Full text: Hessenland (27.1913)

vmtL, 284 vm*b 
Größen freundliche, ja freundschaftliche Beziehungen. 
Die Musik war ihm das Ideal selbst, die Seele 
aller Künste. Im September 1854 wurde er durch 
den Musiker 
Knoop in Kassel 
bei Spohr ein 
geführt. Über 
seinen Besuch 
bei dem Meister 
schrieb er mei 
ner Mutter, sei 
ner damaligen 
Braut: „Mein 
Freund Knoop 
bewillkommne 
te mich in Kassel 
mit kollegiali- 
scher Herzlich 
keit und sagte 
mir, um halb 
elf Uhr sei 
Trioprobe bei 
Spohr. Ich bat 
ihn, mich zu 
diesem Stern 
erster 
Prisr 
Louis Spohrs Wohnhaus in Kassel. 
mitzunehmen, was auch nach eingeholter Erlaubnis 
bei Spohr geschah. Als ich den Garten betrat, 
worin des Meisters idyllisch gelegenes Haus erbaut 
ist, wurde ich 
von Gefühlen 
der Ehrfurcht 
bewegt, es über 
kam mich eine 
heilige, religi 
öse Stimmung, 
die nur der be 
greifen kann, 
der die Kraft 
und Gewalt des 
Genius zu wür 
digen versteht. 
Spohr ist ein 
Mann von ko 
lossaler Statur 
mit markierten, 
wohltuenden 
Zügen, er trögt 
eine lichtbraune 
Perücke. Er kam 
mir ernst und 
würdig ent 
gegen und wies mir einen Platz an. Frau Spohr 
ist eine Matrone von ungefähr sechzig Jahren, 
ohne in ihrem Äußeren etwas Hervorstechendes zu 
Der Musiksaal im'Haufe Louis Spohrs. 
haben.*) Spohr, seine Frau und Knoop trugen ein 
Trio vor, das mich in Enthusiasmus versetzte. Am 
meisten Eindruck aus mich machte Spohrs Molin 
spiel. Dieser 
erhabene Greis 
erschien mir als 
ein Verklärter. 
Seine Physio 
gnomie korre 
spondiert stets 
mit dem Cha 
rakter der je 
weiligen Musik, 
düstere Wolken 
umziehen die 
Stirn, sie wer 
den immer hel 
ler, ein heiteres 
glückliches 
Lächeln spielt 
um seine Lip 
pen — kurz, 
es ist ein Hoch 
genuß, den Alt 
meister geigen 
zuhören. Spä 
ter kam eine junge Dame, Fräulein Weinrich, die 
auch trefflich Klavier spielt. Nach der Matinee 
nahm uns Spohr mit hinunter, führte uns in sein 
Kompofitions- 
zimmer und 
dann in den 
Garten. Ich 
konversierte mit 
ihm eine Stun 
de. Als Kurio 
sum muß ich 
Dir berichten, 
daß mir Spohr 
auch seine Bade 
anstalt zeigte, 
die von sehr 
praktischer, 
zweckmäßiger 
Einrichtung ist. 
Der liebe Mann 
lud mich aus den 
andern Abend 
ein, ich konnte 
jedoch wegen 
meiner Abreise 
nichts anneh 
men." — So weit mein Vater. 
*1 Spohrs zweite Frau Marianne, eine Tochter des 
OberappellationsgerichtSratS Pfeiffer in Kassel.
	        
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