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gefiel mir nicht. Ich hatte das Gefühl, als habe
er sich innerlich verloren und suche nun mit dem
Fremden fertig zu werden, das ihm aber nicht einmal
sympathisch war. Es fehlte ihm, was er sonst im
hohen Grade besessen hatte, die Kraft überzeugungs
voller Wahrhaftigkeit. Ich ließ ihn indessen reden
und machte keinen Einwand. Ich wollte vorsichtig
zu Werke gehen und den Punkt finden, wo er noch
der Alte und von wo aus ihm beizukommen war.
Als er sich endlich, nachdem er mir lange, etwas
unklar, von seinen Bildern und Erfolgen gesprochen
hatte, vom Sofa erhob, reckte er sich gähnend und
sagte in einem ganz anderen Tone „Ach was, es
ist alles Komödie! Aus der einen Seite Lob, aus
der anderen Tadel — man möchte an sich selbst
irre werden."
„Tadel?" fragte ich erstaunt.
„Ja meinetwegen auch Tadel — und weißt Du,
Robert," und jetzt näherte er seine Lippen meinem
Ohre, „es gibt Stunden, in denen ich den Tadel
gerechter finde, als alles Schmeichelnde, was man
mir bis jetzt gesagt hat. Er erhebt und quält mich
zu gleicher Zeit, es ist eine merkwürdige Feder, die
sich da mit mir beschäftigt."
„Und hast Du keine Ahnung — wer "
„Nein — der Autor hält sich im Dunkel, aber
der Teufel weiß, die Sache beschäftigt mich."
Bei den letzten Worten hatte der herbe Zug in
seinem Gesichte etwas Schmerzliches angenommen.
Ich betrachtete lange mit Jnteresie sein auSdrucks-
volles Gesicht. Cr hielt die Augen gesenkt und
schien es vergesien zu haben, daß er nicht allein im
Zimmer sei.
Nach langer Weile rüttelte er sich auf, reichte
mir die Hanb und sagte in einem weichen, herzlichen
Tone, so wie ich ihn in alten Zeiten an ihm gekannt
hatte
„Du bist mein Freund, Robert, der einzige, den
ich besitze, Du wirst ehrlich mit mir sein, ich weiß
es."
Ich legte meine Hand, wie zum Gelöbnis, in
die seine und dachte an Clarisie Finke. Armes, leiden-
schastliches Herz! Wie mußte es in ihm getobt und
gerast haben, daß er es über sich vermocht hatte,
diese Frau zu fliehen, die mir auf einmal für ihn
wie geschaffen schien. Ich hatte keinen Anhalt dafür,
warum mir diese spontane Überzeugung kam, aber
sie war da — und verstimmte mich. Hatte wirklich
der Gedanke einer Möglichkeit in mir geschlummert,
daß sie mir einst noch mehr werden könne?
Ich befand mich in Brunos Atelier und wußte
nicht, wie ich dahin gekommen war. Ich mußte im
Traum durch die Räume geschritten sein, denn erst,
als Bruno meinen Namen nannte und ich einer
großen Staffelei gegenüber stand, kehrte ich zur
Wirklichkeit zurück.
„Betrachte Dir das Bild genau, Robert," sagte
er, auf die Staffelei zeigend, „es hat, nachdem es
von der Jury den ersten Preis erhalten, jenen
kritischen Aussatz heraufbeschworen, der alles, Kom
position, Stoff und Technik tadelt. Ich ärgere
mich darüber, wie schon gesagt, weil ich nicht umhin
kann, manches zuzugeben. Es war mir, als habe
die Feder, die es geschrieben, in meinen Eingeweiden
gewühlt."
Ich blickte prüfend aus das seltsame Bild mir
gegenüber. Es packte mich trotz des brutalen Stoffes
und der flüchtigen klexartigen Malerei, mit der ich
mich, obgleich man sie kunstvoll und modern nannte,
noch nicht befreunden konnte. Das Bild hatte etwas
Ungehöriges, Unharmonisches, besten Ursache ich nicht
sogleich bemerkte. Die Dirne daraus, die von zwei
Männern bei dem Früchtekorb einer Marktfrau in
rohester Weise gepackt wurde — offenbar, weil sie
gestohlen hatte und nicht freiwillig folgen wollte,
trug zerrissene schmutzige Kleider, aber über ihrem
Gesicht lag ein gewisser Stolz, ein beinahe vornehmes
Etwas, das sich nicht in Einklang bringen ließ mit
der Art ihres Gebarens. Geradezu widerlich aber
waren die Gestalten der gaffenden Menge, die sich
zwischen Obstschalen, Gemüseabsällen und sonstigem
Straßenkot herandrängten und mit grinsendm Ge
sichtern sich an dem Vorfalle ergötzten.
Mir kam das so fremd und unbegreiflich vor, daß.
Bruno so etwas gemalt haben sollte, daß ich bald
aus ihn, bald aus die Leinwand sah. Ich hatte ja
im Laufe der letzten Jahre manche photographischen
Wiedergaben seiner Gemälde gesehen, aber sie waren
mir doch farblos entgegengetreten und hatten nicht
so beleidigend gewirkt.
„Nun?" fragte Bruno gereizt, „findest auch Du,
daß mein Bild nichts wert ist?"
„Nein, das finde ich nicht," sagte ich gedehnt, immer
noch die Augen an dem, trotz aller Häßlichkeit, inter-
effantem Gesicht der Diebin. „Dein Talent ist im
Gegenteil gewachsen, Bruno, seitdem ich nichts von
Dir sah, es liegt Großartiges in dem Bilde, aber —"
„Aber — aber — nun aber!"
„ES ist unharmonisch, nicht im Einklang mit Dir
selbst. Du könntest Größeres, Befferes, Vollkomme
neres leisten, wenn Du wolltest."
„Wenn ich wollte — ha ha — freilich," sagte er
mit fast diabolischem Ausdrucke in seinem Gesicht,
„wenn ich wollte, aber ich will nicht, bei Gott, ich
will nicht!" Und er sank auf den nächsten Stuhl
und vergrub sein Gesicht in die Hand.
(Fortsetzung folgt)