99 smu*
K. wohl viele rührende Stükke gesehn haben, vielleicht gar
auch den Viertelsmeister Wolf. Dann werden Sie
wohl täglich 6 Stunden Schlittschuhe auf dem Eis ge
laufen sehn, denn ich will ja nicht hoffen, daß in Kaßel
die Luft auch so unartig gewesen ist, nicht ein einzigmal
rauh zu werden u. das Waßer frieren zu machen wie
dies hier der Fall war, umso mehr, da dies eine nicht
unbedeutende Nebenansicht, also ihre Hauptnebenabsicht war,
warum sie nach K. reiften. Also dies kann ich kühnlich
annehmen. Endlich werden sie vielleicht auch auf dem
K a ß e l a n e r the dans: (ich weiß nicht wer mit gestern sagte,
die Registrators u Kanzellisten wie Riehs, Schuchardt
p. hätten ihn angestellt.) brillirt haben — aufs Neujahr
gibt's dann auch Bälle, zb. ein Kausmannsball p. wobei
Sie auch nicht leer ausgehen werden. Summa Sie — doch
das versteht sich von selbst in der Geschwindigkeit noch,
daß es in der Nacht auf den 1 Christtag in der Barfüßer
straße gebrannt hat, das Feuer soll ä force des Kuchen-
bakkens ausgekommen sehn.
„Zum Schluß an Neuber viele schöne Grüße! „Bald
wandern wieder hierher ihre Füße. — Vergessen Sie nicht
zu schreiben an Ihren treuen Freund
I. L. K. Grimm.
II.
Halle. (Ende Juli 1800.) 3 4 * * * ) _
O Daniel gerechter (Friedens) Richter' Was noch so
fein gesponnen kommt doch endlich an die Sonnen' Also
auch die stillste Liebesaffaire, wie z. B. die deinige. Was
hat es dich geholfen, du mußt deine Braut und jetzt deine
Frau doch sehen laßen, und kannst es niemand verwehren,
wenn er sich deine vorhergehende LiebesGeschichte, mit ihren
Küßen Umarmungen Seufzern u. s. w. vielleicht noch viel
zärtlicher als sie gewesen ausmahlt.
Weißt du was mir einfiel als es mir Jakob schrieb ?
eine vollständige Lebensgeschichte deiner Kleider. Das Kleid
macht den Mann aber der Mann (bis auf den Schneider)
nicht das Kleid, wenn ich mir also das Kleid dachte, worin
du gesteckt, so hat ich eine lebendige Anschauung von
dir und das übrige folgte nach. Ich kann einen kleinen
Begriff geben:
Zuerst erblickten wir dich in einer dunkelblauen Jacke
mit silberweißen Knöpfen und kurzen wohl zugeschnallten
Hosen, ein kleiner garstiger Schabbesdeckel zierte dein locken
reiches langes Haar. Jedennoch habe ich davon nur noch
eine schwache verschwommene Idee, dieser blauen succedirte
baldigst eine hellgrüne, dazu lange nankin Hosen, ein
etwas beßerer runder Hut. die Haare noch immer fliegend.
Ich war dazumal noch auf dem kleinen Pädagogium' und
sah dich nur bei zwei Gelegenheiten, beim Stöhr*) wenn
*) Wigand hatte in der Zwischenzeit ziemlich schnell
geheiratet. Seine Frau war eine Kasselanerin. Ihren
Vatersnamen habe ich nirgends feststellen können. Ihr
Vorname war Elise. Sie wurde später nervenkrank und
mußte schließlich ins Irrenhaus nach Siegburg gebracht
werden. Die Krankheit scheint in ihrer Familie erblich
gewesen und auch zum Teil auf Wigands Kinder über
gegangen zu sein. W. litt unter der dadurch hervorgerufenen
Zerrüttung seines Familienlebens materiell wie geistig sehr.
4 ) In seinen .Denkwürdigkeiten" 1,204 berichtet Wigand:
„Wir hatten mannigfache Beziehungen durch die Schule,
und durch den Privat-Unterricht eines alten biedern Mannes,
der uns im Französischen unterrichtete. Es war der Pagen
hofmeister Stöhr. ein Freund meines Vaters, ein Mann
von kindlichstem Gemüth, bei dem wir uns behaglich
fühlten und den wir wahrhaft liebten."
wir in die franz. Stunde gingen und wenn du in die
Zeichenstunde wandertest wobei du einen wie ein Buch
aussehenden Farbenkasten unter dem Arm trugst, er war
mit Marmor Papier überzogen und ich machte wenn er
beim Stöhr lag gern Gesichter aus den runden Marmor»
kleckseu. Der Winter war schlimm, ein grauer Überrock
kam und das Verbot der runden Hüte, du hattest zuerst
einen kleinen dreieckigen und die ersten 14 Tage auch noch
lange Haare dabei, woraus später ein (garstiger) Zopf
wurde. Wie ich dich zum ersten mal in dem Hut sah
machtest du einse) sehr ernsthafte Miene (du drücktest ihn
auch auf das rechte Auge) und zogst die beiden Ecken des
Mundes seriös zusammen, wie du noch heute thust, du
suhltest die Würde, die dein Haupt trug. In diesen Zeiten
besuchten wir dich zuweilen, du hattest Arbeit an einer
kleinen Grotte (worin ein goldflittriger Mann saß) in der
Mauer deiner Stube aus deren Fenster man auch viele
schöne Distelfinken sah. Im Sommer ergrünte die grüne
Zake wieder, nebst einer andern die ich grau nennen muß,
weil ich mich ihrer Farbe nicht mehr besinne. Wir gingen
häufig in das Tannenwäldchen, wollten Schmetterlinge
fangen ohne es zu thun?) Etwas tapferes tatest du da
einmal. Wir waren vor dem kleinen Häuschen und wollten
Milch eßen, sie kam, war aber so schlecht und mager, daß
wir uns lang besannen, ob wir sie annehmen sollten oder
nicht, da hast du den Löffel ergriffen und hast in die
Milch gefahren, wodurch der Streit entschieden worden ist.
Einmal waren wir bei dir zum Thee eingeladen, wie aber
eingeschenkt war. hatte deine Schwester die Milch vergeben
aiifzusetzen. daß wir noch lange warten mußten. Die
folgende Ostern ward dir der neue Mensch, und zwei neue
Blöcke wurden dir angezogen. Der eine braun marmorirl,
der andere dunkelblau mit Stahlknöpfen und schwarzen
Hosen. Die Bauchhosen kamen zwar damals auf eh du
aber auf Universitäten gingst hast du keine ordentliche
gehabt. Damals blühte deine Freundschaft mit Jatho*)
»ud Bekanntschaft mit dem Lazarus?) Es regte sich schon
etwas der zukünftige Bursch, du warst gern bei Schlägereien
ui der Schule, wobei du es liebtest, an ganz sicherer Stelle
mit deinen langen Armen die Lüste zu schlagen. Du
erhieltest den Beinahmen Minotaurus zu der Zeit. Wir
gingen Morgens früh spazieren und schwänzten die Dicktäte
und Brintetel?) Der marmorirte Rock mußte damals
daran und ward zuerst aufgerieben. Den Winter bekamst
du einen Oberrock von unbestimmter Farbe etwa wie
erblaßte Schokolade die Knöpfe waren gelb und hatten
das Muster von gebrochenem Stab, du sagtest sie wären
die neuesten Mode und du hättest sie von deinem Onkel
') Vgl. auch Wigands „Denkwürdigkeiten" I 110: „Wir
giengen auf Entdeckungen in der Stadt und Umgegend
aus und Jakob rief mir zuweilen zu Ich habe wieder
eine neue Straße entdeckt. (Bei einer Bemerkung
Lichtenbergs) fiel mir das Bild des gelehrten tiefsinnigen
Jakob ein, wenn er an einem freien Nachmittag im größten
Eifer mit einer langen Stange und Florneh herangeeilt
kam, um mich zum Schmetterlingsfang abzuholen."
') Joh. Georg Jatho, Kasseler Jugendfreund Wigands,
wurde Schreiber in Geismar; vgl. S.'51, Frdr. G. Groß,
Progr. Kassel 1880 und die ausführlichen Angaben in
Wigands „Denkwürdigkeiten" I. 110, wonach, als 1.1799
Kassel verließ, die Freundschaft mit den Brüdern Grimm
begann.
') Jac. L. Lazarus war nach Groß (Progr. 1880) geboren
1785 als Sohn des Hofzahnarztes L., trat 1801 in OIV
des Lyzeums ein, verließ es aber bereits 1802 aus UIII,
um die Chirurgie zu erlernen, und starb in Düsseldorf
als Privatmann.