Hessenlanö
Hessisches Heimatsblatt
Zeitschrift für hessische Geschichte, Volks- und Heimatkunde, Literatur und Kunst
Nr. 11. 26. Jahrgang. Erstes Juni-Heft 1912.
Jean Paul in Kassel.
Von Eduard Verend (München).
In der zweiten Halste des Septembers 1801
unternahm Jean Paul mit seiner jungen Gattin
Karoline von Meiningen aus, wo er feit einem
Vierteljahr ansässig war, einen kurzen Ausflug
nach Kassel. Es scheint keine bloße Vergnügungs
reise gewesen zu sein. Auf einer unmittelbar
vorher unternommenen Reise nach Bayreuth war
Karoline erkrankt, und obgleich sie sich inzwischen
bereits erholt hatte, scheint man es doch für rat
sam gehalten zu haben, einen Kasseler Arzt
(welchen?) zu konsultieren, vermutlich auch des
halb, weil sie sich — im Hinblick auf ihre kinder
lose Schwester Ernestine Mahlmann — über das
Ausbleiben der ersten Anzeichen der Mutterschaft
beunruhigt zu haben scheint. Natürlich ließ man
aber auch die Gelegenheit nicht vorübergehen, die
Sehenswürdigkeit der weltberühmten Residenz in
Augenschein zu nehmen.
Während wir über Jean Pauls spätere Reise,
die er allein unternahm, durch seine Briefe an
seine Frau meist gut unterrichtet sind, war von
dieser bisher nicht viel mehr als die Tatsache
bekannt. Er meldet am 1. Oktober 1801 seinem
Freunde Emanuel: „Wir waren in Kaffel und
beinah so selig als in unserer Stube. Meine
Karoline hat wieder den Panzer der festesten
Gesundheit am Leib, den der Teufel gerade in
Baireuth durchlöchert hatte." Zwei Tage später
schreibt er an Böttiger: „In Baireuth und in
Caflel war ich mit meiner Frau; in letzterm
wird Wilhelms-Höhe noch durch Hessens Tiefe
riesenhafter. Solche Dörfer — die ausgenommen,
die die Kinder und Schwalben aus Kot bauen —
gibt es nicht weiter, nicht einmal im Preußischen."
Am 10. Oktober an Otto: „Ich war in Kassel,
meiner Karoline wegen. In Ton-Klumpen woh-
nen die Bauern; in der Stadt gibts wenige
Ellbogen, die nicht eine bettelnde Hand aufmachen,
die zwei langen ausgenommen, die sogar jede
Hand stehlen, die mit dem Zepter.*) Uber den
durchaus reinen und großen Sonnenglanz der
Wilhelmshöhe spreche der Teufel, der mehr Zeit
hat, zu malen, als Leute, die er holt."
Mehr Zeit hatte aber, außer dem Teufel,
glücklicherweise auch Karoline, die in einem sechs
Tage nach der Rückkehr geschriebenen Briefe an
*) Jean Paul muß durch seltsame Dörfer gekommen
sein. Auch von der .bettelnden Hand" ist in den zahl»
reichen übrigen Reiseberichten der Zeit nichts zu lesen.
(Die Redaktion.)