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zwrschendurch mit zweifelhaften Weibern sich in
den Dorfwirtschasten umhertreiben, teilweise in welt
licher Tracht, zum größten Skandal für den Orden.
Ganz so schlimm mag es im Hauptkloster nicht
gewesen sein und überhaupt nicht schlimmer als
anderswo damals auch; aber für einen Abt, der
ernsthaft auf die Festigung und Neugründung seines
Stiftsstaats gerichtet war. bedeutete doch dieser
Konvent, der gleichzeitig den mitregierenden Land
stand des Fürstentums darstellte, eine sehr brüchige
Grundlage.
Fortsetzung folgt.)
Adam Traberls Historisch-literarische Erinnerungen".'»
Unser jetzt fast 91jähriger Landsmann hat sich, dem
Drängen seiner Freunde nachgebend, entschlossen, seine zum
größten Teil schon 1886 niedergeschriebenen Erinnerungen
herauszugeben, und bietet sie nun in dem vorliegenden um
fangreichen Werke dar. Wir verfolgen das reichbewegte
Leben dieses trefflichen Mannes von der in seiner Vater
stadt Fulda verlebten Jugend ab. erleben mit ihm seine
so wenig »bemoste" Studentenzeit in Marburg, begleiten
ihn nach Spangenberg, wo er eine mehrjährige Festungs
haft verbüßte, sehen dann den eifrigsten Gegner der kur
fürstlichen Regierung 1866 sich in den treuen Kämpfer
für den entthronten Landesfürsten umwandeln und erfahren
feine weiteren Erlebnisse in Österreich, das alles in hoch
interessanten, lebenswarmen auch die Details liebevoll aus
malenden Schilderungen, die überall eine starke Persönlichkeit
verraten. Uns Hessen interessiert in erster Linie die Dar
stellung der kurhesstschen Ereignisse, einschließlich des Jahres
1866. Mag diese umfassende Arbeit hier und da Irrtümer
enthalten und im einzelnen Widerspruch finden — eS fei
z. B. an die Entgegnung des Rechtsanwaltes I. Martin-
Kassel in Nummer 3944 der »Hessischen Blätter" erinnert. —
Traberts Werk wird fortab für alle Bearbeiter der Geschichte
des vorigen Jahrhunderts eine unentbehrliche Fundgrube
bilden. Besonders wertvoll erscheinen die Charakteristiken
der kurhesstschen Politiker wie Jordan, Heise, Kellner,
Oetker, Hahndorf usw. Namentlich Sylvester Jordan er
scheint hier in völlig neuer Beleuchtung, wie denn sein
Werk gerade zur Beurteilung dieses Mannes viel neues
Material bietet. lVgl. auch hierzu die »Hessischen Blätter"
Nummer 3949.) In anderen Kapiteln, wie bei der Schil
derung seiner Verlobung und Festungshaft, verspüren wir
den Dichter und Humoristen. — Kurz, das Buch dieses
einstigen Demokraten bringt vieles und darum jedem etwas,
dem Politiker wie dem Literarhistoriker und Laien. Wir
veröffentlichen nachstehend seine Charakteristik Kellners und
Heises.
vr. Gottlieb Kellner und Heinrich Heise.
Den Liberalen gegenüber machten sich in Kassel
anfänglich die Männer der Bluse durch vereintes
Austreten bemerklich, und ich habe wahrgenommen,
daß dem Treiben der „Bassermannschen Gestalten"
dort nicht ohne heimliches Grauen zugesehen wurde.
Gar mancher tapfere Bürgergardist, der 1849 zum
Ausrücken kommandiert wurde, ergriff die Muskete
nur mit Zittern und Zagen.
Die eigentliche Demokratie Kaffels aber entstand
erst mit dem Auftreten Heinrich Heises und
vr. Gottlieb Kellners.
Beide Demokratenführer habe ich schon als Student
# ) Kempten und München (I. Köselsche Buchhandlung)
1912. VH und 536 Seiten. Preis geb. M. 6.—
gekannt. Mit Gottlieb Kellner wurde ich gleich in
meinem ersten Semester in Berührung gebracht durch
Hornseck; doch schickte sich Kellner damals schon an,
die Universität zu verlassen, ich weiß nicht, ob er
sich irgendwo als Dozent habilierte oder sich der
Schriftstellern widmen wollte. Schon damals, als
ich ihn, wenn auch nur flüchtig, kennen lernte, hatte
er einige Poesien drucken lassen, wodurch mein Freund
Hornfeck veranlaßt wurde, seinen Umgang zu suchen.
Gottlieb Kellner war ein großer, stattlicher Mann
von seltener Schönheit. Seine dunklen Augen leuch
teten freundlich, aus seinen Gesichtszügen sprach
heiterer Ernst und Lebensmut. Seine Kraft aber
lag, wie sie sich erst in 1848 offenbarte, in einer
wahrhaft demosthenischen Beredsamkeit. Kellners
Organ war beim öffentlichen Sprechen sehr anmutig
und dabei so kräftig, daß er auch die zahlreichste
Versammlung, mochte diese in weitem geschlossenen
Raume oder im Freien tagen, vollkommen beherrschte.
Er sprach auch, wenn er improvisierte, in wohl
gebauten, streng geordneten, immer klaren Perioden
mit bestechender Eleganz. Selbst wenn er in dem,
was er sprach, vernichtend scharf war, bewahrte er
eine stolze, vornehme Ruhe, steigerte sich aber, wo
es ihm notwendig schien, zum hinreißenden Pathos.
Seine Rede glich dem breiten und tiefen Strome, der
nur aufschäumt und aufbraust, wo er auf Hinder-
niffe stößt, aber dann jedes Hindernis in unbändiger
Kraft sofort hinwegreißt und zertrümmert.
Daß ein solcher Mann im Jahre 1848, wenn er
nur wollte, alsbald eine mächtige Partei hinter sich
haben mußte, verstand sich von selbst.
Heinrich Heise war jüngerer Student als Kellner,
was ich daraus schließe, daß ich ihn noch in meinem
dritten Semester in Marburg gesehen habe. Sein
erstes dortiges öffentliches Auftreten steht mir aber
noch so deutlich in Erinnerung, als wäre es von
gestern. Es war am Grabe des Professors Ende
mann, der in Marburg noch in den ersten vier
ziger Jahren in ausgezeichneter Weise Privatrecht
und Zivilprozeß dozierte, aber starb, als ich eben
seine vollsgia belegt hatte. Endemann hatte nicht
bloß als vorzüglicher Dozent, sondern auch als ein
charakterfester Mann von seltenem politischen Frei
mute weit und breit in hohem Ansehen gestanden.