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darstellten, beniühtrn sich redlich, sie zu individuellem Leben
zu erwecken. Ausgezeichnet, feinfühlig und sorgsam hatte
die Regie des Herrn Jürgenfen gearbeitet, den man denn
auch mit den Hauptdarstellern wiederholt an die Rampe rief.
Kurz vorher war als Novität „Hans Sonnenstößers
Höllenfahrt" gegeben worden. Ein junger Student,
der die arme filia hospitalis liebt, will ein ungeliebtes
reiches Mädchen freien. Da bringt ihn ein Traum auf
den richtigen Weg. Von all den zahlreichen Traumstücken,
die die deutsche Literatur kennt, unterscheidet sich das
Paulsche Werk durch seine krause Realistik. Genau so
unzusammenhängend, so aller Verkettung von Ursache und
Wirkung bar, so lächerlich und unsinnig, so grotesk und
fürchterlich, wie Träume zu sein pflegen wird uns hier
das Traumbild vorgeführt. Und darum wirkt das Stück
amüsant und erheiternd. Denn dichterische Qualitäten hat
es nicht, die Erfindungsgabe ist mäßig, die Handlung an
sich wenig originell. Einige gut gezeichnete Typen ver
stärken das Interesse.
Die Regie (Herr Hertz er) hatte viel getan, um den
Charakter des Traumstücks zu wahren. Vielleicht ließe
sich noch mehr tun, um dem Zuschauer ständig zum
Bewußtsein zu bringen, daß er nur Geträumtes sieht.
Herr Strial gab den Sonnenstößer mit liebenswürdigem
Humor, Frl. Stiewe ein oberflächliches Modedämchen
mit" famoser Realistik. Frl. G r o a war ein nettes Haus-
töchterlein, Herr Alberti ein charakteristischer Bühnen
künstler. Auch die übrigen Mitspieler boten ihr Bestes.
Wenn die Regie die störenden längeren Zwischenakte mitten
im Traum beseitigte und im letzten Akt die Hinrichtungs
szene um gut die Hälfte kürzte, würde sie zweifellos die
Wirkung noch erhöhen.
H. Blumenthal.
48HS*’
Der Ritter von der Weidelsburg.
Von Heinrich Bertelmann.
In der Weinstube „Zum wilden Mann" in der
Herrengasse zu Kassel kam der Widerstreit von Tag
und Nacht nie recht zur Entscheidung. Ewiges
Dämmern brütete hinter den kleinen Butzenscheiben,
des breiten, säst die ganze Schmalseite des traulichen
Raumes einnehmenden Fensters, in dessen Mitte ein
goldiger Bacchus mit grünem Weinlaubkranz im
Lockenhaupt prangte.
Ein wenig trotzig stand sein Bild zwischen Licht
und Dunkel da. Man hatte den Eindruck, als
käme er aus dem Tage hereingeschritten, entgegen
dem Gebot, daß man aus dem Dunkeln ins Helle
streben soll.
Frohmutig hielt der lebenslustige Gott den schäu
menden Becher empor, als spende er drin rechten
Heiltrank für alles, was dem inwendigen Menschen
weh und zuwider ist.
Und wer einmal dort hinten in der Ecke an dem
runden Tische saß, vor fich einen guten Tropfen,
wie ihn in Kassel eben nur Johann Georg Schminke,
Wirt zum wilden Mann, verzapfte, dem war es am
Ende einerlei, ob der Tag oder die Nacht im
Negimente saß. Der ließ die Zeit ruhig draußen
im Torweg warten. Und die grundgütige Herrin
wartete geduldig aus jeden, der ihrem Joch einmal
sich entwand. Vergessen zu trinken. Die hier ein
traten, kamen alle, alle wieder heraus und stellten
sich freiwillig unter Zügel und Zaum.
Ein Aprillag des Jahres 1448 neigte sich zum
Abschied. Die Sonne hatte ein Fest hinter sich.
Draußen vor den Toren war der Bürger fleißig
gewesen. Die weißen Hemdärmel der fröhlich Schas
senden hatten den lieben langen Tag hinter allen
Zäunen geleuchtet. Wo nun noch zwei bei einander
standen, wanden sie mit freundlichem Wort dem
Scheidenden einen Ruhmeskranz.
Vorab die Kinder mochten des Freundes allzu
gütige Hand nicht loslassen. So klang es denn
auch dicht unter den Fenstern des wilden Mannes
unaufhörlich
Hans Henrich der wohnt in der Lämmerlämmerstraß,
In der Lämmerlämmerstraß
Kann machen, was er will
„Könnten wir das doch auch noch einmal singen,
Peter!"
„Ach, schweig still! Es ist genug, daß einem
das Echo der Kindheit so noch einmal ans Ohr
klingt. Von vorn möcht' ich's nicht wieder durch
kosten, um keinen Preis!"
Die beiden Männer, die von verschiedenen Seiten
her den singenden Kreis umschritten und einander
im Torweg die Hände reichten, waren der Gold
schmied Jakob Rübenkönig und der Handelsherr
Peter Lorenz, die gewohnt waren, im wilden Mann
ihren Abendschoppen zu trinken. Jakob Rübenkönig
war ein Mann in den besten Jahren. Das braune
Tuchgewand verriet den wohlhabenden Bürger. Unter
dem Barett bauschten sich zwei sorgfältig gepflegte
pechschwarze Locken, die das rechte Ohr bedeckten.
Seine grauen Augen schauten scharf und schlau.
Man sah auf den ersten Blick: hier war einer, der
sein Geschäft verstand und Wahrnahm.
Seine Werkstatt war in der Obersten Gasse. Er
hatte gut lachen. Denn zu seinen Kunden zählten
nicht nur der Hof zu Kassel und die Herzogin zu
Braunschweig, des Landgrafen Schwester, sondern auch
Mnhard von Dalwigk, Ritter aus der Weidelsburg.
Ja, Reinhard von Dalwigk. Gleich dem König
Artus hatte der sich mit zwölf Rittern umgeben,
mit denen er auf seinem stolzen Schlosse fürstlich
hauste. Hermelin und Zobel säumten reich die Ge
wänder der Männer wie der Frauen, und Jakob