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Wehr, Georg. Aus Volkes Herz und Mund.
Deutsche Volkslieder. Ausgewählt und getreu „nach
den ältesten Quellen und besten mündlichen Über
lieferungen hergestellt. Herausgegeben von der Freien
Lehrervereinigung für Kunstpflege. 6.—10. Tausend.
264 Seiten. Leipzig (R. Voigtländers Verlag) 1910.
Preis geb. 1,80 M.
Die Verdienste, die sich „Des Knaben Wunderhorn"
seit seinem Erscheinen namentlich um die Anregung der
Sammeltätigkeit erwarb, find unbestritten. Daß es kein
Volksbuch wurde, wie daS einst Goethe wünschte, liegt
daran, daß manche der Lieder gar nicht volksmäßig sind.
Heute, wo die hundertjährige Sammlung des echten alten
Volksgutes einen gewissen Abschluß erreicht hat und wir
namentlich ein so umfassendes Werk wie Erk und Böhmes
„Deutschen Liederhort" besitzen, ist es notwendig und ange
bracht, in einer Auswahl aus diesem reichen Schatz ein solches
Volksbuch zu schaffen. Diese schwierige, aber auch reizvolle
Aufgabe hat der Rheinhefse Georg Wehr in der vorliegenden
Sammlung versucht. Der dabei befolgten Methode kann
man, zumal sie keine wissenschaftliche sein will, die Aner
kennung nicht versagen. Wehr hat zunächst alle Lieder aus
geschlossen, die nach ihrer Stoffwahl heute nicht mehr an
sprechen oder auch Kenntnisie irgend welcher Art voraussetzen,
wodurch die Sammlung zu einer fast rein lyrischen wurde,
da das Lyrische eben das am meisten Zeitlose in der Poesie
ist. Dann hat er aus den unendlichen Variationen, die
ein vielgesungenes Volkslied im Laufe der Zeit durchmacht,
immer die besten herauszugreifen und zu kombinieren
versucht, eine Methode, wie sie auch, vielleicht unbewußt,
vom Volke oft gehandhabt wird. Leider vermißt man
die Beigabe eines einfachen Notensatzes. Denn wenn
auch der Herausgeber das Buch lediglich zum Lesen
bestimmte und meint, daß nur so die feinen Schönheiten
der Texte voll gewürdigt würden, so bleibt ein ungesungeneS
Lied doch immer ein UnganzeS. Weiter vermißt man die
Aufnahme unserer besten geistlichen Lieder, an denen gerade
wir Deutschen einen so köstlichen Schatz besitzen. Auch hier
wäre wenigstens eine Probe erwünscht gewesen, wie das
neuerdings selbst in Breuers trefflichem „Zupfgeigenhansl"
geschah. Alles in allem kann diese schöne, dem deutschen
Vi lke gewidmete Sammlung, in der auch treffliche hessische
Liedlein vertreten find, aufs wärmste empfohlen werden.
Die Brünnlein die da fließen.
Die soll man trinken! —
Und wer deS BrünnleinS trinket.
Der jungt und wird nit alt!
Heidelbach.
Rotscheidt, Wilhelm. Stephan Isaak. Ein Kölner
Pfarrer und hessischer Superintendent im Reformations
jahrhundert. 178 S. (Bd. XIV der Quellen und
Darstellungen aus der Geschichte deS Reformations
jahrhunderts.) Leipzig (M. HeinsiuS Nachfolger) 1910.
Eine merkwürdige Persönlichkeit, die in der Reformations
geschichte eine gewiffe Rolle spielte und deren LebenS-
schicksal bis jetzt noch nicht ganz aufgehellt war. lernen
wir in Stephan Isaak kennen, deffen Autobiographie
Wilhelm Rotscheidt, Pfarrer in Mör«, neu herausgegeben
und durch wertvolles archivalifches Material ergänzt hat.
Der dem Judentum bis zu feinem 4. Lebensjahr an
gehörende Isaak auS Wetzlar wurde 1546 mit seinem
Vater von Johannes DraconiteS in Marburg durch die
Taufe der lutherischen Kirche zugeführt. Der Vater studierte
noch in Marburg die lateinische Sprache, nachdem ihm
Philipp der Großmütige ein Stipendium verliehen und
Aufnahme im Kugelhaus verschafft hatte. Nach dem
schmalkaldischen Kriege als Professor des Hebräischen und
Chaldäischen an die Universität Löwen berufen, hielt er
eS für zweckmäßiger, mit feinem Sohne zur katholischen
Kirche überzutreten. Gegen seinen Willen bestimmte man
letzteren zum geistlichen Stand, in dem er sich durch seine
umfassende Gelehrsamkeit und seine hohe Begabung für
das Predigtamt bald einen angesehenen Namen verschaffte.
Schon mit 30 Jahren wär er Pfarrer zu St. Marien
Ablaß in Köln. Wegen seine« Scharfsinne« und seiner
vorzüglichen Dialektik glaubte man in ihm ein wertvolles
Rüstzeug zur Bekämpfung der ketzerischen Lehren gefunden
zu haben. Die ihm von den Jesuiten erwirkte Genehmigung
zum Lesen sämtlicher Schriften der Ketzer rief bei ihm das
Gegenteil hervor, er wurde schwankend in seinem Glauben
und ließ in seinen Predigten auch seine Zweifel durch
blicken. Mit Mitteln niedrigster Art bekämpfte man ihn
jetzt, so daß er auf sein Kölner Pfarramt verzichtete. In
Heidelberg fand Isaak eine Zufluchtsstätte, wo er zur
reformierten Kirche übertrat und Pfarrer wurde. Von
1590 an wirkte er als Superintendent zu BenSheim in
Heffen bis zu seinem sieben Jahre später erfolgten Tod.
Seine Lebensgefchichte wirft intereffante Streiflichter auf
die damaligen Kultur- und Zeitverhältniffe und besitzt
auch sprachgeschichtlich eine nicht zu unterschätzende Wich
tigkeit. vr. Karl Siebert.
Kalender.
Hessischer Volkskalender auf das Jahr 1911.
Herausg. von Fr. Ellenberg. 81 (112) Seiten.
Kassel (Fr. Lometsch). Preis 40 Pf.
Alt-nassaüischer Kalender 1911. 63 S. Wies
baden (L. SchellenbergscheHofbuchdruckerei). Preis 75 Pf.
Hessen-Kunst. 1911. Kalender für alte und neue
Kunst. HerauSg. von Christian Rauch. Zeichnungen
von Willy PreetoriuS. 25 u. 33 Seiten.' Marburg a. L.
(Adolf Ebel). Preis 1 M.
Reichhaltig wie die früheren bietet sich auch der 28. Jahr
gang des von Pfarrer Ellenberg herausgegebenen Hessischen
Volkskalenders dar. Die Kunstbeilage bildet diesmal eine
Reproduktion des prächtigen Bantzerschen „Abendmahls
in einer hessischen Dorfkirche", und Schwindrazheim hat
ein neues anheimelndes Titelbild geschaffen. Von den Text-
illustrationen abgesehen treffen wir noch vier der schönsten
Zeichnungen aus Meister Ubbelohdes „Alt-Marburg" an.
Johann Lewalter hat ein von ihm komponiertes ansprechendes
Volkslied beigesteuert. Den lyrischen Teil bestreiten E. Besser
und H. Bertelmann, eine kernige Dorfgeschichte Valentin
TraudtS hat Fr. Fennel illustriert. Aufsätze allgemeinen
Inhalt bringen Wittekind, Schenkheld, Stockhaus, Schwalm,
Traudt, Ellenberg und Bachmann.
Gediegen wie immer stellt sich uns der Alt-naffauische
Kalender wieder vor, den eine Reihe Kunstblätter von
M. Fischer, L. Hermann, W. Thielmann u. a. schmücken.
Von den Mitarbeitern seien O. Fuchs, Fritz Philippi,
Th. Schüler, H. Linkenbach, R. Dietz, I. Brunner, O. Stück-
radt, G. Zitzrr und der treffliche Dichter Leo Sternberg
genannt. Der Kalender trägt eine beherzigenswerte Heimat-
Devise: „Der Mensch wird nicht ruhen, bis er die letzte
der Schranken niedergeriffen hot, die heute noch die Völker
trennen, aber je freier er auch über die Grenze seines
Vaterlandes hinweggeht und je mehr sich die Völker einander
nähern: das Land, das er seine Heimat nennt, wird nicht
größer werden und seine Grenze nicht verändern in seinem
Herzen. Denn stärker als Pfähle und Gräben umhegt es
seine Liebe. Darum find wir Nassauer geblieben, auch
ohne Herzog, flatternde Landesfahnen und Grenzwächter!"
Rein kunstgeschichtlich, dem Programm des verdienst
vollen Herausgebers gemäß, sind die Beiträge zur „Hessen-
Kunst" A. Holtmeyer. der Verfasser der ganz hervor