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„Es wird die Hand des Arztes gewesen sein,
vielleicht auch die meine/'
„Nein, nein," wehrte er ungeduldig, „es war eine
andere Hand, eine Hand, die mir einst den Himmel
gab, Robert, — es war das nur eine Fiebervision
— ich weiß es — aber sie machte mich glücklich
— unaussprechlich glücklich!"
Und dann sank er zurück in den Stuhl und schloß
die Augen.
„Clarisse" — hauchte ich leise — „war sie es,
Bruno?"
Seine Brust hob sich heftig, sein Atem stockte. —
Mich überfiel eine tödliche Angst, — ich hätte
den Namen nicht nennen sollen — jetzt noch nicht.
„Robert — höre mich" — stöhnte er endlich, „ich
habe sie niemals verstanden, ich wollte erstürmen,
was ein Weib wie sie sich nicht abtrotzen läßt, aber
dennoch, ich habe sie geliebt — grenzenlos!"
„Du hast Deine Kunst, Bruno," suchte ich ihn
zu beruhigen — „sie ersetzt so Vieles — ich weiß
es gewiß."
„Meine Kunst, freilich, meine Kunst wie
diese seltene Frau sie verstand und liebte!"
„Du mußt Dich zusammennehmen um ihretwillen,
Bruno."
„Um ihretwillen," wiederholte er leise, „ja!"
Und dann sagte er lange Zeit nichts mehr und
sah hinüber zu den Firnen der Berge, die im Sonnen
golde glänzten. Ich betrachtete ihn mit zärtlicher,
sorgender Liebe, ich hatte ihn niemals so hinfällig
und ergeben gekannt. Ein tiefes Mitleid erfaßte
mich.
„Es ist schön hier, Bruno," sagte ich, seine Hand
ergreifend.
„Ja, schöner als irgendwo sonst in der Welt",
seufzte er. „Madame Dijon muß eine gescheite Frau
sein, schon weil sie diesen Platz gefunden hat."
„Hast Du die Absicht, den Sommer hier zu ver-
weilen?" fragte ich ihn, als er abermals schwieg.
Er wurde unruhig und sah mir ängstlich ins
Gesicht.
„Nein, Robert, nein, ich will fort, sobald als
möglich, ich muß zu ihr!"
„Zu ihr — zu Clarisse?"
„Zu ihr — ja zu ihr —" und dann starrte
er, plötzlich stumm geworden, als gewahre er eine
Erscheinung, an die gegenüberliegende Wand des
Zimmers.
Die grünseidene Portiere war auseinandergeschoben;
an ihre Falten geschmiegt stand, in lichtem Sommer
kleide, Clarisse Finke!
Bor meinen Augen wurde es dunkel — ich sah
noch, wie die schöne Frau am Boden kauerte zu
seinen Füßen und wie Brunos Finger in ihren
Locken zitterten, die sich an seine Kniee schmiegten.
„Robert, bleib, geh nicht fort. O dieses Glück,
es mußte erst erkauft werden — es fällt nicht un
bezahlt in den Schoß der Sterblichen, bleib!"
Clarisse richtete sich langsam in die Höhe, ihr
Antlitz war blaß und von Tränen gebadet, aber
Bruno ergriff ihre Hände, als könne sie ihm noch
einmal entfliehen, und sah angstgequält, flehend in ihr
Gesicht. Ihre Augen tauchten ineinander, lange und
tief. Keine Erdenmacht konnte sie mehr trennen. —-
Ich aber, ich schlich mich leise aus dem Gemach
hinunter in den Park. Der Hollunder blühte, die
Rosen dufteten, die ganze Welt atmete Liebe.
Hinter den Bergesfirnen versank die Sonne und
vergoldete mit ihren letzten Strahlen die Fenster
des Schlosses. Oben standen, der Welt entrückt,
eng verschlungen, Bruno und Clarisse.
-X -X
*
Schlußbemerkungen des Herausgebers.
Im Anschluß an die Vorbemerkungen in Nr. 12 dieses.
Jahrgangs mögen noch einige weitere Aufschlüsse über
„Clarisse Finke" folgen:
Die Dichterin selbst erwähnt in ihrer umfangreichen,
als Manuskript zurückgelassenen Autobiographie, die den
Titel „Aus meinem Leben" trägt und sich im Besitze
des Unterzeichneten befindet, die Novelle „Clariffe Finke"
als eine Arbeit, „deren Stoff" sie lange mit sich .herum
getragen" und für den sie sich „ganz besonders interessiert"
habe.
Tatsächlich wurde ihr die erste Anregung zu deren
Problem bereits vor vielen Jahren durch das Gedicht
Gustavs Adolfo Becquer'8: „Der Sturmwind — Du, und
ich die hohe Feste" zu teil. Frau Keller-Jordan hatte
dies Gedicht 1887 in Mexiko kennen gelernt, wo sie damals
bei ihrem Sohne Richard Jordan acht Monate lang zu
Besuch war. Aber erst nachdem sie 1890 in München
durch den Unterzeichneten in den persönlichen Besitz einer
spanischen Ausgabe der Werke Becquers gelangt war und
sich eingehend in die gedankenvollen Poefieen dieses hervor
ragenden spanischen Lyrikers vertieft hatte, reiste in ihr
die Idee, genannte 41. Rima novellistisch zu verwerten.
Den beiderseitigen Stolz und die scheinbare Unbeugsamkeit
zweier Liebender durch innere Konflikte und äußere Schicksale
zu läutern und schließlich in aufopfernde gegenseitige Hin
gebung zu verwandeln, war der Borwurf. den sie sich für
ihre Novelle stellte. Sie veranlaßte zunächst ihren Sohn
Richard, auch die erwähnte 41. Rima in deutschen Versen
wiederzugeben. Diese-'Übersetzung nahm sie wörtlich in
den Text von „Clariffe Finke" auf. Das Problem der
Novelle geht, wie eine Vergleichung,, mit dem Becquerfchen
Gedichte zeigt, weit über den Rahtnen dieser Rima hinaus
und ist von der Dichterin überdies in durchaus selbständiger
Weise gestaltet und verarbeitet worden.
Das besondere Jntereffe, das sie seit ihrem vorübergehenden
Aufenthalte in München im Frühjahr 1885 für das Leben
und Schaffen einer Reihe dortiger Künstler gewonnen hatte,
der rege persönliche Verkehr, den sie seit ihrer 1886 nach
München erfolgten Übersiedelung hier mit hervorragenden
Malern unterhielt, spiegeln sich in der Novelle .Clariffe
Finke" wieder. Es ist für daS feine künstlerische Urteil
der Dichterin bezeichnend, daß sie bei der Schilderung des
Gemäldes, das die entscheidende Wendung im Liebesleben
ClariffeS und Bruno Keltrns herbeiführt, den eigenartigen
Maler Henner und seine weichen, ausdrucksvollen Frauen»