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die Handlungsweise Wilhelms I. gegen die Domä
nenkäufer allein auf seinen Geiz und Eigennutz
zurückzuführen. Gewiß, Wilhelm I. war ein sehr
sparsamer Haushalter, meinetwegen ein Geizhals,
aber in dem Domänenhandel wahrte er nicht nur
seinen eigenen Vorteil, als, wenigstens nach seiner
eigenen Auffassung, den Vorteil und das Recht des
Landes und Staates. Nach hessischem Staatsrecht
waren die Domänen seit Jahrhunderten unver
äußerlich, und nun sollte der Landesherr die unter
dem Usurpator geschehenen Verschleuderungen an
anerkennen! Sie bildeten den Gipfelpunkt des
finanziellen Ausplünderungssystems, unter dem das
Land sieben Jahre lang namenlos gelitten hatte.
Der Rechtsstandpunkt des Kurfürsten mag viel
leicht anfechtbar sein, aber er war echt hessisch,
wie der ganze Charakter des ersten Kurfürsten mit
seinen Fehlern und Schwächen; jedenfalls war er
nicht schroffer, wie der Rechtsstandpunkt der hessi
schen Liberalen, die 50 Jahre später alle Gesetze
der Reaktionsperiode von 1850—62 (und das waren
12 Jahre!) als nicht vorhanden betrachtet wissen
wollten. Diese Verfassungsmänner wurden darum
von der öffentlichen Meinung als aufrechte un
beugsame Charaktere gepriesen, der Kurfürst aber
ist verlästert worden.
Man hat die preußische Behandlung der Domä
nenkäufer zum Vergleich herangezogen. Dvs ist
nicht angängig. Es verstand sich von selbst, daß
Preußen die Regierungshandlungen Järümes an
erkennen mußte, da Preußen die betr. Landes
teile in gültigem Friedensschluß abgetreten und
das Königreich Westfalen anerkannt hatte. Wenn
Friedrich Wilhelm III. im April 1813 seine ehe
maligen Untertanen westlich der Elbe zu den Waffen
rief, da sie durch den Eid an den König von
Westfalen „nicht mehr gebunden" seien, so war
das ein glatter Bruch beschworener Verträge. Der
Kurfürst dagegen hat niemals die widerrechtliche
Usurpation seines Landes anerkannt, vielmehr sich
stets als im Kriegszustand mit dem Eroberer be
trachtet, 1809 auch vor aller Welt das Schwert
gegen ihn gezogen. Auch Hannover und Braun
schweig befanden sich in derselben Lage und wei
gerten dementsprechend gleichfalls den Domänen
verkäufen ihre Anerkennung.
Im ganzen wurden im Gebiete des Königreichs
Westfalen für zirka 4 000000 Taler Domänen
veräußert. Davon fiel aber verhältnismäßig nur
ein kleiner Teil auf Hessen, etwa l / i0 mit einem
Betrag von nicht ganz 120 000 Talern. Die meisten
Verkäufe waren in den letzten 3 Jahren der west
fälischen Herrschaft seit 1810 abgeschlossen worden
und die Käufer hatten nur Vs in barem Gelde,
das übrige in Obligationen zu zahlen brauchen, die
noch dazu einen sehr niedrigen Kurs hatten. Die
meisten, namentlich die in der letzten Zeit abge
schlossenen Verkäufe waren Spekulationsgeschäfte
gewesen, die man nicht mit Unrecht mit Trans
aktionen verglichen hat, wie sie in den damaligen
Kriegszeiten viel vorkamen. „Der Spekulant, wel
cher von einer der kriegführenden Mächte auf
dem Kriegsschauplätze ein Magazin erkauft, weiß,
daß dies nur dann sein Eigentum bleibt, wenn die
gegenseitige Macht es nicht wegnimmt, und daher
bezahlt er nur einen unbedeutenden Preis dafür.
Raubt ein unglücklicher Zufall im Laufe des Krieges
ihm sein Magazin wieder und wollte er dann
Entschädigung fordern, so würde er ausgelacht
werden." Dabei hatten manche von den Domänen
käufern den Kaufpreis überhaupt noch nicht völlig
bezahlt, als durch die Rückkehr des Kurfürsten
der Umschwung der Verhältnisse eintrat. Am
schlimmsten waren die daran, die erst aus dritter,
vierter Hand gekauft hatten und so noch am ersten
ihre Gutgläubigkeit an der Rechtlichkeit des Kaufes
behaupten konnten. Die französischen Donataire,
die die ihnen geschenkten Güter bald wieder ver
schleuderten, hatten allein ein gutes Geschäft ge
macht, ihre Abnehmer waren reingefallen, als die
Konjunktur umschlug. Es wäre interessant, ge
nauer zu erfahren, wieviel im einzelnen die Käufer
wirklich an den westfälischen Staat bzw. die Hof
verwaltung oder an die französischen Donataire
gezahlt haben. In dieser Hinsicht versagt aber
die Darstellung Kuhrings, die nur im Anhang eine
Zusammenstellung der Domänenverkäufe, übrigens
ohne Quellenangabe (wenn ich nicht irre, nach den
Hess. Landtagsverhandlungen) bringt.
Das Mißbehagen der durch die Verordnung
von 1814 betroffenen war natürlich groß. Es wäre
aber doch nie zu einer so starken Opposition und
direktem Lärm in der damaligen öffentlichen Mei
nung und Presse gekommen, wenn die Domänen
käufer nicht in ihren Reihen einen Mann gefunden
hätten, der mit ungewöhnlicher Zähigkeit und
Energie ihre Sache vertrat und den Widerstand
planmäßig organisierte. Das war Philipp Wilh.
Schreiber, der das Gut Freienhagen 1812 von
einem französischen Donatair gekauft hatte.
Der vielbesprochene Fall Schreiber war zum
großen Teil ein Familienzwist. Philipp Wilh.
Schreiber hatte Freienhagen für seinen Schwager
Schneider gekauft. Der Kurfürst, der auf den
Sohn seines alten Jagdzeugmeisters David
Schreiber schlecht zu sprechen war, gab Freien
hagen, dessen Verkauf er nicht anerkannte, einem
Bruder Schreibers, dem Kriegskommissar und ehe
maligen Regiments-Quartiermeister Karl Friedr.
Schreiber in Erbpacht. Der nun entstehende Zwist