183
Ist es Ihr guter oder mein böser Engel,
vielliebe Freundin! der — dieses Mal in Ge
stalt eines Katarrhs, — zwischen uns tritt und
eine im Eindrücke auf Sie so zweifelhafte Stunde
wiederum aufschiebt? Jeden Falls, Gnädigste!
sollen Sie gebeten sein, mir die Rede, Bèhufs
einer Abschrift, jetzt noch einmal auf einen Tag
zuzustellen; ich stelle Ihnen dankbar Ihr Eigen
thum — es ist es in mehr als einer Hinsicht! —
wieder zu, und dann lesen wir es mitsammen.
Mit Gruß und Handkuß
der Jhrigste
Montag Abend. Fr. Dingelstedt.
Dingelstedt hatte wohl die Absicht gehabt, der
Freundin sein rhetorisches Meisterstück im Hause
selbst vorzulesen, da kam seine Erkältung störend
dazwischen, das „diesmal" findet seine Erklärung
aus dem folgenden Briefchen, das wohl kurz
vordem überschickt wurde und auch schon für die
gemeinsame Lektüre ein Hindernis entschuldigend
meldete. Wer aber das „fremde Ungeheuer" sein
mag, ließ sich, auch mit freundlicher Hülfe des
Herrn Professor vr. Scherer in Fulda, nicht fest
stellen.
„Ein fremdes Ungeheuer, meine vielliebe
Freundin! hat gestern zwischen mir und meinen
Wünschen Sie zu sehen gestanden, auch heute
fesselt es mich noch, — ein Künstler nämlich,
ein Sänger, der mir von Kassel so wol empfolen
ist, daß ich ihm bongré malgré einige
honneurs von Fulda machen muß. Ich weiß
nicht, wie weit Sie gestimmt sind, Freunde zu
sehen oder unter Freunde zu gehen, wenn es
Ihrem Gefühle kein Zwang ist, hole ich Sie
Sonntag in sein Konzert ab, oder bringe ihn
Sonntag zu Ihnen. Der Mensch hat eine so
schöne Stimme, daß die notwendig an Ihr
schönes Herz sprechen wird.
Satyre ist übrigens im Druck in Satire umge
wandelt. Sorgsames Auge!
Ich küße in Gedanken die Hand, welche die
zierlichsten und liebenswerthesten dillets-amers
schreibt. Ein Wink von Ihnen sagt mir, ob und
wann und wie ich kommen darf?
Mit respektvollstem Gruße
Ihr treu-eigenster
Lonnadenck-Früh, Fr. Dingelstedt."
sehr kalt.
Ein letzter Brief ist datiert vom 15. Juni 1841,
er war der auf einer Rheinreise befindlichen
Freundin nachgeschickt und dürfte umfangreicher
gewesen sein, leider aber bricht er in der Mitte
ab, ohne daß sich ein dazugehörendes Blatt unter
den Papieren hat finden lassen. Von Briefen der
Franziska Bach an Dingelstedt scheint indes nichts
erhalten zu sein, jedenfalls hat das Museum in
Rinteln, wohin Dingelstedts Tochter, Baronesse
Susanne von Dingelstedt in Graz, die Nachlaß
papiere ihres Vaters gegeben hat, nichts aus dieser
Korrespondenz. Das folgende Brieffragment ist
in mancher Hinsicht interessante es zeigt den
burschikosen Ton des Fuldaer Dingelstedt, es spricht
von dem bald, darauf ausgeführten Plan, den
Lehrerberuf niederzulegen, und zeigt wohl mit dem
letzten Satze Dingelstedts Arbeit an dem von
Nicol. Bach begonnenen, in mehreren Teilen er
schienenen „Deutschen Lesebuche" Die in dem
Schreiben erwähnten Personen sind aus dem lite
rarischen Kreis, der in den vierziger Jahren dem
Leben in Fulda eine charakteristische Note gab,
bekannt- Von dem früheren Geistlichen F. I.
Schell, der mancherlei Schwierigkeiten durchzu
kämpfen hatte und damals am Rheine lebte, er
zählt in seinen Erinnerungen „Ein Stilleben"
Bd. 2, S. 284 ff. der gleichfalls genannte Schrift
steller Heinrich Koenig, der wegen seiner liberalen
Ansichten, die er im hessischen Landtag geäußert
hatte, 1840 von Hanau in seine Vaterstadt Fulda
strafversetzt worden war. Wilh. Charl. Aug. Freiin
v. Seckendorfs war von 1841 bis 1867 Kapitularin
im Freiadligen Stift Wallenstein, das etwa zehn
Jahre vorher von Homberg nach Fulda verlegt
worden war und nun hier für die Geselligkeit
und das geistige Leben der Stadt wichtig wurde.
Sie hat, wie aus ungedruckten Briefen Heinrich
Koenigs hervorgeht, an Dingelstedt mehr als lite
rarisches Interesse gehabt. Zu dem Kreise des
Stiftes gehörte auch der Marquis de Cubiöres
und seine Gemahlin (eine Nichte des mit Ludw.
Tieck befreundeten und Shakespeare mitübersetzen
den Grafen Baudissin), die er als Mitglied der
französischen Gesandtschaft in Dresden kennen
gelernt hatte.
„Unter Kanonendonner und Glockengeläut'
wollte ich Ihnen antworten, theuere Entfernte,
am vorgestrigen Frohnlieutenants-Tage; allein
ich bekam mitten unter heiligen Gedanken an
Sie profansten Besuch, und hernach sang mir die
Prozession alle Stimmung und Sammlung aus
der Seele. So komm' ich denn erst heute zu
Ihnen, auf dem leichten, seichten Federkiele.
Biel länger schon und immer trug mich der Ge
danke, dampferboot-artig, zu Ihnen, den schönen,
grünen Rhein entlang. Leider ist Feder und
Gedanke nicht so mächtig über Zeit und Raum,
als der ärmste Fischer-Nachen, sonst wär' ich
heut' Abend noch zu Ihren Füßen. Nun, Schell
erscheint ja für mich, für Banqao's Geist frei
lich schier zu — körperlich, Ihnen aber immer
ein „theures Bild!"