Full text: Hessenland (28.1914)

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die Handlungsweise Wilhelms I. gegen die Domä 
nenkäufer allein auf seinen Geiz und Eigennutz 
zurückzuführen. Gewiß, Wilhelm I. war ein sehr 
sparsamer Haushalter, meinetwegen ein Geizhals, 
aber in dem Domänenhandel wahrte er nicht nur 
seinen eigenen Vorteil, als, wenigstens nach seiner 
eigenen Auffassung, den Vorteil und das Recht des 
Landes und Staates. Nach hessischem Staatsrecht 
waren die Domänen seit Jahrhunderten unver 
äußerlich, und nun sollte der Landesherr die unter 
dem Usurpator geschehenen Verschleuderungen an 
anerkennen! Sie bildeten den Gipfelpunkt des 
finanziellen Ausplünderungssystems, unter dem das 
Land sieben Jahre lang namenlos gelitten hatte. 
Der Rechtsstandpunkt des Kurfürsten mag viel 
leicht anfechtbar sein, aber er war echt hessisch, 
wie der ganze Charakter des ersten Kurfürsten mit 
seinen Fehlern und Schwächen; jedenfalls war er 
nicht schroffer, wie der Rechtsstandpunkt der hessi 
schen Liberalen, die 50 Jahre später alle Gesetze 
der Reaktionsperiode von 1850—62 (und das waren 
12 Jahre!) als nicht vorhanden betrachtet wissen 
wollten. Diese Verfassungsmänner wurden darum 
von der öffentlichen Meinung als aufrechte un 
beugsame Charaktere gepriesen, der Kurfürst aber 
ist verlästert worden. 
Man hat die preußische Behandlung der Domä 
nenkäufer zum Vergleich herangezogen. Dvs ist 
nicht angängig. Es verstand sich von selbst, daß 
Preußen die Regierungshandlungen Järümes an 
erkennen mußte, da Preußen die betr. Landes 
teile in gültigem Friedensschluß abgetreten und 
das Königreich Westfalen anerkannt hatte. Wenn 
Friedrich Wilhelm III. im April 1813 seine ehe 
maligen Untertanen westlich der Elbe zu den Waffen 
rief, da sie durch den Eid an den König von 
Westfalen „nicht mehr gebunden" seien, so war 
das ein glatter Bruch beschworener Verträge. Der 
Kurfürst dagegen hat niemals die widerrechtliche 
Usurpation seines Landes anerkannt, vielmehr sich 
stets als im Kriegszustand mit dem Eroberer be 
trachtet, 1809 auch vor aller Welt das Schwert 
gegen ihn gezogen. Auch Hannover und Braun 
schweig befanden sich in derselben Lage und wei 
gerten dementsprechend gleichfalls den Domänen 
verkäufen ihre Anerkennung. 
Im ganzen wurden im Gebiete des Königreichs 
Westfalen für zirka 4 000000 Taler Domänen 
veräußert. Davon fiel aber verhältnismäßig nur 
ein kleiner Teil auf Hessen, etwa l / i0 mit einem 
Betrag von nicht ganz 120 000 Talern. Die meisten 
Verkäufe waren in den letzten 3 Jahren der west 
fälischen Herrschaft seit 1810 abgeschlossen worden 
und die Käufer hatten nur Vs in barem Gelde, 
das übrige in Obligationen zu zahlen brauchen, die 
noch dazu einen sehr niedrigen Kurs hatten. Die 
meisten, namentlich die in der letzten Zeit abge 
schlossenen Verkäufe waren Spekulationsgeschäfte 
gewesen, die man nicht mit Unrecht mit Trans 
aktionen verglichen hat, wie sie in den damaligen 
Kriegszeiten viel vorkamen. „Der Spekulant, wel 
cher von einer der kriegführenden Mächte auf 
dem Kriegsschauplätze ein Magazin erkauft, weiß, 
daß dies nur dann sein Eigentum bleibt, wenn die 
gegenseitige Macht es nicht wegnimmt, und daher 
bezahlt er nur einen unbedeutenden Preis dafür. 
Raubt ein unglücklicher Zufall im Laufe des Krieges 
ihm sein Magazin wieder und wollte er dann 
Entschädigung fordern, so würde er ausgelacht 
werden." Dabei hatten manche von den Domänen 
käufern den Kaufpreis überhaupt noch nicht völlig 
bezahlt, als durch die Rückkehr des Kurfürsten 
der Umschwung der Verhältnisse eintrat. Am 
schlimmsten waren die daran, die erst aus dritter, 
vierter Hand gekauft hatten und so noch am ersten 
ihre Gutgläubigkeit an der Rechtlichkeit des Kaufes 
behaupten konnten. Die französischen Donataire, 
die die ihnen geschenkten Güter bald wieder ver 
schleuderten, hatten allein ein gutes Geschäft ge 
macht, ihre Abnehmer waren reingefallen, als die 
Konjunktur umschlug. Es wäre interessant, ge 
nauer zu erfahren, wieviel im einzelnen die Käufer 
wirklich an den westfälischen Staat bzw. die Hof 
verwaltung oder an die französischen Donataire 
gezahlt haben. In dieser Hinsicht versagt aber 
die Darstellung Kuhrings, die nur im Anhang eine 
Zusammenstellung der Domänenverkäufe, übrigens 
ohne Quellenangabe (wenn ich nicht irre, nach den 
Hess. Landtagsverhandlungen) bringt. 
Das Mißbehagen der durch die Verordnung 
von 1814 betroffenen war natürlich groß. Es wäre 
aber doch nie zu einer so starken Opposition und 
direktem Lärm in der damaligen öffentlichen Mei 
nung und Presse gekommen, wenn die Domänen 
käufer nicht in ihren Reihen einen Mann gefunden 
hätten, der mit ungewöhnlicher Zähigkeit und 
Energie ihre Sache vertrat und den Widerstand 
planmäßig organisierte. Das war Philipp Wilh. 
Schreiber, der das Gut Freienhagen 1812 von 
einem französischen Donatair gekauft hatte. 
Der vielbesprochene Fall Schreiber war zum 
großen Teil ein Familienzwist. Philipp Wilh. 
Schreiber hatte Freienhagen für seinen Schwager 
Schneider gekauft. Der Kurfürst, der auf den 
Sohn seines alten Jagdzeugmeisters David 
Schreiber schlecht zu sprechen war, gab Freien 
hagen, dessen Verkauf er nicht anerkannte, einem 
Bruder Schreibers, dem Kriegskommissar und ehe 
maligen Regiments-Quartiermeister Karl Friedr. 
Schreiber in Erbpacht. Der nun entstehende Zwist
	        

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