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leise schnarrenden Stimme, „und das Alter hat den
Frrrühling gern."
Natalie streift gedankenverloren über ihr rosa
seidenes Kleid, in dem sie Onkel Kirchenrat so
srühlingsmäßig erschienen und in dem sie auch
Frau v. Keudell so gut gefallen hatte, diese meinte,
ihr lächelnd ins Auge schauend „Natalie, Sie sehen
ja aus wie eine Braut."
Und nun ist sie in Wahrheit eine Braut. Wie
herrlich das klingt — — doch der Klang dringt
nicht recht in die Seele hinein — stille ist es in ihr.
Wie war das alles so schnell gekommen? Ein
kurzes Liebeswerben, und dann im Bann der
fordernden Augen, als Antwort auf die drängende
Frage ein leises Ja, das über ihr ganzes, künftiges
Geschick entscheiden sollte. Versonnen schweift ihr
Blick ringsum — sie denkt an die sonnige, wonnige
Kinderzeit — — rückblickend schaut ihre Seele die
Poesie jener vergangenen Tage.
Sie sieht im Dämmerlicht des großen Parkes
die weiße Dame, die sie mit den Brüdern zu Haschen
sucht, und die, sobald sie sich ihr ganz nahe glauben,
im Abendnebel plötzlich ihren Blicken entschwindet.
Sie sieht sich vor dem in einem Seitenflügel des
Schlosses gelegenen sogenannten Spukzimmer bange
lauschend stehen, dem Zimmer, wo es vier Wochen
vor Weihnachten so geheimnisvoll zu rumoren be
ginnt und die von unsichtbarer Hand verschlossene
Türe selbst dem kräftigen Drängen und Stoßen
der Brüder nicht weichen will. Und Festtage waren
es, wenn zuweilen der Rotenburger Hof nach Wan
sried herüberkam. Gewaltig imponierten ihr die
kleinen Prinzessinnen in den seinen, seidenen Kleidchen,
was sie jedoch nicht hinderte, sich lustig mit ihnen
in Schloß und Park herum zu tummeln.
Ach, es wird ihr so schwer ums Herz, sie bangt
vor dem neuen Abschnitt ihres Lebens.
(Schluß folgt.)
Aus Heimat und fremde.
Hessischer Geschichtsverein. In der Sitzung
des Marburger Vereins vom 4. April sprach Pfarrer
Held mann über Landgraf Moritz und die
Einführung der Verbesserungspunkte. Er
erörterte einzelne Punkte des Versuches, den ein
kalvinisch gesinnter selbstherrlicher Fürst zu Anfang
des 17 Jahrhunderts in einer Zeit des starren
Konsessionalismus machte, gewisse religiöse An
schauungen und Gebräuche in allen seiner Herrschaft
unterworfenen Landesteilen einzuführen. Das Unter
nehmen war um so dornenvoller, als die An
schauungen des Landgrafen dem strengen Luthertum
der Universität Marburg, des Adels der Werra-
landschast und zahlreicher Geistlicher entschieden
widersprachen. Ihre Ausnötigung wurde von vielen
Pfarrern mit Ausgabe des Pfarramtes beantwortet.
Das Unternehmen des Landgrafen hatte politisch
verhängnisvolle Folgen, weil sich damit entsprechend
dem Testament des 1604 kinderlos verstorbenen
lutherisch gesinnten Landgrafen Ludwig IV von
Marburg für Moritz die Gefahr verband, seinen
Anteil an der Beerbung des Oheims, in erster
Linie Marburg, an den Vetter Landgraf Ludwig V.
von Darmstadt zu verlieren.
Hochschulnachrichten. Mit Ablauf des
kommenden Sommer-Semesters wird Geheimrat
Dr. Ludwig v. Sybel vom Lehramt zurücktreten.
Professor v. Sybel, ein geborener Marburger, steht
jetzt im 65. Lebensjahr und habilitierte sich 1872
in Marburg. Fünf Jahre später wurde er Extra-
ordinarius der klassischen Archäologie und 1888
Ordinarius. — Privatdozent Dr. Hermann
Jacobsohn in München hat einen Ruf nach
Marburg als ordentlicher Professor für indo
germanische Sprachwissenschaft angenommen.
Sein 50jähriges Künstlerjubiläuin be
ging am 13. April Hosrat Adolf Varena,der
fast 20 Jahre lang als Direktor des Stadttheaters
in Königsberg wirkt. Von 1864 bis 1877 ent
faltete er eine reiche Tätigkeit an der Kasseler
Hosbühne.
Der Todestag des Versassungskämpfers und
politischen Märtyrers Sylvester Jordan jährte
sich am 15. April zum 50. Male. Sein imposantes
Grabmal (abgebildet in Dr. Tesdorpfs Biographie
von Jordans Tochter Henriette Keller-Jordan) steht
aus dem Kasseler Friedhof.
Todesfälle. Zu Weimar verstarb am 11, April
53jährig der künstlerische Leiter der dortigen Hof
bühne Jntendenzrat Hans Gelling (Hans
Lingelbach). Er war zu Kassel als Sohn eines
Malermeisters geboren und war nach Pollinis Heim
gang Leiter des Hamburger Thalia-Theaters. Später
war er Direktor des Stadltheaters in Essen, bis er
dann nach Weimar als Oberregisieur berufen wurde.
Am 12. April verschied nach langem Siechtum
der in den weitesten Kreisen des Hessenlandes be
kannte und hochgeschätzte frühere Direktor der
Hessischen Landesversicherungsanstalt, Geh. Regie
rungsrat Dr. jur. Ludwig Knorz, der das
Schaffen seines ganzen Lebens seiner hessischen
Heimat widmete. Zu Marburg als Sohn eines
Obergerichtssekretärs 1847 geboren, war er, nach