Full text: Hessenland (26.1912)

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Die althessische JamMe Duystng. 
(Schluß.) 
An der Patriarchen-Gloriette, wohl dem schönsten 
Aussichtspunkt der Erde, fand man stets Natur- 
freunde, und da diese auch liebenswürdige Menschen 
sind, wurde man bald bekannt. So lernten wir 
dort die Familie des berühmten Malers Grahl, der 
sämtliche Souveräne Europas porträtiert hatte, 
kennen, und mein Liebling war deren jüngste zehn 
jährige Tochter Ella, die ganz unzertrennlich von 
mir wurde. Einst sagte sie in der Wandelbahn, 
die Hände faltend: ,Jetzt kommt der liebe Gott? 
Ich folgte ihren Blicken und verstand sie. Es war 
der Fürstbischof von Olmütz, Graf Szapary, eine 
geradezu überweltliche Erscheinung, mit schönem 
weißen Haar, ein Greis von 86 Jahren im dunkel- 
lila Talar, mit großem silbernen Kreuz auf der 
Brust. Die Katholiken küßten ihm die Hand oder 
das Gewand, seine wundervollen Augen zeigten sich 
wie eine Quelle von Liebe für die ganze Mensch 
heit. Als er sich uns näherte, erhoben wir uns,, 
ich erwachte aber erst wie aus einem Traum, als' 
er mich fragte, ob er sich neben uns setzen dürfe, 
der Platz sei ihm so lieb. Da trat er uns auch 
menschlich näher, machte uns aus die Schönheiten 
gerade dieses Blicks aufmerksam, fragte so väterlich 
nach unserer Heimat, ob wir Schwestern seien, daß 
wir so ziemlich unsere Lebensbeschreibungen kund 
gaben, ohne an die Namen zu denken. Als unsere 
Väter, welche im Lesezimmer die neuesten Zeitungen 
gelesen, uns abholten, stellten sie sich vor und er 
gänzten das Fehlende. Von da an suchten wir stets 
nur diesen Platz aus und bewährten einen Sitz für 
dm Bischof, der zwar nicht immer, aber doch oft 
kam und manches segensreiche fromme Wort in 
unsere jungen Seelen legte. Auf ein Telegramm 
hin mußte er früher, als er beabsichtigte, nach Olmütz 
zurück und lam noch nach dem Diner in großer 
Gala in bas Hotel Straubinger, um Abschied von 
uns zu nehmen. Alles erhob sich, auch die Pro 
testanten. Er machte eine segnende Bewegung für 
alle beim Eintreten, dann begrüßte er aber nur 
Vater., und mich allein und sagte mir: Mögen nie 
die häßlichen Gedanken der Welt dieser reinm Stirn, 
die ich innerlich segne, nahen; dann werden wir uns 
in den lichten Höhen wiedersehen, die ich bald er 
kennen darf/ — Schon im Jahre 1852 las ich den 
Tod des herrlichen Mannes in der Zeitung, welche 
in langen interessanten Artikeln des segensreichen 
Lebens dieses edlen Wohltäters der Menschheit und 
feiner vielen Stiftungen gedachte, und betrauerte 
ihn tief. 
In den letzten Tagen vor unserer Abreise lernten 
wir den berühmten preußischen General Wrangel 
kennen, ehe wir in seinem mit der Kreideaufschrift 
,Retour nach IM versehenen Wagen die Rückreise 
antraten. Wrangel war der Gegensatz von Fürst 
Windischgrätz in der Erscheinung, sehr beliebt, mit 
unter drollig. Er reichte mir im Lesezimmer abends 
einen Strauß Alpenrosen mit den 'Worten: ,Liebes 
Kind, hier habe ich Ihnen etwas mitgebracht? Mit 
freündlichem Dank sagte ich' .Aber Exzellenz, ein 
Kind bin ich doch nicht mehr? Da wandte er sich 
an unsere Umgebung mit der Bemerkung - .Das ist 
gich da will ein Kiek in die Welt den alten Wrangel 
Hofmeistern? 
Gedenken möchte ich auch noch einer der schlichtesten 
Gestalten aus den Reihen der Kurgäste, des Erz 
herzogs Johann von Österreich, welcher seine Woh 
nung selten verließ, aber wenn er sich zeigte, mit' 
Verehrung begrüßt wurde. Während sein 15- bis 
16 jähriger Sohn, der Gras Meran, als bildhübscher 
Tiroler, mit dem Stutzen auf dem Arm, dem Gems- 
bart am Hütchen, auf allen Bergen zu sehen war, 
Dl« Recht, letzteren zu tragen, hatte er schon zwei 
Jabre zuvor durch die Erlegung einer Gemse er 
worben und war sehr stolz darauf. — Dann be 
freundete sich der Vater auch noch mit seinem Tisch- 
nachbarn, einem interesianten, etwas kolossalen Ruffen, 
General von Kussowitsch, welcher anfangs seine 
ärMchen Vorschriften gar nicht befolgte, sogar zwei 
Bäder der starken Quelle täglich nahm und immer 
hülftoser wurde. Da trat Vater ihm gegenüber 
srenndfchaftlich, aber sehr energisch aus, bestimmte 
seine Lebensweise, bat ihn dringend, wenigstens 
versuchsweise auf den Arzt zu hören, -und hatte 
bald die Genugtuung, ihn folgen und dadurch seine 
G^undheit sich festigen zu sehen. Beim Abschied 
darckte der Russe dem Vater herzlich für den großen 
Anteil, welchen er sich an seiner Genesung erworben, 
und sagte: .Bis dahin war ich ein durch unerbitt 
liche Strenge gefürchteter Mann, in der Familie 
wie im Beruf; jetzt will ich auch einmal versuchen, 
ob; ich durch Milde und Festigkeit etwas erreiche, 
un- dabei Ihrer gedenken!' 
Vor 60 Jahren war eine Reife durch das Salz. 
kaPmergut viel genußreicher als jetzt, wo die Eisen» 
bah» an den schönsten Punkten vorüber jagt. In 
alHn bedeutenden Orten fanden wir .Retouren', 
M»gen mit 4 oder 2 Sitzen, auf deren Rückseite 
diH-Koffer fest angeseilt wurden. Bei Regenwetter 
werden sie geschloffen, während man bei gutem 
Wßtter im offenen Wagen die schönsten Nah- und 
Fernblicke genießen und die herrliche Lust einatmen 
konnte. So brauchten wir 5 Tage von Gastein 
bis zur Eisenbahn in Salzburg, und nahmen die
	        

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