Full text: Hessenland (27.1913)

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ihre Mittel am ehesten zusammenhalten konnten, 
während die Göttinger und Hallenser fast voll 
kommen verarmt sino. Eine Reform war unver 
meidlich und dringend. Sie war im Entstehen be- 
riffen. Ingen8 locke dolor. Niemand half ihm 
ei der Verteidigung ihrer Interessen, die ihm am 
meisten am Herzen lagen. Ferner argwöhnte man, 
daß die Studenten den Schillschen Zug begünstigten. 
Die Vorwürfe gegen sie gaben seinem Herzen den 
Todesstreich. 
Am Sonntag, den 14. Mai kehrte er heim wie 
Pompejus in sein Lager, als er die Flucht seiner 
Cavalerie vor Cäsars Legionen erblickt hatte. Der 
tiefste Schmerz bemächtigte sich seiner Seele. Er 
war dazu entschlossen, semen Posten zu verlassen 
die Freundschaft und der Trost des Herrn Mi 
nisters Sim6on hinderten ihn daran. Aber seine 
Stunde war gekommen. Aus Preußen traf ein 
anonymer Brief ein (ckorrniene Cassie), in welchem 
ihm sein Austritt aus preußischen Diensten zum 
Borwurf gemacht und hinzugefügt wurde: es gibt 
keine Geschichte mehr, weder im Allgemeinen, noch 
für Herrn von Müller. 
Der Todesstreich hatte ihn getroffen. — Seine 
Krankheit begann am 19. mit einer Gesichtsrose, 
unter der er sehr häufig litt. Seine Freunde 
maßen ihr keine große Bedeutung bei, doch gab er 
schon am nächsten Tage die eingenommenen Speisen 
wieder von sich und das Fieber nahm zu zwei 
Tage später ging das Erbrechen in ein beständiges 
Röcheln über, das ihm ein Einschlummern nicht 
mehr gestattete. Seine Krankheit wuchs von Tag 
zu Tag und mit ihr die allgemeine Teilnahme. 
Die Herren Simöon und Reinhard bezeugten ihm 
die Aufmerksamkeit und Liebe inniger Freunde. 
Am Sonntag traf der berühmte Arzt Richter aus 
Göttingen ein, ließ aber keine Hoffnung mehr. Er 
starb am Montag um 43/4 morgens, seit Sonn 
abend hatte er bewußtlos gelegen. Seine Krank 
heit war schmerzlos, sein Scheiden sanft. Beim 
Eintritt des Todes nahmen seine Züge von neuem 
den ihnen charakteristischen Ausdruck der Güte an. 
Er war auf das Ende gefaßt und trug mir schon 
in den ersten Tagen seiner Bettlägerigkeit auf, 
Ew. Exzellenz, der er die innigste Freundschaft 
entgegenbrachte, sein Lebewohl zu übermitteln. 
Wie er sich über Ew. Exzellenz letzten Brief freute! 
Mit welcher Freude er sich darüber mit den Herren 
Simöon und Reinhard unterhielt und mit welchem 
Interesse er jede sich bietende Gelegenheit wahr 
nahm, derselben von neuem seine Ergebenheit zu 
bezeugen! 
Das Verdienst, auf Grund dessen ich es wage, Ew. 
Exzellenz mit diesem Brief zu behelligen, ist die 
Freundschaft, mit der mich der berühmte Tote be 
ehrte, indem er mich als Generalsekretär an seine 
Person knüpfte. Anders hätte ich ihn nicht ver 
lassen. Doch der für meine Vermählung bestimmte 
Tag fiel ach! mit dem Tage seiner Beerdigung zu 
sammen. Von nun ab werde ich die Studien fort 
setzen, in denen ich am meisten Erfolg hatte; denn 
ich bin von der Universität Göttingen für eine Ab 
handlung über die Reditus publie! imperii Ro 
mani usque ad témpora Augusti preisgekrönt 
worden und habe über die Finanzen der Römer 
und Franzosen, mit einer statistischen Skizze des 
Königreichs Westfalen, geschrieben. Vielleicht ge 
ruhen Ew. Exzellenz aus diesem Grunde den Aus 
druck meiner Bewunderung entgegenzunehmen, mit 
dem ich mich deren wohlgeneigter Protektion empfehle. 
Ich verbleibe mit tiefer Ehrfurcht, gnädigster 
Herr, Ew. Exzellenz untertänigster, gehorsamster 
und ergebenster Diener 
R. von Bosse, 
Auditeur im Staatsrat." 
Wenige Tage später wurde der Entschlafene 
zur letzten Ruhe geleitet, an seiner offenen 
Gruft hielt Simeon in französischer Sprache, 
aber in deutschem Geist eine warmherzige 
Trauerrede. Den Verstorbenen, den die ewigen 
„etonnsments", die unverhohlenen Zweifel des 
Ministers des Innern an seinem Einfluß in 
Deutschland zum Äußersten gebracht, hätte 
dieser posthume Weihrauch gewiß für Augen 
blicke über sein Leid hinweggetröstet. Freilich: 
was an ihm gesündigt worden, konnte damit 
nicht mehr gut gemacht werden. Im Gegen 
teil, jetzt erschien er erst recht als Söldling der 
verhaßten Fremdherrschaft, als Handlanger des 
napoleonischen Systems. Wie warm sein un 
deutsch, aber stets groß und vornehm empfin 
dendes Herz für die Aufrechterhaltung akade 
mischer Freiheit unter dem Szepter Jeromes 
eingetreten, mit welch' schmerzlichen Opfern er 
die eitele Schwäche eines Augenblicks bezahlt 
— das hat der Völkerfrühling von 1813 
schonungslos in den Hintergrund gedrängt. 
Mag die Veröffentlichung seiner Briefe an den 
Grafen Beugnot zur unparteiischeren und sym 
pathischeren Würdigung seiner westfälischen 
Zeit beitragen. 
Ein Besuch bei Louis Spohr. 
Bon Alsred Bock. 
Mein Vater hatte bei Schnyder von Wartensee 
in Frankfurt Generalbaß und Komposition studiert. 
Ohne berufsmäßiger Musiker zu sein, nahm er als 
ein vortrefflicher Pianist im musikalischen Leben seiner 
Vaterstadt Gießen eine hervorragende Stellung ein. 
Zeitlebens unterhielt er mit vielen musikalischen
	        
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