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und Schulaufgaben in ganz verrückter Weise Jean-
paulisirte. Ebenso ging es mir ein Par Jahre später
mit Heines Reisebildern und seinem maliciösen
Liebesjammer. Erst gegen 1830 kam ich in diesen
Dingen auf den richtigen Standpunkt zurück. Sehen
Sie, daß Sie mich richtig gepailt? Wenn wir uns
persönl. kennen lernen, muß ich Sie fürchten.
Doch nein, wir sympathisiren, und es muß zwischen
unseren Seelen etwas Schwesterliches sein, das
sich sogar bis auf unsern Styl erstreckt. Meine
Schwestern werden Ihnen erzählen, wie mich Je
mand im Verdacht gehabt, ich und Lupinus seien
identisch, und diesen Verdacht aus der Ähnlichkeit
der Ausdrucksweise pp. geschöpft hatte. — Leider,
lieber Freund, scheint in diesem Jahre aus
meiner Reise nach Kassel nichts zu werden, oder
vielmehr es wird nichts daraus, wenn nicht außer
ordentliche Umstände diese Reise möglich oder ganz
nothwendig machen. — Meine Schwestern besitzen
eine (gedruckte) Novelle von mir unter dem Titel
„Die Novelle." Sie scheint mir gelungen zu sein,
und ist, da das Blatt, in dem sie steht, nicht über
die Luxemb. Grenzen hinausgeht, als Manuskript
zu betrachten, das Sie benutzen können, wie es
Ihnen gut dünkt.
Die beifolgenden Urtheile über meinen Band
Novellen haben mir einst meine Schwestern geschickt.
Sie sind die einzigen, die mir hier am Ende der
deutschen Welt zu Augen gekommen sind.
Leben Sie wohl! es umarmt Sie herzlich
Ihr ergebenster
Koch.
Grüßen Sie unsere gemeinschaftlichen Freunde!
Biographie.
Ich bin geboren am 3. Juni 1808 zu Singlis
in Niederhessen im Hause meines Großvaters, des
Obervogts Murhard. Mein Vater (f 1847 als pen
sionierter Regierungsrath zu Marburg) war da
mals Friedensrichter zu Oberaula, zog 1814 nach
Neukirchen, dann nach Waldkappel und 1815 als
Fürst!. Rotenburg'scher Oberschultheiß nach Witzen-
hausen. Hier wuchs ich auf bis zum 14. Jahre und
erhielt in den Stadtschulen die ersten Elementar-
und humanistischen Kenntnisse. Die wunderlieb
liche Natur des Werrathales und die Lectüre der
Schiller'schen, Körner'schen und Mathison'schen
Lyrik, für die mein sehr gemüthvoller Vater
schwärmte, übten ihren Einfluß aus den empfäng
lichen Knaben. Als 1821 mein Vater nach Kassel
als Kreisrath berufen wurde, trat ich dort in die
3 te Classe des Lyceums ein. Hier entwickelte bald
der höhere Unterricht, der Besuch des Theaters und
das rege Residenzleben die poetische Anlage des
Schülers. Hier dichtete ich in Tertia, lieferte in
Secunda himmelstürmende Abhandlungen, bei wel
chen dem würdigen Lehrer der Maßstab der schul
mäßigen Prosa versagte, und durchschwärmte in
Prima alle Leiden und Freuden einer poetischen
Gymnasiasten-Liebe. Siebenzehn Jahre alt (1825),
bezog ich die Universität Marburg, dann Göttingen,
und wieder Marburg, wo ich 1829 als voetor zuris
abfolvirte. Meine Jnaugural-Disfertation (über
die s. g. Specification) hat, obgleich nicht in den
Buchhandel gekommen, in dieser Lehre des röm.
Privatrechtes Epoche gemacht, da die Lehr- und
Handbücher nach derselben die bisherige Ansicht
geändert haben und sie überall citiren. Im fol
genden Jahre bracht' ich den Sommer in Berlin zu,
um mich bort als Privatdocent zu habilitiren,
kehrte aber in Folge der politischen Ereignisse nach
Kassel zurück und trat in den hessischen Staats
dienst als Obergerichts-Referendar. Hier schossen
1831 unter Bescheid-Entwürfen und Criminal-Re-
lationen die Vigilien des Candidaten Hubert auf
und erwarben mir, als ein Zufall den Verfasser
verrieth, in hohem Grade die Liebe des aufge
regten Publikums. Diese erkaltete plötzlich, als ich
die Ernennung zum Secretär des Landtagskommis
särs Minister Eggena und ein Jahr darauf die zum
Provisor, außerordentl. Referenten im Ministerium
annahm. Aus dieser Stellung wurde ich 1833 an
das Obergericht zurückgeschickt, um mich zum 2 ten
Staatsexamen vorzubereiten. Mit dem Publicum
zerfallen, zerfiel ich bald mit mir selbst, und be
gann, statt der Prüfungsarbeiten, ein regelloses
Leben, das mich in Schulden und Verwirrung
stürzte, und mich im December 1834, nachdem ich
den „Prinz Rosa-Stramin" in die Luft geschleudert,
zu dem Entschluß brachte, mein Vaterland heim
lich und ohne bestimmte Aussicht in die Zukunft zu
verlassen. Ich wendete mich nach Strasburg. Ver
schiedene Pläne, mir eine Existenz zu gründen,
mißglückten hier und in Paris, und schon nach
einigen Monaten bestimmte mich in Paris der
gänzliche Mangel an Subsistenzmitteln, als Soldat
nach Africa zu gehen. Von hier an verschwand in
Kassel jede Spur von meinem Verbleiben.
Man sandte den Freiwilligen über Toulon nach
Algier in die Fremdenlegion. Diese wurde noch
in demselben Sommer (1835) nach Spanien als
Hülfstruppe der Königin gegen die Carlisten über
geführt; und ich theilte nun auf der pyrenäischen
Halbinsel das Schicksal jenes Corps, das innerhalb
zweier Jahre durch Kugeln und Krankheiten von
7000 auf 381 Mann herabschmolz und 1837 ehren
voll verabschiedet wurde. Kurz vorher war ich,
nach der einzigen aber einer schweren Krankheit
im Lazareth zu Pamplona, (Mai 1837) zur rö
misch-katholischen Kirche übergetreten, und trug
nun mein Herz, das fest aber kalt geworden, und
aus dem der Sturm alle kurhessischen Zaubereien
und Träume herausgefegt hatte, ohne besonderes
Heimweh mechanisch dem mütterlichen Lande zu.
So kam der verabschiedete Unterofficir der Frem
denlegion nach einer sechswöchentlichen Wanderung
von Pamplona aus über Metz und Sierk im Sep
tember (1837) bei Marburg an, wo ihn ein Freund
aus Frohnhausen auf der Landstraße auffing, und
ihm eine Stunde drauf aus Lewald's Europa
(July- oder Auaustheft 1837) Fr. Dingelstedt's
Worte vorlas: „Kurhessen hat eigentlich nur einen
einzigen Dichter geboren, und auch nur zufällig
Hierüber hat sich meine gute Mutter schwer ge-