Full text: Hessenland (27.1913)

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unentgeltlich aufzunehmen und zu behandeln. 
Im Jahre 1808 wurde das Militärlazarett 
damit verbunden, in dem die Militärkranken 
auf Kosten der Kriegskasse verpflegt wurden. 
Für den täglichen Krankendienst waren 
die Regiments-Krankenstuben bestimmt, außer 
den bei der Truppe stets vorkommenden ge 
ringfügigeren Erkrankungen und Verletzungen 
hatten sie vor allem die Behandlung der ein 
fachen Krätze und der leichteren venerischen 
Erkrankungen zu übernehmen. Die Zahl dieser 
Kranken war nach den vorliegenden Berichten 
verhältnismäßig recht hoch; immer und immer 
wieder weisen die behandelnden Ärzte auf die 
steigende Zahl dieser Kranken hin und be 
gründen damit das Verlangen, daß ihnen für 
deren Behandlung größere Räumlichkeiten be 
reitgestellt werden müßten. Der Stadt er 
wuchsen daraus besondere Schwierigkeiten, da 
die Möglichkeit, diesen — meist mit großem 
Nachdruck vorgebrachten — Forderungen zu 
entsprechen, immer geringer wurde. Denn be 
greiflicher Weise weigerten sich die Bürger - 
und eine fürsorgende Verwaltung konnte es 
ihnen auch gar nicht ernstlich zumuten —, 
ihre Wohnungen und Häuser für diese Kran 
kenstuben herzugeben, in denen fast ausschließ 
lich Krankheiten behandelt wurden, mit denen 
eine erhebliche Übertragungsgefahr verbunden 
ist. Es ist eine selbst für die damalige Zeit 
nicht häufige und unerhörte Rücksichtslosig 
keit, daß die Militärverwaltung sich nicht 
scheute, die Bürger der Möglichkeit solcher 
Ansteckung auszusetzen. Ein wenn auch nur 
geringes Wohlwollen, das den Bewohnern des 
eignen Landes gegenüber selbstverständlich sein 
mußte, hätte zweifellos einen geeigneten und 
gangbaren Ausweg finden lassen. 
Überhaupt scheinen die westfälischen Militär 
behörden bei all ihren Maßnahmen immer 
von der Voraussetzung ausgegangen zu sein, 
daß sie sich in Feindesland befänden; und 
wie sie mit schlecht verhehltem Eifer jede Ver 
fügung durchzuführen sich bemühten, die der 
Bürgerschaft neue Belastung brachte, so for 
derten sie mit sichtlichem Behagen die schleu 
nige Ausführung dieser Bestimmung und ver 
langten, daß schon zum 1 Januar 1811 ge 
eignete Räume zur Verfügung gestellt würden 
für die Krankenstuben der Truppenteile, die 
z. Zt. in Bürgerquartieren untergebracht 
waren, nämlich des 3. Linien-Jnfanterie-Re- 
giments und des Elite-Korps der Jäger-Kara 
biniers. Nach Lage der Dinge konnte es nur 
einen kleinen Aufschub bedeuten, wenn der 
Maire von Canstein sich zunächst darauf be 
rief, daß ihm diese Bestimmung wie über 
haupt die „Verordnungsmäßige Instruktion 
über alle Verwaltungszweige des Materiellen 
im Kriegswesen des Königreichs Westfalen" 
amtlich noch nicht bekannt geworden sei und 
er also auch keine Veranlassung habe, solchem 
Ansuchen zu entsprechen. Denn die vermißte 
amtliche Benachrichtigung wurde auf Veran 
lassung des Kriegsministers Graf Hoene durch 
den Präfekten von Reimann unverzüglich nach 
geholt. Wie gern der Kriegsminister jede Ge 
legenheit benutzte, die Stadt seine Überlegen 
heit empfinden zu lassen, zeigte sich auch hier, 
als er sich — eigentlich ohne jeden Anlaß - 
zu der Drohung verstieg, die mit diesen üblen 
ansteckenden Krankheiten behafteten Soldaten 
ebenso wie ihre gesunden Kameraden in Bür- 
gerquatiere legen zu wollen. Es war nur ein 
leerer Vorwand, wenn er sich dabei auf eine 
Weigerung von Cansteins, dieser Bestimmung 
zu entsprechen, berief. Denn daß der Maire 
nur Zeit gewinnen wollte, konnte auch dem 
Kriegsminister nicht verborgen bleiben. Außer 
dem war es doch auch nicht das erste Mal, 
daß er mit dem Maire von Canstein zu ver 
handeln hatte; er konnte daher wohl wissen 
und wußte natürlich auch, daß dieser gar nicht 
der Mann war, Verfügungen der Regierung 
— mochten sie auch noch so drückend und noch 
so ungegründet sein — ernsten Widerspruch 
entgegenzusetzen. Zudem hätte doch auch der 
Ausweg nahe gelegen, die Krankenstuben der 
in Bürgerquartieren liegenden Truppenteile 
mit den in der Hohen-Tor-Kaserne befind 
lichen zu vereinen; dafür hätte man eine ent 
sprechende Anzahl der dort untergebrachten 
Soldaten in Bürgerquartiere verlegen können. 
Und als der Maire diesen Vorschlag — auf 
den die Militärverwaltung selbst hätte ver 
fallen sollen — zur Erwägung stellte, da wirkte 
es nur als mangelhafte Verschleierung des 
nicht vorhandenen Wohlwollens, wenn der 
Kriegsminister die Entscheidung dem Gouver 
neur Divisions-General von Heldring zuschob, 
der den Antrag denn auch glatt ablehnte. Es 
ist ja nicht zu verkennen, daß die Durchführung 
dieses Planes für die Militärverwaltung in 
sofern Schwierigkeiten gebracht hätte, als 
dann kleinere Abteilungen von Truppen, deren 
größere Masse in der Kaserne lag, in Bürger 
quartieren von den übrigen getrennt gewesen 
wären, diese Schwierigkeit wäre aber bei gutem 
Willen wohl zu überwinden gewesen. 
Diese hinhaltende Behandlung der Ange-
	        
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