Hessische Bücherschau.
Butte. Dr. Heinrich. Stift und Stadt Hersfeld
im 14. Jahrhundert. Mit einem Anhang: Die
Stadt Hersfeld bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts
und 14 Urkundenbeilagen. 167 Seiten. Marburg
(Elwert) 1911.
Die Leser des „Hessenland" kennen bereits die Einleitung
dieser von einem jungen Kasseler Historiker verfaßten Ar
beit, die in Nr. 6 des laufenden Jahrganges unserer Zeit
schrift abgedruckt ist. Es ist eine der wichtigsten Perioden
der Geschichte von Hersfeld. deren Untersuchung und Dar
stellung der Verfasser unternommen hat, die Zeit, in der
die alte Reichsabtei nach der Schwächung der kaiserlichen
Macht zu einem kleinen Territorialfürstentum herabfinkt,
das in inneren Kämpfen zwischen Landesherrschaft, Kapital
und Bürgertum seine Kräfte vergeudet und dadurch schließ
lich unter die Vormundschaft seines mächtigsten Nachbarn,
des hessischen Landgrafen gerät. Der größere Teil der
Darstellung ist der Regierungszeit des Abtes Berthold
v. Völkershausen (1367—87) gewidmet, dessen vergebliche
Versuche, durch Niederzwingung der selbstherrlichen Stadt
seine landesherrliche Machtstellung zu befestigen, zu der
unglücklichen Sankt Vitalisnacht des Jahres 1378 führten,
deren Gedächtnis noch heute im Hersfeldischen Volke lebt.
Butte kritisiert die bisher übliche auf dem Bericht des
parteiischen städtischen Chronisten beruhende Darstellung
und berichtigt die Behauptung, daß der Überfall der Stadt
ein Werk des Sternerbundes gewesen sei. der damals gar
nicht mehr bestand. Allerdings war die frühere Partei
nahme des' Abtes für die Sterner mit die Ursache gewesen,
daß der Landgraf von Hessen sich der Stadt gegen den
Abt annahm. Er vermittelte den Frieden zwischen beiden,
und seitdem blieb Hessen die ausschlaggebende Macht in
dem durch den Kampf erschöpften Stifte. Im Anhang
untersucht Budde die Anfänge der Ortsgemeinde Hersseld,
die neben Fulda den Anspruch erheben kann, als die
älteste Stadt Hessens zu gelten. Da ihm der Magistrat
(der anerkennenswerterweise die Arbeit auch durch materielle
Beihülfe unterstützt hat) das städtische Archiv bereitwilligst
öffnete, war der Verfasser in der Lage, auf Grund der
Quellen eine gründliche Untersuchung der älteren Gemeinde
verfassung von Hersfeld zu liefern, die, wie die ganze
Arbeit, als eine schätzenswerte Bereicherung unserer orts
geschichtlichen Literatur angesehen und empfohlen werden
kann. Ph. L.
Soldan W., und Hehler C. Die Waldecker
Talsperre. 127 Seiten. Mit 44 Abbildungen,
4 Zeichnungen und 2 Kartenskizzen. 2. Auflage.
Marburg (N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung) 1911.
Preis 1 M.
Das vorliegende Werk stellt eine völlig umgearbeitete
und vermehrte Auflage der „Eddertalsperre" von Hehler
dar. Neu ist zunächst der die ersten drei Bogen füllende
mit zahlreichen neuen Aufnahmen durchsetzte Führer durch
das Waldrcker Sammelbecken, den der Leiter der Arbeiten,
Regierungsbaumeisler Soldan, verfaßte. Nach einer all
gemeinen Einleitung über Zweck und Aufgaben der Tal
sperren wird die Waldecker Talsperre, die Anlagen des
Beckens, der Bau der Sperrmauer usw. an der Hand der
Ausnahmen, technischen Zeichnungen und geologischen Dar
stellungen eingehend beschrieben. Unter berufener Führung
unternimmt der Leser einen Gang über die Baustelle.
Ein Schlußkapitel ist den wirtschaftlichen Umwälzungen im
Eddertal sowie den Kosten der Anlage gewidmet. Eine
vergleichende Tabelle zeigt, daß die Waldecker Sperre nur
noch hinter einigen großen Anlagen Ägyptens und Nord-
amerikas zurücksteht, dagegen sämtliche Talsperren Europas
an Größe weit überragt. Im zweiten Teil schildert Karl
Hehler noch einmal sämtliche eingehenden Ortschaften im
Gebiet der künftigen Talsperre, sowie auch die Orte in
der Umgebung des Eddertalsees. Ein Anhang enthält
Winke für den Besuch der Sperre (Zugangsstrecken. Touren)
und eine Abhandlung über die Aussprache des Flußnamens
Edder. Die Schar derer, die den auch durch mannigfaltige
Reize der Natur ausgezeichneten zukünftigen Grund des
Stausees noch einmal durchwandern und die Entstehung
dieses gewaltigen Bauwerkes bewundern wollen nimmt
mit jedem Tage zu. Keiner von ihnen wird zur gründ
lichen Orientierung dieses ebenso inhaltreichen wie prak
tischen Führers entraten können. Hbach.
Rübsam, F. Die Glocken des Domes zu Fulda.
Mit 3 Illustrationen und 4 Zeichnungen. 34 Seiten.
Verlag der Fuldaer Aktiendruckerei. 1911. Preis 60 Pf.
Diese Gabe des Fuldaer Domorganisten verdient weite
Verbreitung. Wenn sich auch im einzelnen seine Darstellung
an die vom Hessischen Geschichtsverein herausgegebenen
bekannten „Beiträge zur Glockenkunde des Hessenlandes"
von Hoffmann und Zölffel anlehnt so gibt sie darüber
hinaus in einigen sachlichen und lokalgeschichtlichen Einzel
heiten und namentlich in musikalischer Beziehung eine
Ergänzung. Rübsam gilt als Meister in der Zusammen
stellung von wohlklingenden Geläuten, und nirgendswo in
Deutschland soll sich ein schöneres und kunstgerechteres Ge
läute finden wie in der Domkirche zu Fulda, deren zehn
Glocken in ihrer überwältigenden und charakteristischen
Majestät den besten Meisterwerken des Mittelalters an die
Seite zu stellen sind. Gerade die erschöpfende sachkundige
Beschreibung dieses Glockengeläutes kann anderen Kirchen
vorbildliche Anregungen geben. Die Schrift beschreibt das
jetzige und frühere (vor 1897) Domgeläute, unterrichtet
im Anschluß an vier Tafeln über die Glockenstühle und
Armaturen und beschreibt die Läuteordnung der Domkirche.
Die Königin des Domgeläutes, die neue, nur an den
höchsten Feiertagen geläutete Osanna, erfährt hier zum ersten
Male eine Beschreibung. Abbildungen des Domes vor
und nach dem Brand und der Osanna nach ihrer Ankunft
vor dem Domportal vervollständigen das hübsche Merkchen.
Hbach.
Wiegand. Karl Friedrich. Winternacht. Drama
in drei Akten. (Verlag Huber & Ko. in Frauenfeld).
Wiegand betritt mit dieser Dichtung das oft begehrte
und selten vollkommen erreichte Gebiet des Volksstückes.
Ein Pfarrer einer dörflichen Gemeinde steht nach einem
Lebensalter heißen Ringens vor der bösen Tatsache, daß
ihm kein Saatkorn aufgegangen, daß in seiner Gemeinde
nicht nur Borniertheit und krasser Aberglaube herrschen,
sondern daß auch das Verbrechen seinen Einzug gehalten,
daß es Leute gibt, die ihn, den Pfarrer, eines Totschlags
für fähig halten. Unter der Last dieser Erfahrung bricht
der jäh Gealterte zusammen. Dieses Lebensbild des Kämpfers
für Licht und Wahrheit ist mit einer Fülle von Szenen
durchsetzt, die klar erschaut, mit dichterischem Feuer und
bühnenficherer Rundung wiedergegeben sind und in ihrer
durchaus sachlichen Realistik an Hauptmann in bestem
Sinne erinnern. Von den bäuerlichen Typen bis zu den
kleinsten Nebenfiguren ist die scharfe BetonWg des Charak
teristischen höchst anerkennenswert und läßNür den Dichter
das Allerbeste für die Zukunft hoffen zumal „Winter
nacht" sein Erstlingswerk ist. Nachdem die Tragödie in
Zürich die Feuerprobe bestanden hat. dürfte sich unser Hof
theater dieser ernsten Arbeit eines Hessensohnes annehmen. —n.