Hessenland
Hessisches Heimaisblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Rr. IS. 28. Jahrgang. Erstes Gktober-Hest 1914.
Drei westfälische Töchter des Königs Jérôme:
Melanie von Wietersheim» Jenny von Pappenheim, Pauline von Schönfeld.
Von Joachi-M Kühn.
Über ein Jahrhundert ist seit dem Sturz des
Königs Jérôme verflossen, und doch ist uns eine
befriedigende Geschichte seines Hofes bisher versagt
geblieben. Die Einseitigkeit der veröffentlichten
Quellen, der begreifliche Wunsch der beteiligten
Familien, ihren Anteil an der napoleonischen Herr
lichkeit nach Möglichkeit im Dunkeln zu lassen,
haben ein eingehendes Studillm des „Kasseler
Karnevals" immer wieder unmöglich gemacht oder
doch stark beeinträchtigt. Und so ist bisher eine
der interessantesten Fragen unbeantwortet geblieben,
die, unmittelbar an die Persönlichkeit des jungen
Monarchen anknüpfend, einer wenn auch noch so
vorläufigen Besprechung bedarf, um bestehenden
Legenden den Boden zu entziehen und künftigen
Forschungen zum Anhalt zu dienen: die Frage
nach der natürlichen Nachkommenschaft des West-
falenkönigs in Hessen.
I
Soweit bis jetzt mit historischer Sicherheit fest
steht — und nur auf ganz einwandfrei beglaubigte
Fälle können sich die folgenden Untersuchungen
beziehen — hat Jérôme bei seinem etwas plötz
lichen Abschied von Kassel drei Töchter in Deutsch
land zurückgelassen: Melanie von Wietersheim,
Jenny von Pappenheim und Pauline von Schön
feld. Die älteste und verhältnismäßig am wenigsten
bekannte der genannten drei Halbschwestern ist
Melanie Félicité Adelaide von Wietersheim. Sie
kam noch auf französischem Boden zur Welt und
verdankte einer flüchtigen Liebelei des jungen
Marineleutnants Jérôme Bonaparte mit einer
Pariserin, der schönen Adelaide Mêlante Lagarde,
geb. Denizot ihr Daseins) Der genaue Zeitpunkt
ihrer Geburt ist unbekannt, Charles Nauroy und
Léonce de Brotonne?) schweigen sich darüber aus,
nicht einmal ihr Totenschein weiß näheres zu
sagen; nur das Jahr 1803 läßt sich mit Bestimmtheit
angeben. Jedenfalls kannte Jérôme ihre Existenz,
denn er sorgte für ihre Erziehung und erhob sie
durch königliches Patent vom 30. (23.?) Dezember
1810 zur Gräfin von Wietersheim; ein Titel, der * 2 *
*) Das Kirchenbiich der katholischen Gemcinde zu Oeyn-
hausen nennt Melanie bei Envahnung ihres Todes ,,geb.
Vicomtesse de la Garde".
2 ) In „Les Secrets des Bonaparte“ Paris 1889, bzw.
in „Les Bonaparte et leurs alliances“, Paris 1903.