Full text: Hessenland (28.1914)

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Ist es Ihr guter oder mein böser Engel, 
vielliebe Freundin! der — dieses Mal in Ge 
stalt eines Katarrhs, — zwischen uns tritt und 
eine im Eindrücke auf Sie so zweifelhafte Stunde 
wiederum aufschiebt? Jeden Falls, Gnädigste! 
sollen Sie gebeten sein, mir die Rede, Bèhufs 
einer Abschrift, jetzt noch einmal auf einen Tag 
zuzustellen; ich stelle Ihnen dankbar Ihr Eigen 
thum — es ist es in mehr als einer Hinsicht! — 
wieder zu, und dann lesen wir es mitsammen. 
Mit Gruß und Handkuß 
der Jhrigste 
Montag Abend. Fr. Dingelstedt. 
Dingelstedt hatte wohl die Absicht gehabt, der 
Freundin sein rhetorisches Meisterstück im Hause 
selbst vorzulesen, da kam seine Erkältung störend 
dazwischen, das „diesmal" findet seine Erklärung 
aus dem folgenden Briefchen, das wohl kurz 
vordem überschickt wurde und auch schon für die 
gemeinsame Lektüre ein Hindernis entschuldigend 
meldete. Wer aber das „fremde Ungeheuer" sein 
mag, ließ sich, auch mit freundlicher Hülfe des 
Herrn Professor vr. Scherer in Fulda, nicht fest 
stellen. 
„Ein fremdes Ungeheuer, meine vielliebe 
Freundin! hat gestern zwischen mir und meinen 
Wünschen Sie zu sehen gestanden, auch heute 
fesselt es mich noch, — ein Künstler nämlich, 
ein Sänger, der mir von Kassel so wol empfolen 
ist, daß ich ihm bongré malgré einige 
honneurs von Fulda machen muß. Ich weiß 
nicht, wie weit Sie gestimmt sind, Freunde zu 
sehen oder unter Freunde zu gehen, wenn es 
Ihrem Gefühle kein Zwang ist, hole ich Sie 
Sonntag in sein Konzert ab, oder bringe ihn 
Sonntag zu Ihnen. Der Mensch hat eine so 
schöne Stimme, daß die notwendig an Ihr 
schönes Herz sprechen wird. 
Satyre ist übrigens im Druck in Satire umge 
wandelt. Sorgsames Auge! 
Ich küße in Gedanken die Hand, welche die 
zierlichsten und liebenswerthesten dillets-amers 
schreibt. Ein Wink von Ihnen sagt mir, ob und 
wann und wie ich kommen darf? 
Mit respektvollstem Gruße 
Ihr treu-eigenster 
Lonnadenck-Früh, Fr. Dingelstedt." 
sehr kalt. 
Ein letzter Brief ist datiert vom 15. Juni 1841, 
er war der auf einer Rheinreise befindlichen 
Freundin nachgeschickt und dürfte umfangreicher 
gewesen sein, leider aber bricht er in der Mitte 
ab, ohne daß sich ein dazugehörendes Blatt unter 
den Papieren hat finden lassen. Von Briefen der 
Franziska Bach an Dingelstedt scheint indes nichts 
erhalten zu sein, jedenfalls hat das Museum in 
Rinteln, wohin Dingelstedts Tochter, Baronesse 
Susanne von Dingelstedt in Graz, die Nachlaß 
papiere ihres Vaters gegeben hat, nichts aus dieser 
Korrespondenz. Das folgende Brieffragment ist 
in mancher Hinsicht interessante es zeigt den 
burschikosen Ton des Fuldaer Dingelstedt, es spricht 
von dem bald, darauf ausgeführten Plan, den 
Lehrerberuf niederzulegen, und zeigt wohl mit dem 
letzten Satze Dingelstedts Arbeit an dem von 
Nicol. Bach begonnenen, in mehreren Teilen er 
schienenen „Deutschen Lesebuche" Die in dem 
Schreiben erwähnten Personen sind aus dem lite 
rarischen Kreis, der in den vierziger Jahren dem 
Leben in Fulda eine charakteristische Note gab, 
bekannt- Von dem früheren Geistlichen F. I. 
Schell, der mancherlei Schwierigkeiten durchzu 
kämpfen hatte und damals am Rheine lebte, er 
zählt in seinen Erinnerungen „Ein Stilleben" 
Bd. 2, S. 284 ff. der gleichfalls genannte Schrift 
steller Heinrich Koenig, der wegen seiner liberalen 
Ansichten, die er im hessischen Landtag geäußert 
hatte, 1840 von Hanau in seine Vaterstadt Fulda 
strafversetzt worden war. Wilh. Charl. Aug. Freiin 
v. Seckendorfs war von 1841 bis 1867 Kapitularin 
im Freiadligen Stift Wallenstein, das etwa zehn 
Jahre vorher von Homberg nach Fulda verlegt 
worden war und nun hier für die Geselligkeit 
und das geistige Leben der Stadt wichtig wurde. 
Sie hat, wie aus ungedruckten Briefen Heinrich 
Koenigs hervorgeht, an Dingelstedt mehr als lite 
rarisches Interesse gehabt. Zu dem Kreise des 
Stiftes gehörte auch der Marquis de Cubiöres 
und seine Gemahlin (eine Nichte des mit Ludw. 
Tieck befreundeten und Shakespeare mitübersetzen 
den Grafen Baudissin), die er als Mitglied der 
französischen Gesandtschaft in Dresden kennen 
gelernt hatte. 
„Unter Kanonendonner und Glockengeläut' 
wollte ich Ihnen antworten, theuere Entfernte, 
am vorgestrigen Frohnlieutenants-Tage; allein 
ich bekam mitten unter heiligen Gedanken an 
Sie profansten Besuch, und hernach sang mir die 
Prozession alle Stimmung und Sammlung aus 
der Seele. So komm' ich denn erst heute zu 
Ihnen, auf dem leichten, seichten Federkiele. 
Biel länger schon und immer trug mich der Ge 
danke, dampferboot-artig, zu Ihnen, den schönen, 
grünen Rhein entlang. Leider ist Feder und 
Gedanke nicht so mächtig über Zeit und Raum, 
als der ärmste Fischer-Nachen, sonst wär' ich 
heut' Abend noch zu Ihren Füßen. Nun, Schell 
erscheint ja für mich, für Banqao's Geist frei 
lich schier zu — körperlich, Ihnen aber immer 
ein „theures Bild!"
	        
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