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Stimme war selbsterfunden und kunstlos, und bei
dem klagenden Kehrreim fiel auch der Kaspar ein
und brummte eine Art von dritter Stimme zwischen
den Zähnen, die ein kurzes Pfeifchen hielten. Der
Karl paffte stumm und heftig aus einer dicken Zigarre
übelriechende Rauchwolken in die klare Nachtlust.
ES war köstlich still und kühl aus dem leise
ziehenden Fluß. Der Mond stand groß im Osten
und warf ein langes, schimmerndes Netz über die
dünkte Flut. Auf dem ansteigenden linken User
wär däS alte Städtlein aufgetürmt. Die stolze
Klosterkirche mit dem dicken, kuppeligen Glockenturm
über der Vierung und den beiden schlanken, spitzen
Dordertürmen; die alten, hohen Klosterbauten mit
deck glänzenden Schieferdächern, die über den bröckeligen
Klostermauern guckten; die runden Ecktürme mit den
spitzigen Hauben, die von des Städtleins ehemaliger
Befestigung stehen geblieben waren; die Tortürme
an der Stadtmauer und der flache RathauSturm —
alles reckte sich hoch und fein nach dem Sternhimmel
Und hatte verklärte, lichte, aufstrebende Linien um
die tiefdunkle Traumhastigkeit seiner schweren Formen
und seine- erdenschweren Inneren. Und ein süßer,
sommernächtiger Duft wehte herüber über den silbernen
Fluß von den knorrigen Akazien unter der Kloster
mauer und aus den Klostergärten und aus den
Wiesen um das Städtlein, wo das erste Heu zum
Trocknen lag.
Das Lied war aus, und der Kaspar trieb mit
ein paar kräftigen Stößen den Nachen ans Land.
Die Mädchen sprangen heraus und gingen langsam
hinan; dann kam auch der Karl ans Land und sah,
die Hände in den Hosentaschen, zu, wie der Kaspar
den Nachen auf den Sand zog und mit der Kette
an einen großen Stein festmachte. Dann gingen
die Burschen hinter den Mädchen her. Die achteten
nicht daraus, aber als der Weg zwischen Kloster-
mauer und Friedhof unheimlich dunkel einbog, gingen
sie langsamer, bis die Burschen dicht hinter ihnen
waren. Die Mädchen flüsterten miteinander, und
die Burschen rauchten schweigend.
An des Fuhrmanns Burkhardt Häuschen blieb
die Anna stehen und sagte „Gute Nacht beisammen."
Die Christine und der Kaspar erwiderten den
Gruß und gingen nebeneinander weiter. Der Karl
blieb vor der Anna stehen. Die steckte die Hände
unter die Schürze und zog die Schultern hoch und
guckte den Karl an mit ihren hellen Augen, in denen
immer ein zufriedenes Lächeln stand über ihr jung-
frifcheS, arbeitsfrohes Dasein. Der Karl sah ver
sonnen weg, dahin, wo die andern im Dunkel ver
schwunden waren.
„Wo warst Du jetzt heut?" fragte die Anna nach
einer langen Stille.
Der Karl zögerte.
„Auf'm Rathaus", sagte er dann.
„Warum dann?"
Der Karl schwieg.
Nach einer ziemlichen Weile meinte die Anna:
„Was hast jetzt Du auf'm Rathaus verlor'n?"
Und als der Karl weiter schwieg
„No also. - gut' Nacht."
„Wart' emal", sagte er und rauchte stärker.
,»No — ?" fragte sie.
„Aus Johanni wird geheirat'" erklärte er be-
stimmt.
„Wer heirat'?"
„Mir zwei."
„Biste verrückt?"
„Anna, guck' emal —"
Aber die Anna machte die Haustür aus und
knallte sie im Verschwinden herzhaft zu.
Der Karl betrachtete die alte unverschlossene Haus
tür lange und schwermütig, dann streifte er am
Gartenzaun entlang, wo die Bohnen blühten, und
schlich nach Hause.
* *
*
Unter der offenen Stubentür stand Karls Mutter
und stemmte die bloßen, dürren Arme in die mageren
Seiten. Sie guckte völlig sprachlos aus ihrem harten
Gesicht auf den Herrn Bürgermeister, dem sie eben
ein Viertelchen aus den blanken Eichentisch hingestellt
hatte. Der Herr Bürgermeister wiederholte seine
Worte:
„Ja. also zwischen zehn und elf war er droben
und wollt' alles festmachen."
„Jeffes, Jeffes, der Karl!" zeterte die Frau,
„denk' mal, Vatter!"
- In einem alten, ledernen Großvaterstuhl, inmitten
von schneeweißen Bettkiffen, saß ein Mann, der noch
jugendlich aussah und der aus denselben schwer
mütigen Kinderaugen guckte wie fein Karl. Seine
Krücken lehnten neben ihm, und seine Beine waren
dick verwickelt, denn er hatte sich beim Feldzug
ins Franzosenland im naffen Biwack vor Metz einen
hoffnungslosen Rheumatismus geholt.
„Wie er nur drauf kommt, der Karl?" meinte
er grübelnd und guckte fragend wie ein Kind nach
der sauberen, zerarbeiteten, verblühten Frau.
„Wie er drauf kommt? Aus so Posse? Weil
Du'm alle Wille läßt", fing Karls Mutter an zu
kreischen. Und dann zeterte sie drauf los. daß
selbst der Herr Bürgermeister nicht hätte zu Wort
kommen können. Wie sie schaffen müffe Tag und
Nacht, und wie der Karl groß geworden wäre,
sozusagen ohne Vater und Mutter. Und jetzt habe
er. seit er aus der Schul' kam, den ganzen Wirt-
schastsbetrieb unter sich, weil s i e doch genug, über
genug zu rackern habe mit dem Hauswesen und