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Stellen entsteht neben der alten (Regierungs-)Kanzlei
eine Geheime Kanzlei, oder eigentlich zwei Geheime
Kanzleien: die Kammerkanzlei und die Landkanzlei.
Seit der Begründung des Geheimen Rats durch
Landgraf Moritz (1609) wird die Geheime Kanzlei
mehr und mehr zur Geheimen Rats-Ka.nzlei, ohne
daß deshalb der Geheime Kriegssekretär (dieser Aus
druck ersetzt etwa seit der Mitte des 17 Jahrhunderts
den „Kammersekretär*) und der Landsekretär auf
hören, die Kabinettskorrespondenz der Landgrafen zu
führen. Infolge dieser Doppelstellung der Geheimen
Kanzleien kommt es in Hessen-Kassel nicht — wie
wie etwa in Preußen — zur Ausbildung eines
wirklichen Kabinetts, obwohl sich Ansähe dazu bereits
vorübergehend unter Landgraf Moritz zeigten, und
trotz einiger kabinettartigen Behördenbildungen, die
der äußere Entwickelungsgang des Staats mit sich
brachte: der hessisch-schwedischen Geheimen Kanzlei
in Stockholm untet Friedrich I. (1730—1751),
zum amtlichen Verkehr zwischen dem König und dem
Ministerium in Kassel, und ixer hessisch-hanauischen
Geh. Kanzlei (1736—1785). Erst unter Landgraf
Wilhelm IX., der den Typus des absolutistischen
Herrschers unter den hessischen Landgrafen am reinsten
vertritt, zeigen sich verschiedene Ansätze zu der Bildung
eines Geheimen Kabinetts neben den beiden Geheimen
Kanzleien (Geheimes Kabinettsarchiv 1790, Geheimer
Kabinettssekretär usw.), Ansänge, die die Neu
bildung eines solchen Geheimen Kabinetts mit fester
Kompetenz durch das große Organisationsedikt von
1821 bereits vorbereiten, bei dieser Modernisierung
der ganzen Staatsverwaltung werden dann auch der
alte Geheime Rat und die beiden Geheimen Kanz
leien durch ein neues Staatsministerium mit Ministe-
rialkanzlei ersetzt. In der anschließenden Besprechung,
die Pros. Wenck einleitete und an der sich nament
lich vr. S ch ul tz e und Geh. Rat Hartwig beteiligten,
wurden hauptsächlich die Fragen der Zusammen
setzung und Organisation des Kasseler Geheimen
Rats und sein Verhältnis zum Landesherrn, auch
im Vergleich zu anderen Staaten, besonders Branden
burg-Preußen, berührt.
Am Herrenabend des Kasseler Vereins am
4. März teilte der Vorsitzende General E i s e n t r a u t
mit, daß er die beschlossene Eingabe wegen Erhaltung
der Mühle an den Kultusminister abgesandt habe.
Eine ähnliche Abgabe hat der Bezirkskonservator
Professor v. Drach an den Landeskonservator ge
richtet. Regierungsbaumeister Genth suchte ein
gehend die hohe Baufälligkeit der Mühle darzutun,
räumte aber ein, daß er diese selbst aus eigener
Anschauung nicht kenne. Der Vorsitzende bat, von
einer nochmaligen Diskussion dieser Angelegenheit ab
zusehen. Lebhaftes Bedauern erregte die Mitteilung,
daß Regierungsbaumeister vr. Holtmeyer durch
seine Versetzung nach Magdeburg dem Verein und seiner
Tätigkeit, der Inventarisierung der Baudenkmäler,
entzogen werde. Der Schriftführer Rechnungsdirektor
W o r i n g e r teilte dann Auszüge aus dem Tagebuch
des Kammerherrn der Gemahlin Friedrichs des Großen
von Lehndorff über die Hochzeit Landgraf Friedrichs II.
mit der Prinzessin Philippine von Brandenburg-
Schwedt mit, die sehr zutreffende Urteile über die
Prinzessin Philippine enthielten. Der Vorsitzende
brachte hierauf einen Bericht des hessischen Generals
von Urff über den Rückzug der alliierten Armee
von Celle nach Lüneburg im Winter 1758 zur Ver
jüng und erläuterte ihn mit eingehender Schilderung
der damaligen Kriegslage. Die Herren Kaufmann
Konrad Nagell und Weißbindermeister Schiebeler
widmeten dem Verein seltene Drucksachen.
Hochschulnachrichten. Marburg Der be
kannte Lustschiffer Majors von Abercron zu
Mülheim a. Rh. wurde von der philosophischen
Fakultät zum Ehrendoktor und der Oberlehrer an
der Leibnizschule zu Hannover vr. Hermann Schuster
von der theologischen Fakultät zum Lizentiaten
honoris causa ernannt.— An Stelle des ausscheiden
den bisherigen Lektors der englischen Sprache Beacoll
LI. A. ist der Bachelor of arts der Universität
Manchester Georg Wright Glover zum Lektor
ernannt worden. — Gießen: Professor vr. Erich
Opitz, Direktor der Frauenklinik zu Düsseldorf,
hat den Ruf als Nachfolger des Gynäkologen Pros,
vr. von Franque angenommen.
Eine Neuerwerbung der Kasseler Galerie.
Galeriedirektor vr. Gronau erstand aus der Ver
steigerung der Galerie des verstorbenen Konsuls
Weber in Berlin eine holländische Straßenansicht,
über deren Schöpfer (Jan Vermeer van Harlem II
oder Dirk Jan van der Laen) die Spezialisten bis
her nicht einig geworden sind. Diesem Umstand
ist es zu verdanken, daß diese holländische Vedute,
die eine Lücke in unserer Galerie ausfüllt, zu an
gemessenem Preis für Kassel gesichert werden konnte.
Die Verhältnisse der Kasseler Kunst»
gewerbeschule brachte Landtagsabgeordneter
vr. S ch r o e d e r kürzlich im Abgeordnetenhaus zur
Sprache. Es werde lebhafte Klage darüber geführt,
daß das Zeichnen zum Nachteil der praktischen Aus
bildung der Schüler viel zu sehr bevorzugt werde
und die Schreiner, Schlosser, Lithographen und Zise
leure überhaupt keine oder nur ungenügend ein
gerichtete Klassen fänden. Ein Regierungskommissar
sagte die Prüfung der Beschwerde zu und stellte
eine Besserung in Aussicht, sobald die für die Kunst
gewerbeschule bestimmten, noch von der Gewerbehalle
benutzten Räume frei würden.