Full text: Hessenland (28.1914)

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ein verfassungsmäßiges, dem gemeinen Besten ent 
sprechendes Regiment, aber nicht in der Befriedi 
gung der Habsucht, des Ehrgeizes, der Herrschsucht 
und anderer Leidenschaften, wozu Dich die Schlange 
reizt." 
Kassel, im Oktober 1850. 
H e nkel, Obergerichtsanwalt. 
Dies Schriftstück ward der direkte Anlaß zu dem 
oben geschilderten und so kläglich geendeten Vor 
gehen gegen ,,d e n Henkel", aber es soll auch gleich 
hier noch bei dieser Gelegenheit der Offene Brief 
der Hornisse mitgeteilt werden, der ungleich gröber 
Da draußen ist weißer Winter, 
Doch drinnen ist's wohlig und warm, 
Da hält die glückseligste Mutter 
Das winzigste Knäblein im Arm, 
Da duften die Frühlingsblumen: 
Siehe, der Lenz ist dal 
Und hundert Engelein singen: 
Oomino gloria! 
Kassel. 
Als Kind hatte ich ein unerklärliches Mitleid 
mit allen Fliegen, die in Mutters großen Milch- 
topf gefallen waren. 
Mit dem Guirlstiel fischte ich sie vorsichtig heraus 
und sah, wie sie sich in Todesangst daran 
klammerten und nach der Oberfläche strebteri. 
Eine ebenso unerklärliche Grausamkeit zwang mich, 
sie noch ein-, zweimal in die fette Milch unter 
zutauchen, ehe ich sie endgültig als von mir 
gerettete Wesen auf den Küchentisch setzte. 
Etwas wie Schöpferstolz war dann in mir. 
Ängstlich beobachtete ich die Tierchen. 
Würden sie sich erholen? 
Sie lagen oft noch ein Weilchen wie betäubt, 
dann richteten sie sich mühsam auf, probierten, 
sich fortzubewegen und streiften schließlich mit den 
Hinterbeinchen die Milch von den Flügeln. Das 
sah so zierlich aus und erfüllte mich mit großer 
Freude, denn nun, das wußte ich, würden sie 
gleich zaghaft mit den hauchdünnen Flügelchen 
schlagen und davon fliegen. 
„Dummes Dingen — ", sagte Müllers Anna, die 
bei uns diente, „dummes Dingen, nachher ärgerst 
De Dich, wann se Dich piesacken." 
Ja, das konnte ich ihr nie begreiflich machen, 
daß das ganz etwas anderes sei. 9m offnen 
war, - insofern aber ehrlicher, als er auf die von 
Henkel vorgestellte Fiktion, als sei Haynau das un 
schuldige, unwissende Werkzeug eines Mephisto-Has 
senpflug, zum größten Teil verzichtete, weitsichtiger 
aber, als er auch die sich aus dem Zustande 
ergebenden Konsequenzen erkannte und namhaft 
ntachte, namentlich gegen Ende, wo er darauf hin 
weist, daß dieser Kampf zwischen Krone und Be 
völkerung nur dein lauernden Nachbar — 
andere Stellen bezeichnen schon deutlich und nament- 
P r e u ß e u: — den Weg ebne. 
(Schluß folgt.) 
Seit einst das größte Wunder 
Zu Bethlehem gescheh'n, 
Hat nie die Erde wieder 
Größeres je geseh'n, 
Was immer der klugen Menschen 
Echöpferwille ersinnt, 
Sie können das Wunder nicht fassen 
Der Mutter mit ihrem Kind. — 
Karl Freiherr v. Berlepsch. 
Kampf ein Tier töten, das mich angriff, das war 
doch berechtigt. 
So richtete mein Kinderherz sich die Dinge des 
Lebens zurecht, wurde Retter oder Richter, nach 
seinem eignen, jungen Gefühl. 
Müllers Anna ahnte gar nicht' wie viel Be 
ziehungen zwischen ihr und den Fliegen in Mutters 
Milchtopf bestanden. 
Meine gute Mutter hatte ein großes Schwester- 
herz für alle, die mit der Schwere des Lebens 
rangen, und aus einem großen Milchtopf, der sie 
fast ersäuft hätte, rettete sie Anna Müller miffamt 
ihrer Mutter und den fünf Schwestern. 
Vater Müller war Küfer in der kleinen Brauerei 
des Städtchens gewesen. Diese Brauerei warf 
gerade genug ab, den Besitzer schlecht und recht 
zu ernähren; was da an Lohn gezahlt wurde, 
stand in gar keinem Verhältnis zu der in regel 
mäßigen Intervallen anwachsenden Kinderfchar bei 
Müllers. Als Herrn und Frau Müller das sechste 
Kind, das Lenchen, geboren wurde, war die 
Rot schier grenzenlos. Da tat Herr Müller das 
Bequemste, was er tun konnte, er kam mtt einer 
Lungenentzündung heim, legte sich ins dickgebaufchte 
Ehebett, starb und überließ die Sorge für fein 
Begräbnis und die sechs Kinder seiner Frau. Die 
Winlerglück. 
Müllers. 
Skizze vo« Else Groß.
	        

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