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und, was das Schlimmste war, warf seinen Schatten
in mein Heim und fing an mich stumpf zu machen
gegen seinen Reiz. Vergebens versuchte meine Frau
mir die Häuslichkeit so behaglich wie möglich zu
machen, versuchte mich aufzurichten und anzuspornen
zu neuer Arbeit. Gerade der Frau gegenüber
empfand ich es wie Beschämung, daß ich nicht mit
einem befriedigenden Ergebnis meiner Thätigkeit
vor sie hintreten konnte, und sie glaubte doch un
verbrüchlich an mich und an meinen endlichen Er
folg. Wir wohnten eine Zeit in Rom, meine
Frau betrieb mit Eifer ihre Studien, und immer
erfreulicher entwickelte sich ihr Talent. Bei dem
Besuche der Museen und Privatsammlungen mußte
ich staunen über ihr seines Verständnis der Werke
der großen Maler und Bildhauer.
Die sinnigen Bemerkungen, die sie daran knüpfte,
sind mir unvergeßlich. Ihr besonderer Liebling
war Ghirlandajo, von dessen Kreuztragung sie sich
kaum trennen konnte. Die Energie und der Fleiß,
mit dem er sich vom Gvldschmiedsgesellen zur Höhe
der Kunst emporgeschwungen, der wunderbare Aus
druck in seinen Köpfen und die liebevolle Ausführung
seiner Bilder, das alles erfüllte sie mit Entzücken.
.Welche Summe von Arbeit, von Studium und
von Fleiß muß es gekostet haben', rief sie aus,
,um das alles beim Betrachten des vollendeten
Werkes vergessen zu machen. Ist es nicht, als ob
die Blumen unter den Füßen des Heilands aus
dem Boden hervor sprießen? Aus die Dauer
wollte es ihr hier in Rom nicht behagen, ihr fein
fühliges Wesen hatte bald begriffen, daß es die
Atmosphäre nicht war, in der ich zu stetiger Ar
beit angespornt würde. Wir verkehrten zumeist
mit Künstlern, besuchten Ateliers und Sammlungen
und verbrachten Stunden unter den Trümmern ver
gangener Herrlichkeit und Größe im alten Teile
der Stadt und in der Campagna. Das Hotel, in
dem wir wohnten, lag am spanischen Platze, und
wir konnten früh morgens das malerische Gewühl
auf der spanischen Treppe, welche nach dem Monte
Pincio hinaufführt, mit aller Muße betrachten.
.Dies Rom', meinte meine Frau, .kommt mir
vor wie ein großes Buch, in dem man fort und
fort studieren kann, aber es scheint mir, als ob von
den Vielen, die des Studiums wegen hergekommen,
nur Wenige darin zu lesen verstünden. Oder ist
es die Wucht einer ungeheuren Vergangenheit, die
auf den Menschen lastet, gegen die sie sich nicht
aufraffen mögen — die Epigonen! Ladet nicht alles
zu träumerischem Genießen ein, giebt es einen Ort,
wo das Faulenzen so reizvoll ist, das äoleo far niente!‘
Wir kamen überein, unsern Aufenthalt hier ab
zubrechen und nach Florenz zu gehen. Die liebliche
Natur des Ortes, seine Kunstschätze und geschicht
lichen Erinnerungen zogen unsI mächtig an, und
meine Frau schien glücklich, mich in anderer Um
gebung zu^wissen. In einer'Villa am Arno schlugen
wir unser neues Heim aus. Meine Frau war be
sonders erfreut, ein so ergiebiges Feld für ihre
Studien so zu sagen vor der Thüre zu haben. Mit
Vorliebe machte sie Skizzen zu ihren Bildern an
den malerischen Userpflanzen und pflegte in ihrer
Gondel sitzend zu zeichnen. Ich selber wollte die
floreutiuischeu Archive benutzen, um Material zu
einem Drama aus der Zeit derMedizäer zu bekommen.
Ich besuchte oft ein Cafö in der Nähe der
Uffizien, in welchem vorzugsweise Künstler und
Litteraten verkehrten, und lernte da einen deutschen
Schriftsteller kennen, der längst zu Ruf und Ansehen
gelangt war. Sein Äußeres verriet freilich nichts
von dem Dichter. Von kräftigem Körperbau, gesund
heitstrotzendem Gesicht und von unverwüstlich heiterer
Laune, zu harmlosem Spott und Ironie geneigt,
in der Vollkraft seines Talentes, erschien er mir
ein wahrhaft beneidenswerter Mensch. Er hatte
sich nach harter Arbeit durchgerungen, seinem Namen
einen guten Klang verschafft und durfte nun in
Seelenruhe weiter schaffen. Kein Wunder, daß er
unserm kleinen Kreise als Autorität galt.
Ich hatte ihn mit meinem Leben bekannt gemacht,
ebenso mit meinen bisher erfolglosen dichterischen
Versuchen. Ich bat ihn um ein freimütiges Ur
teil, und er versprach mir meine Arbeiten zu lesen.
Als wir an einem der folgenden Tage aus dem
Heimwege waren, erinnerte ich ihn an sein Ver
sprechen. .Ich bin', sagte er endlich, .weit ent
fernt, ein maßgebendes Urteil über Ihre Begabung
als Dichter abgeben zu wollen; es steckt sicher
Talent in Ihnen, nur muß es ausreisen, und
lassen Sie mich das offen sagen, Sie stehen zu sehr
aus der Sonnenseite des Lebens, um Erfahrungen
zu sammeln, kennen zu wenig dessen Ernst. Sie
wollen Menschen schildern und haben zu wenig vom
Leben kennen gelernt, zu wenig Ahnung von der
Not des Daseins. Goethe macht eine Ausnahme.
Schmerzenskinder sind viele, vielleicht die schönsten
Dichtungen. Da ist Ihr besonderer Liebling Byron,
hat er nicht seine schönsten Verse gemacht, als er
sich von seinem Weibe, seiner Ada, trennen mußte V" —
Hier hielt der Erzähler iune, stützte den Kopf
wie gramversunken in die Hand, dann stand er
rasch auf und machte eine Bewegung, als wollte
er gehen. Ich war im Begriff ihm zu folgen, als
er mich wieder auf meinen Sitz zog und, mehr wie
zu sich selber sprechend, sagte: „Ich bin noch nicht
zu Ende, — das Ende fehlt noch! Mußte mich
schon der sich unwillkürlich aufdrängende Vergleich
meiner Person mit der kerngesunden Natur dieses
Mannes verstimmen, so thaten diese Worte das