Full text: Hessenland (28.1914)

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Beachtung" für wert erklärte, ja, sie als „einzig 
in ihrer Art" bezeichnete. Dreiundzwanzig Jahre 
sollten sich die Gemälde, die der Unverstand einer 
früheren Zeit bereits einmal überstrichen hatte, 
des Lichtes freuen, um nun von neuem einem 
im 20. Jahrhundert wirklich unerhörten Attentat 
zu unterliegen. Weder Presbyterium, noch Ge 
meindevertretung, noch Ortsvorstand sind von 
diesem „Vandalismus", wie ihn unser Kunstrefe 
rent an anderer Stelle (Kasseler Tageblatt, 7, Ja 
nuar 1914) brandmarkte, freizusprechen. Ihnen 
allen mußte es bekannt sein, worum es sich 
handelte. Wie es heißt, ist man nicht weniger 
als viermal aus das Nachdrücklichste aus den Wert 
dieser Fresken und die Notwendigkeit ihrer Er 
haltung hingewiesen worden. Daß diese dennoch 
fallen konnten, läßt den Niederzwehrener Fall 
in besonders krassem Lichte erscheinen. Es bleibt 
nun abzuwarten, wie diese mutwillige Zerstörung 
kunstgeschichtlicher Werke, die nicht nur bei dem 
einsichtigen Teil Niederzwehrens *), sondern auch in 
weiten Kreisen Hessens aufs allerschärsste verirr- 
teilt wurde, von den zuständigen Behörden und 
Vereinigungen, vom Konsistorium, von Baurat 
vr. Hollmeyer, dem neuen Bezirkskonservator, und 
auch vom Bund „Heimatschutz" aufgefaßt wird. 
Dein platten Nützlichkeitssinn, der schon so unab 
sehbares Unheil in ästhetischer Beziehung angerich 
tet hat, muß einmal gezeigt werden, daß es neben 
ihm noch höhere Werte gibt, die immer mehr zu 
einer Lebensfrage unsrer äußeren und inneren 
Kultiir geworden sind und darum ein nachdrück- 
liches Recht auf Schutz beanspruchen dürfen. Es 
handelt sich nicht lediglich um die Achtung vor 
der historischen Existenz als solcher, der heute 
unsere Denkmalpflege dienen will, sondern nicht zu 
letzt auch um Gefühlswerte; sie fordert, daß der 
Genuß an den alten AuSdruckswerten vergangener 
Kulturzeiten nicht ohne Not zerstört werden darf. 
Und deshalb wird es dem Empfinden weiter Kreise 
entsprechen- wenn gegenüber diesem, der Heimat- 
liebe und dem einfachsten geschichtlichen Sinn hohn 
sprechenden Verhalten die zu Gebote stehenden 
gesetzlichen Mittel mit aller Schärfe zur Anwen- 
rvendung gebracht werden. Heidelbach. 
Wir geben im Nachstehenden die Beschreibung 
der Wandgemälde wieder, wie sie Holtmeyer in 
seinem großen Jnventarisationswerk der „Bau- 
und Kunstdenkmäler des Landkreises Kassel" (Mar 
burg, Elwert, 1910) bietet 
Besonderes Interesse beanspruchen die mittelalter 
lichen Wandmalereien im Turmerdgeschoß, die einzigen 
des Kreises. Weder in Zeichnung noch in Farbe voll 
ständig erhalten, lassen die Einzelheiten der Bilder 
der Deutung Spielraum, während der Entwurf klar zu 
tage liegt. In naiver, aber verständlicher Sprache 
haben die Menschwerdung, das Leiden und die Wieder 
kunft Christi eine farbenfreudige Darstellung gefunden. 
Die Verwendung von wenigen lebensgroßen Figuren 
*) Es sei aus das in den „Sonnlagsbetrachtuntzen" der 
„Hessischen Polt" vom 19. Januar mitgeteilte schreiben 
aus Niederzwehren verwiesen. 
auf der vom Gemeindehaus sichtbaren Nord- und Süd 
seite wird ebenso berechnet sein wie die Darstellung 
maßstäblich kleiner Gruppen auf der dem Zelebranten 
zugewandten Seite des Triumphbogens. Nicht ohne Ge 
schick sind Gegenstand und Größe der Bilder der ver 
fügbaren Wandfläche angepaßt. Das einzige Architektur 
kunststück des Raumes, das Tabernakel, ist in die Kom 
position hineinbezogen. Wo figürliche Darstellungen nicht 
angebracht erschienen, besonders aber in der Sockel 
zone, hat Rankenwerk Platz gefunden. Je zwei Weihe- 
kreuze in .Kreisumrahmung kehren auf jeder Wand 
fläche wieder. 
Am dürftigsten ist die Ostwand ausgefallen, die außer 
den Weihekreuzen und einigen vom Gewölbe herüber 
greifenden Ranken Spuren von Malerei nicht aufweist. 
Die Stellung des Altares, dessen vermutlich reich ver 
goldeter Aufbau zum größten Teil die Mauerfläche 
verdeckte, mag diese Schlichtheit des Hintergrundes er 
klären. 
Sankt Anna selbdritt in der Auffassung, daß Maria, 
noch im jugendlichen Alter, aber schon mit den Ab 
zeichen der Himmelskönigin, stehend von ihrer Mutter 
das Jesuskind gereicht bekommt, bildet' die Hauptdor- 
stellung der Südwand. Die Gruppe, die den- vom 
Schildbogen, Fenstergewände und Türsturz begrenzten 
Raum ausfüllt, steht auf einem Podium, auf dessen 
Hintergründe der knieende Stifter, dem weißen Ge 
wände nach anscheinend ein Geistlicher, Platz gefunden 
hat. Der kleinen Figur des Donators gegenüber steht 
ein großer Leuchter mit drei brennenden Kerzen, und 
zwei blauen Wappenschildchen von blauer Farbe an den 
Seitenarmen, von denen das eine Schrägbalken von 
unbestimmter Tinktur und 'Randfassung, das andere 
silberne Querbalken im Oberfelde zeigt. Mutter Anna 
erscheint in schwärzlich violettem llnterkleide, rotem 
Mantel und weißem Schleier, Maria in rotem Brokat 
kleid, blaugrauem Obergewande und mit Krone auf dem 
wallenden blonden Haar. Eine zweite Darstellung der 
Maria in großem Maßstabe als Gottesmutter und 
Himmelskönigin, von der Mandorla umgeben, findet 
sich in der vom Schiff aus sichtbaren Leibung des 
Fensters. 
Für die Behandlung der Nordwand gab das vor 
handene Tabernakel das Motiv. In freier Übertragung 
der Architekturform auf den Flächenstil hat die Ein 
fassung des Steingehäuses eine passende farbige Um 
rahmung gefunden. Fialen in gelber und roter Ocker 
tönung mit schiefergrauen Spitzen und grünen Krabben, 
durch Querstücke verbunden und durch Wasserspeier be 
lebt, bauen sich stufenförmig bis zum Gewölbe aus, 
dessen Schildbogen nur deshalb nicht im Scheitel ge 
troffen wird, weil das Tabernakel, das die Achse der 
Malerei bestimmte — wohl mit Rücksicht auf den Altar - 
etwas aus der Mitte nach Westen verschoben ist. 
Bekrönt wird das architektonische Gebilde von einem 
Kielbogen mit Giebelabschluß, unter dem in einem Bal 
dachin die Figur des Schmerzensmannes mit Dornen 
krone, Rute und Geißel, mit Speer und Stange mit 
Essigschwamm Platz gefunden hat. Die rechts und links 
des Baldachins angebrachten Botivkerzen tragen an den 
Leuchterarmen Schrldchen von blauer und roter Farbe, 
aber verschwundener Zeichnung, offenbar die Wappen 
der neben dem Tabernakel knieenden Stifter, von denen 
der eine nur noch durch ein langes violettes Unterge 
wand und grünen Mantel mit weißem Futter sich kenn 
zeichnet, der andere aber, wohl erhalten, als bärtiger 
lockiger Mann mit langem weißen Rock, weißem, schwarz 
gefüttertem Mantel und schwarzer Mütze erscheint. 
Leider ist die Schrift des Spruchbandes, das den Träger
	        

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