schreckliche Natur
notwendigkeit, wenn es ja später auch, was nie
mand leugnen kann, kein leichter Augenblick unir,
als wir unser kleines Heimatland, dessen Name
Jahrhunderte lang mit Ehren genannt worden
war, so mit einem Male von der Landkarte ver
schwinden sehen mußten. Das war ungefähr der
Hintergrund, auf dem sich die Ereignisse in Schmal
kalden abspielten.
Es liegt mir fern, den Krieg von 1866, so
weit er in unserer Nähe geführt wurde, hier all
gemein zu erzählen, es soll nur soviel davon eo-
wähnt werden, als nötig ist, um die Ereignisse in
unserer Heimat zu erklären, die uns allerdings
mitten in den Krieg hineinbrachten, so daß wir
sogar stellenweise vom allgemeinen Verkehr ab
geschnitten waren. Meine in der Grafschaft
Schaumburg wohnende Braut konnte z. B. etwa
drei Wochen lang keinen Brief von mir erhalten,
so daß sogar am 3. Juli eine von Eisenach nach
Schmalkalden bestimmte Ladung Mehl nach alter
Weise auf der Landstraße befördert werden mußte.
Zeitweise war die Gothaer Zeitung das einzige
Blatt, aus dem, infolge seiner Beziehungen zu
Herzog E r n st II. von Gotha, wir genaue und
zuverlässige Nachrichten über die Ereignisse von
„draußen" erhielten. Die Zeitung wurde gerade
vor Abgang des damals zwischen Gotha und
Schmalkalden verkehrenden Postwagens fertig ge
druckt und kam oft noch ganz frisch an. Ich
hatte damals meinen Stammtisch im Adler,
dessen Besitzer P f a n n st i e l Posthalter war und,
sobald wir den Wagen mit der rasselnden Hemm
kette über den Markt rollen hörten, sich zur gegen
überliegenden Post begab und das neueste Blatt
holte. Dann war es meine Aufgabe, bei der Be
leuchtung von zwei neben einander gesetzten Stea
rinlichtern den anwesenden Gästen die Zeitung
vorzulesen. Die Frankfurter Zeitungen logen wie